Der Präsident und sein Fotograf

Dmitrij Donskoj,der Leibfotograf des ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin. Foto: Photoexpress

Dmitrij Donskoj,der Leibfotograf des ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin. Foto: Photoexpress

Dmitrij Donskoj, langjähriger Leibfotograf von Präsident Boris Jelzin: „Als ich Boris Jelzin einmal im Sucher sah, erschrak ich: Er war so krank; ich würde meinem ärgsten Feind nicht wünschen, Präsident zu sein.“

Dmitrij Donskoj, der Leibfotograf von Boris Jelzin, war lange Jahre unsichtbar, nur ein „Gegenstand“. So hatte er es mit seinem Chef vereinbart. Der Präsident, dem Donskoj zu Hause und im Kreml wie ein Schatten folgte, beachtete ihn und die Kamera nicht. Donskoj hingegen sah alles und dokumentierte Leben und Wirken des umstrittenen Präsidenten.

Wie wird man Jelzins persönlicher Fotograf?

Durch puren Zufall. Ich arbeitete damals bei der Nachrichtenagentur APN, die später zu RIA Novosti mutierte. Schon dreißig Jahre hatte ich für das Ressort Sport fotografiert, und die Sache wurde langsam langweilig. Doch eines Tages sagte mein Redakteur: "Flieg doch mal in den Kaukasus(?)!" Denn Jelzin und Nasarbajew trafen sich dort zu Verhandlungen mit den verfeindeten Parteien des Nagorny-Karabach-Konflikts Ich flog also hin und fotografierte, wie ich es vom Sport gewohnt war, mit langer Brennweite. Zurück in Moskau, vergaß ich die Sache.

Die Redaktion schickte Jelzin, der damals im Urlaub war, meine Fotos. Drei Tage später bekam ich einen Anruf. Ich meldete mich im 14. Gebäude des Kreml, in dem Jelzin damals sein Büro hatte. Und nun kommt das Beste: Ich mußte warten und im Vorzimmer stand ein wunderschönes, antikes Sofa. Ich setzte mich gemütlich hin - und schlief ein! Auf einmal rüttelt mich jemand. Ich wache auf und sehe direkt vor meinen Augen einen grauen Wintermantel, und direkt daneben noch so  einen. Das war meine erste persönliche Begegnung mit Jelzin und seinem Sicherheitschef Alexander Korshakow. Korshakow fragte mich lapidar: „Willst du für uns arbeiten?“ Ich stammelte nur: „Ich kann's versuchen…“.

 

Was war das Faszinierende daran, Jelzins Leibfotograf zu werden?

Ich hatte ihn zuvor schon zweimal erlebt. Das erste Mal war, als er aus der Partei austrat. Ich war damals Parlamentsfotograf… Ich war dabei, als er in aller Öffentlichkeit auf der Tribüne des Parlaments sein Parteibuch auf den Tisch legte und danach durch den Saal zum Ausgang ging. Ich folgte ihm und hörte, wie man von allen Seiten zischelte. Solche widerwärtigen und abfälligen Bemerkungen habe ich nie wieder gehört. Doch er ging ohne Gefühlsregung bis zum Ausgang, kein Muskel zuckte in seinem Gesicht. Doch kaum draußen, brach er in den Armen von Korshakow zusammen. Das Herz. Ich hab davon kein einziges Foto gemacht. Ich war wie gelähmt. Ich weiß nicht, warum… Das zweite Erlebnis war, als Jelzin nach einer Preisverleihung der Ballerina Jekaterina Maximowa die Hand küsste. Er - ein Riese und Betonkopf, wie er im Buche steht. Aber wie er ihr die Hand küsste, das war schon sehr galant… Spätestens in diesem Moment war ich sicher, dass ich ihn fotografieren wollte.

 

Ließ er sich gern fotografieren?

Jelzin mochte keine gestellten Fotos. Deswegen sagte er eines Tages zu mir: „Weißt du, Dima, nimm einfach auf, was du willst“. Ich unterbreitete ihm daraufhin meinen Vorschlag: „Boris Nikolaewitsch, versuchen Sie, mich einfach nicht zu beachten. Ich werde zwar immer in Ihrer Nähe sein, aber sie müssen so tun, als sei ich unsichtbar, höchstens ein vertrauter Gegenstand.“ Er sagte: „Abgemacht.“ Seine Frau, Naina Jelzina, mochte meine Fotos auch. Später erzählte man mir, die beiden hätten sich sogar darum gestritten, wen ich zuerst fotografieren sollte – sie oder ihn.

War es einfach, die First Lady zu fotografieren?

Sie hatte ihre Eigenheiten. Ich erinnere mich an die Feiern zum 50. Jahrestag des Sieges am 9. Mai 1955. Sie stand zwischen John Major und Bill Clinton auf der Tribüne und weinte während der ganzen Parade. Ich glaube nicht, dass sie so gerührt war wegen der Bedeutung des Feiertages. Aber war wollte sie machen? Wenn sie nicht geweint hätte, hätte sie mit ihren Nachbarn reden müssen, aber sie sprach ja kein Englisch… Also fand sie einen Ausweg, wie es nur eine Frau kann. Ich habe damals 18 Filme verbraucht, und die Fotos waren einfach umwerfend!

Jelzin war Herr im Land, und wer war Herr im Hause Jelzin?

Naina. Sie hat ihn sehr geliebt. Ich weiß nicht, was schwerer ist, Präsident zu sein oder die Frau des Präsidenten. Beide hatten es sehr, sehr schwer. Wissen Sie, ich habe im Hause Jelzin nie ein böses Wort gehört. Nie. Ich habe nie gehört, dass Jelzin privat laut geworden wäre.

Jelzin in Badehose – haben Sie auch dieses Foto geschossen?

Natürlich. Damals gingen Gerüchte um, der Präsident würde nach einem Unfall ein orthopädisches Korsett tragen. Also schlug ich vor, Jelzin am Strand seiner Residenz „Botscharow Rutschej“ zu fotografieren. Wir waren in den allerersten Frühlingstagen dort, in Moskau lag noch Schnee… Es gab schöne Fotos, der Alte war ja ein abgebrühter Eisbader. Nur Korshakow, der dem Präsidenten nicht von der Seite weichen durfte, hasste das Eisbaden. Nachdem Jelzin sich ausgezogen und ins Wasser gesprungen war, musste  Korshakow ihm nach, ob er wollte oder nicht. Als er rauskam, war er blau am ganzen Körper und zeigte mir die Faust.

In der Zeit zwischen Ihren ersten Aufnahmen und den letzten hat sich Boris Jelzin sehr verändert. Wie nahmen Sie diese Veränderung wahr?

Er stand ständig unter Stress. Alles begann 1993 nach dem Sturm auf das Weiße Haus. Jelzin war stark wie ein Bär, doch die Ereignisse hinterließen ihre Spuren. Er war immer mit dem Herzen dabei, und das hielt sein Herz nicht aus. Eines Tages sah ich ihn im Sucher an und dachte: „Meinem ärgsten Feind würde ich nicht wünschen, Präsident sein zu müssen.“ 

Sie waren Augenzeuge historischer Momente. Zum Beispiel erlebten Sie die Friedensverhandlungen mit der tschetschenischen Delegation im Kreml mit.

Das war eine unglaubliche Geschichte!  Die tschetschenische Delegation wurde von dem Separatistenführer Selimchan Jandarbijew geleitet (damalsamtierender Präsident der selbsternannten Tschetschenischen Republik Itschkerien. Nahm aktiv an Kampfhandlungen teil. Wurde beschuldigt, terroristische Anschläge in Russland organisiert zu haben, seit 2001 weltweit von Interpol gesucht. Stand auf der Terroristen-Liste der UNO. Getötet im Februar 2004.– Anm. Russland HEUTE). Da gab es wirklich was zu fotografieren, die zweieinhalb Stunden vergingen wie im Fluge! Der Alte hatte sie schon soweit, dass sie unterschrieben, da meldet sich der Innenminister Anatoli Kulikow zu Wort und will weitere Zugeständnisse. Sie verhandeln also wieder und schließlich sind sie soweit, dass sie unterzeichnen könnten. Doch abermals meldet sich Kuikow und will Änderungen. Also verhandelt man weiter. Als Kulikow zum dritten Mal versuchte sich einzumischen, stieß ihn der Alte mit Wucht in die Seite: Er solle den Mund halten. So konnte man endlich unterschrieben.

Wie haben Sie Jelzin noch in Erinnerung?

In unserer Delegation war auch Doku Sawgajew, der gewählte tschetschenische Präsident. Als die Separatisten sahen, dass ihnen ein Landsmann gegenübersitzt, wollten sie die Verhandlungen sofort abbrechen. Jelzin sitzt also da und hört ihnen ruhig zu… Es waren Sicherheitsleute vom FSO anwesend, alle in Paradeuniform… Auf einmal brüllt Jelzin – und eine Stimme hatte er, das muss man ihm lassen - : „Offiziere! Niemand verlässt den Raum!“ Die Tschetschenen waren auf einmal so klein mit Hut, als hätte man ihnen die Luft rausgelassen. Da wurde mir klar, was der Alte draufhatte!

Sie haben viele berühmte Fotos gemacht. Zum Beispiel das, auf dem Jelzin sich die Hand vors Gesicht hält, nachdem er in Grosny den Befehl zum Abzug der Truppen aus Tschetschenien unterzeichnet hatte.

Ja, ein berühmtes Foto. Aber… euch kann ich es ja erzählen. Eigentlich hat er sich nicht die Hand vors Gesicht gehalten, sondern nach einer Mücke geschlagen. Aber… das sind Kleinigkeiten. Vielleicht war da auch keine Mücke…

Gibt es Fotos, die sie niemals veröffentlichen werden?

Es gibt Fotos, die ich niemandem zeige. Nein, nicht aus Gründen der Zensur. Obwohl – es gab einen Fall, da durfte ich einen Monat nicht arbeiten. Das war, nachdem der kanadische Premierminister Brian Mulroney Jelzin sehr gastfreundlich empfangen hatte und dieser ihn daraufhin zur Jagd in sein Sommerhaus Sawidowo einlud. Sie gingen also zur Jagd, und ich ging schlafen. Weit nach Mitternacht weckten sie mich. Ich, noch ganz verschlafen, sehe also: auf dem Boden liegt ein riesiger ausgestopfter Keiler, daneben zwei erlegte kleinere Keiler und die Gewehre, und hinter den toten Tieren stehen Jelzin in ausgebeulten Trainingshosen und Mulroney in inniger Umarmung. Ein Bild für die Götter! Sie sagen zu mir: „Fotografier uns, das ist ein Titelbild für die Time!“ Ich hab sie also fotografiert und die Fotos am Morgen an meine Agentur RIA Novosti geschickt. Die ganze Welt hat dieses Foto gesehen! Nur die kanadischen Grünen haben sich aufgeregt und wollten Mulroney auf eine Million Dollar verklagen. Das Foto hat mir Jelzin wohl übelgenommen, und ich wurde nicht mehr in den Kreml gelassen.

Wie haben Sie wieder Kontakt aufgenommen?

Etwa einen Monat später ruft Naina Jelzina an und sagt: „Dima, guten Tag! Wo bleiben Sie denn, wir vermissen Sie!“ Ich erklärte es ihr. „Und das ist alles? Ich hoffe, Sie tauchen bald wieder auf!“ Kurz darauf rief Korshakow an und sagte, ich solle in die Residenz Botscharow Rutschej kommen. Als ich ankam, wurde ich gleich in die Laube geführt, wo schon Jelzin, seine Frau und Korshakow saßen und Tee tranken. Sie gießen mir auch eine Tasse ein, alle lächeln sich an, und auf einmal sagt der Alte. „Dmitri, sehen Sie mich an! Ist es wahr, dass sie das Jagdfoto für Tausendzweihundertfünfzig Dollar verkauft haben?“  Und ich - ich weiß auch nicht, was mich geritten hat - ich sage auf einmal: „Boris Nikolaewitsch" - sag ich also, „bis jetzt hat noch keiner so viel für Sie geboten!“. Er schüttelte sich vor Lachen und sagte: „Gut, erledigt! Vergessen wir’s! Und jetzt trinken wir Tee.“ Jelzin war selbst nicht auf den Mund gefallen, er hatte immer eine Antwort parat, bis ganz zum Schluss.

Sie waren so viele Jahre lang an der Seite des ersten Präsidenten… Können Sie uns sagen, warum das ganze Land ihn am Anfang vergötterte und nun nicht mehr?

Ich kann nur eines sagen: Man wird sich noch an Jelzin erinnern.

Dieser Artikel erschien zuerst im Wochenmagazin "Itogi".

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