Klamme Kassen: Über Russlands Regionen kreist der Pleitegeier

Russlands Präsident Wladimir Putin trifft sich mit dem Gouverneur der Oblast Nowgorod Sergej Mitin.

Russlands Präsident Wladimir Putin trifft sich mit dem Gouverneur der Oblast Nowgorod Sergej Mitin.

Michail Metzel/TASS
Russlands Regionen sind von der Pleite bedroht. Sinkende Einnahmen aufgrund der Wirtschaftskrise und gestiegene Sozialausgaben belasten die regionalen Haushalte enorm. Schulden-Spitzenreiter ist Moskau. Experten fordern Steuerreformen und niedrigere Zinsen für Kredite.

Erstmals seit der Weltfinanzkrise in den Jahren 2008/2009 geriet eine russische Region in Zahlungsverzug: Die 600 Kilometer nordwestlich von Moskau gelegene Oblast Nowgorod konnte ihre Verpflichtungen gegenüber der zweitgrößten russischen Staatsbank VTB in Höhe von rund 27 Millionen Euro nicht rechtzeitig bedienen. Das schreibt die russische Wirtschaftszeitung „RBC Daily“ unter Berufung auf Analysten von Standard & Poor’s.

Timur Nigmatullin, Analyst der Investment-Holding Finam, betont, bislang könne von einem technischen Zahlungsverzug ausgegangen werden, denn einen Monat später überwies die Region die ausstehende Rate schließlich doch noch. Ein Grund zu Optimismus ist das trotzdem nicht: In den russischen Regionen bahne sich eine handfeste Schuldenkrise an, sagt der Experte. Die Situation ist laut Standard & Poor’s alarmierend, mit weiteren Zahlungsausfällen müsse jederzeit gerechnet werden. Allein im laufenden Jahr werden die Regionen bis zu 14,5 Milliarden Euro zur Refinanzierung von Altlasten benötigen, innerhalb von drei Jahren müssen rund 64,5 Milliarden Euro auf den Kapitalmärkten aufgenommen werden.

Julia Gapon, Analystin bei UFS IC, erklärt, bei den Finanzproblemen russischer Regionen wirkten mehrere Faktoren zusammen: Erstens spiegele das spürbar schlechtere makroökonomische Umfeld sich in den Auftragsbüchern vieler Unternehmen wider, was sich auch auf die Einnahmen regionaler Haushalte auswirke.

Zweitens seien auch die Sozialausgaben infolge der Präsidentenerlasse vom Mai 2012 gestiegen. Gemeint ist das Gesetzpaket, das am Tag von Wladimir Putins Amtsantritt verabschiedet wurde und die regionalen Führungen dazu verpflichtete, die Löhne und Gehälter von Ärzten, Lehrern und anderen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes regelmäßig an die Preisentwicklung anzupassen. „Die Finanzierung dieses Pakets wird inzwischen untragbar, ein Ausweg aus der Situation ist nicht in Sicht. Offensichtlich wird ein Teil der Regionen Zahlungsausfälle in Kauf nehmen müssen, was ihre zukünftigen Chancen auf erschwingliche Kredite erheblich reduzieren dürfte“, sagt Timur Nigmatullin.

 

Moskau ist spitze – bei der Verschuldung

Bis 2012 habe ein Großteil russischer Regionen ausgeglichene Haushalte präsentieren können, seit 2013 ändere sich das jedoch rasant, berichtet Julia Gapon. So verzeichneten alle russischen Regionen zusammen im letzten Jahr ein Minus von insgesamt 7,2 Milliarden Euro – ein Wert, der die Erwartungen um das Doppelte übertraf. Dabei wies ein Drittel der russischen Regionen Etats auf, deren Ausgaben 15 Prozent über den gesamten Einnahmen lagen. Nur elf Regionen erwirtschafteten überschüssige Haushalte.

Angesichts dieser Situation mussten die föderativen Subjekte sich verstärkt Geld leihen, wodurch die Gesamtschulden der Regionen 2014 um 20 Prozent auf rund 606 Millionen Euro anstiegen. An der Spitze der Schuldner stehen dabei die Stadt Moskau, die umliegende Oblast Moskau und die Region Krasnodar, in der auch die Olympiastadt Sotschi liegt.

„Die russische Wirtschaft verliert weiterhin an Tempo. An eine baldige Lösung der Finanzprobleme aus eigener Kraft ist für die Regionen daher nicht zu denken“, meint Julia Gapon. Ihrer Ansicht nach wäre es in dieser Situation durchaus ratsam, eine Steuerdezentralisierung zu erwägen. Dies würde den föderativen Subjekten Russlands ermöglichen, weitere Einnahmequellen zu erschließen.

Semen Nemzow, Analyst bei der Investmentgesellschaft Russ-Invest, ist der Ansicht, dass nun die Zentralbank die Reißleine ziehen müsse, nur sie könne die Situation retten. Die Zentralbank legt den Leitzins fest, an dem sich die anderen Banken orientieren: „Die sprunghafte Erhöhung des Leitzinses im Dezember vergangenen Jahres und das weiterhin andauernde hohe Leitzinsniveau erschweren vielen Kreditnehmern, so auch den Regionen, die Refinanzierung“, sagt der Experte.

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