Oleg Syromolotow fordert eine Anti-Terror-Koalition.
KommersantArmeegeneral Oleg Syromolotow wurde im März dieses Jahres zum stellvertretenden Außenminister für Fragen der Terrorbekämpfung ernannt – ein Amt, das es vorher nicht gab. Bevor er ins Außenministerium wechselte, leitete er die Spionageabwehr beim Inlandsgeheimdienst FSB und war unter anderem während der Olympiade in Sotschi für die Sicherheit zuständig. In einem Interview mit dem „Kommersant“ erzählte er, wie sich die Ukraine-Krise auf die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus auswirkt und weshalb die Milizen aus der Gruppe „Islamischer Staat“ so erfolgreich sind.
„Kommersant“: Was hat es für eine Bedeutung, dass im russischen Außenministerium das Amt des stellvertretenden Ministers in Fragen der Terrorbekämpfung eingeführt wurde?
Oleg Syromolotow: Diese Entscheidung dient ganz eindeutig einem politischen, einem außenpolitischen Ziel: Die internationale Zusammenarbeit im Anti-Terror-Bereich muss aktiver ausgeübt werden und dementsprechend muss Russland in diesem Rahmen eine größere Rolle spielen.
Können andere Länder etwas von Russland lernen?
Russland hat in diesem Sinne Erfahrungen wie kein anderes Land. Erinnern Sie sich nur daran, was in Tschetschenien los war, und schauen Sie, wie es jetzt dort aussieht. Das ist doch ein himmelweiter Unterschied! Seinerzeit kämpfte dort die halbe Welt, rebellierende Terroristen aus dem Ausland kamen in Strömen dorthin. Im Westen bezeichnete man sie als „Freiheitskämpfer“. Damals sagte ich meinen westlichen Kollegen, dass das nicht stimmte. Ich warnte sie, dass sie sich über diese „Freiheitskämpfer“ noch wundern würden. So kam es denn auch. Sobald sie (ihren Fehler) erkannt hatten, begannen sie, mit uns zu kooperieren.
Wie wirkt sich die derzeitige Konfrontation zwischen Russland und dem Westen wegen der Ukraine auf die gemeinsamen Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus aus?
Durch die Auseinandersetzungen wegen der Ukraine haben unsere westlichen Partner mehrere Formate der Anti-Terror-Bekämpfung auf Eis gelegt, zum Beispiel im Rahmen der G8, des Nato-Russland-Rates und bilateraler Beratungen. Zu den versäumten Möglichkeiten kann man wohl auch die bislang regelmäßigen, zweimal jährlich stattfindenden Anti-Terror-Beratungen mit der Europäischen Union zählen. Die EU vertagt deren ordentliche Runde bereits seit über einem Jahr unter verschiedenen Vorwänden.
Angesichts der gemeinsamen Gefahren werden die Beratungen allerdings in der OSZE und noch intensiver im UN-Sicherheitsrat fortgesetzt. Man denke nur an so grundlegende Dokumente wie die UN-Resolutionen 2170 und 2178 (die Staaten verpflichtet, alles zu unternehmen, damit Extremisten aus ihren Ländern nicht in die Krisengebiete Irak und Syrien einreisen und wieder zurückkehren können, Anm. d. Red.) oder die auf Initiative Russlands verabschiedete UN-Resolution 2199, in der es um die Unterbindung von illegalem Handel mit Erdöl und anderen Naturressourcen und Kulturgütern seitens der Terroristen geht.
Kann die Bedrohung durch radikalislamistische Gruppen Moskau und Washington einander näherbringen?
Russland geht davon aus, dass man gegen eine globale Terrorgefahr, wie sie der „Islamische Staat“ darstellt, gemeinsam vorgehen muss, ohne zu politisieren und ohne Doppelstandards, auf der Grundlage des Völkerrechts und mit zentraler koordinierender Rolle der Uno. Der Westen – die USA – scheinen mit dieser Herangehensweise Probleme zu haben. Denn gerade die Art des Westens, im Nahen Osten und in Nordafrika unerwünschte Regime zu stürzen, haben zur Vernichtung von Sicherheitsmechanismen in mehreren Staaten dieser Region, zu einer Radikalisierung des islamischen Glaubens und im Endeffekt zu einem unkontrollierten Schalten und Walten von Terrorgruppen, zu denen auch der IS zählt, geführt.
Die derzeitigen Probleme in den bilateralen russisch-amerikanischen Beziehungen behindern ganz offensichtlich die internationalen Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus. So widerspricht die einseitige, politisch motivierte Einstellung der Tätigkeit der Arbeitsgruppe zur Terrorbekämpfung, die im Rahmen des russisch-amerikanischen Präsidentenausschusses tätig war, den Aufgaben, die Anti-Terror-Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern auszubauen.
Welche Formate bleiben denn noch für eine Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA im Bereich Terrorbekämpfung?
Selbst unter den derzeitigen Verhältnissen wird die bilaterale Zusammenarbeit zur Anti-Terror-Agenda gewissermaßen fortgesetzt. Wir sind zufrieden damit, dass wir mit den Amerikanern einen kontinuierlichen Dialog zum Thema „Unterbindung von Geldwäsche und Finanzierung des Terrorismus“ sowohl in der Arbeitsgruppe für finanzielle Maßnahmen gegen Geldwäsche (FATF) als auch im bilateralen Format führen können.
Was macht den „Islamischen Staat“ so lebensfähig und erfolgreich?
Natürlich haben die IS-Ideologen und -Anführer gewisse politische, propagandistische und organisatorische Erfolge zu verzeichnen. (…) Die Extremisten nutzen zweifellos Ungerechtigkeiten und Widersprüche der modernen Welt aus, die in zahlreichen politischen und innerstaatlichen Konflikten deutlich zu erkennen sind. Einige davon liefern den Terroristen buchstäblich all ihre menschlichen und militärischen Ressourcen: So landeten Offiziere, Polizisten und Mitarbeiter der Geheimdienste von Saddam Hussein nach den berüchtigten Ereignissen auf der Straße und bildeten nahezu den Kern des IS.
Dennoch hätten weder seinerzeit al-Qaida noch heute der „Islamische Staat“ kaum ohne bestimmte Unterstützung von außen so eine Stellung und Stärke erreicht. In einigen Fällen – ich hoffe, dass das nun Vergangenheit ist – wurden die Terroristen und Extremisten von einigen Staaten wirklich bewusst ausgenutzt, um gegen unerwünschte Regierungen vorzugehen. Dieser nachsichtige Umgang mit terroristischen und extremistischen Aktivitäten führte dazu, dass der Flaschengeist heraufbeschworen und freigelassen wurde, wie es seinerzeit mit al-Qaida geschah. Nun stellt der IS für jene, die ihm geholfen und mit ihm Nachsicht geübt haben, ein äußerst gefährliches Problem dar.
Dennoch bin ich überzeugt, dass die Situation in den Griff bekommen werden kann und muss. Vielleicht kann die Bedrohung, die vom IS ausgeht, dazu führen, dass die Staatengemeinschaft auf Basis des Völkerrechts und unter Führung des UN-Sicherheitsrats eine wirklich einheitliche internationale Anti-Terror-Koalition bildet. Ich habe keinen Zweifel, dass Russland in dieser Koalition eine Hauptrolle spielen wird.
Die ungekürzte Fassung des Interviews erschien bei Kommersant.
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