Häuser in Familienbesitz: Besondere Schmuckstücke Moskaus

Das Haus des Architekten Kusnezow in Moskau

Das Haus des Architekten Kusnezow in Moskau

Lori/Legion Media
Es gibt nur wenige Menschen in Russlands Hauptstadt, deren Haus von den eigenen Vorfahren erbaut wurde. Gerade diese Häuser können ganz besondere Geschichten erzählen.

Jeder vierte Bewohner Moskaus gilt als angestammter Einwohner, doch nur jeder dritte dieser Menschen wohnt seit über dreißig Jahren am selben Ort. Damit gibt es nur wenige Häuser, die seit Generationen in Familienbesitz sind. Die Stadt befindet sich im ständigen Wandel: Bauten entstehen und verschwinden wieder, die Menschen rücken immer näher zusammen. Dennoch gibt es besondere Häuser, die seit vielen Jahrzehnten von ein und derselben Familie bewohnt werden.

 

Das Haus des Architekten Kusnezow

In der Mansurowski-Gasse im Zentrum Moskaus baute der Architekt Alexander Kusnezow vor genau 100 Jahren, am Ende des Silbernen Zeitalters, eine Villa. Sie zeichnet sich durch das Sonnentor, eine kleine Gartentür und ihre Freitreppe aus. Der Innenraum birgt einen holländischen Ofen, ein Arbeitszimmer im Zwischengeschoss, Glasmalerei und opulente Wandfliesen. Gemeinsam mit dem Architekten lebten dessen Frau, Sohn und Tochter in diesem Haus. In jedem Frühjahr brachte der Eismann Eis aus der Moskwa für den Keller. Zu Gast waren hier der berühmte russische Jugendstilarchitekt Fjodor Schechtel und Konstantin Melnikow, Architekt der russischen Avantgarde.

Stalin, Chrustschow und Breshnjew kamen und gingen, die Epochen zogen vorbei: Gorbatschows Perestroika kam, die Sowjetunion zerfiel, die Gegend bekam wegen ihrer hohen Grundstückspreise den Spitznamen „Goldmeile“, in dem Wohnbezirk tauchten neue berühmte Einwohner auf. Das Haus mit der kleinen Gartenpforte aber steht noch immer und wird von einem Enkel Kusnezows und dessen Familie bewohnt. Weinreben zieren die Außenwände und im Winter verbreitet der Ofen wohlige Wärme im Haus. An einen Auszug aus der Kusnezow-Villa denkt hier niemand, denn man sagt: „Familiennester sind unverkäuflich.“

 

Das Haus der Bildhauerin Muchina

Foto: RIA Novosti

Unweit der Kusnezow-Villa, in der Pretschistenski-Gasse, sticht ein Bauwerk heraus, das wohl besser in der Timirjasew-Straße stünde. Das Haus ähnelt wegen seines Glasdachs eher einer Orangerie und würde perfekt mit der Umgebung der Landwirtschaftsakademie verschmelzen. Es war das Haus und die Werkstatt Wera Muchinas, die 1937 die berühmte Skulptur „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ schuf. Im Jahr 1947 soll sie, so sagt man, das Haus gemeinsam mit dem Architekten Scholtowski entworfen haben. Sie entstammte einer großbürgerlichen Familie, vor der Revolution tingelte sie von Ball zu Ball. Im Alter von 60 Jahren war sie bereits eine in der Kunstszene gefeierte Persönlichkeit.

Im Haus in der Pretschistenski-Gasse verbrachte Muchina ihre letzten sechs Lebensjahre. Hier entstanden die Skizzen für das Gorki- und das Tschaikowski-Denkmal und für ihre berühmte Bronzestatue „Wir fordern Frieden“. An den gelben Wänden windet sich noch heute der Efeu, ganz wie vor 70 Jahren. Jeder Sommer bringt eine neue Apfelernte, die Bäume pflanzte die Hausherrin einst selbst. Vor dem Gebäudeflügel trocknet die Wäsche der heutigen Hausherrin an der Leine: eine Enkelin Muchinas, die hier mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn lebt. Sie sagen, man hätte nie versucht, sie aus dem Haus zu jagen oder das Haus in ein Museum zu verwandeln. Zum Glück für Muchinas Nachfahren interessieren sich Kunstliebhaber mehr für ihre Skulpturen als für ihr Haus und Heim.

 

Das Haus des Architekten Melnikow

Foto: Lori/Legion Media

Dramatischer ist hingegen die Geschichte eines anderen Familiensitzes. Viele Jahre lang zogen die „Bienenwaben“, das berühmte Haus des Avantgarde-Architekten Konstantin Melnikow, die Aufmerksamkeit auf sich. Es ist ein Meisterwerk der russischen Avantgarde. Jahrzehntelang war es vor den Augen Fremder verborgen gewesen, denn hier, in der Kriwoarbatski-Gasse, wohnte die Enkeltochter des Architekten Ekaterina Karinskaja.

Den seltenen Glückspilzen, die hierher eingeladen wurden, bot sich jedoch ein unfassbares Bild. Man erblickte einen alten Holzzaun, dahinter einen düsteren Hof, die Freitreppe hatte Risse, Holzdielen waren verlegt, die Fenster nicht geputzt. Im Korridor, über den viel in Architekturlehrbüchern geschrieben steht, sammelte sich allerhand Gerümpel, von der Gartenschubkarre bis zu ausgetretenen Gummistiefeln. Auf dem antik anmutenden Diwan spielten Kinder, der Teppich aus den 1920er-Jahren wurde mit einem Nasssauger gereinigt.

Jahrzehntelang lagen Ekaterina und ihre Schwester Elena mit ihrem Vater Wiktor Melnikow, Sohn Konstantin Melnikows und selbst Künstler, im Streit. Nach dem Tod des Vaters stritten die Schwestern untereinander darüber, wem das Haus gehört  und was mit ihm geschehen soll. Das Schicksal des architektonischen Meisterwerks war Gegenstand mehrerer Gerichtsverhandlungen. Schließlich hatte aber Wiktor Melnikow in seinem Testament verfügt, dass das Haus in der Verfügungsgewalt des Staates übergehen solle. Die einzigen Bedingungen waren die Einrichtung einer Gedenkstätte für seinen Vater sowie die Ausstellung des gesamten Mobiliars und die Verwahrung der Archive des berühmten Architekten im Haus.

Das entsprechende Museum wurde im Februar 2014 auf Initiative des staatlichen Architekturmuseums eingerichtet. Die Hauptausstellung des Museums, die Leben und Werke von Konstantin und Wiktor Melnikow gewidmet ist, wird aber nicht in dem berühmten Haus zu sehen sein, sondern ganz in der Nähe, in der Wozdwizhenskaja-Straße. Die Eröffnung der ständigen Ausstellung ist für das Jahr 2016 vorgesehen. Die Familienvilla bleibt ein Museum.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Gazeta.ru

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