Die Pipeline biegt nach Osten ab - zum Wirtschaftsriesen

Copyright: Getty Images/Fotobank

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Ein Teil des russischen Erdgases geht zukünftig nach China - aus denselben Vorkommen, die auch Europa und Deutschland versorgen. Es war mehr als eine Geste: Als Dmitrij Medwedjew bei seinem Staatsbesuch im September gemeinsam mit dem chinesischen Staatschef Hu Jintao symbolisch die erste Pipeline von Russland nach China fertigstellte, da lächelten die beiden zukunftssicher. Ein „geopolitisches Projekt“ hat Premierminister Wladimir Putin die Pipeline genannt. Beim jüngsten Gipfel war von einer „strategischen Partnerschaft“ die Rede. Der Energieriese Russland will dem Wirtschaftsriesen das geben, was er so dringend braucht: Energie. Und die 69 Kilometer lange Röhre, durch die ab 1. Januar 2010 15 Millionen Tonnen Öl pro Jahr aus dem sibirischen Skoworodino nach Daqing im Nordosten Chinas fließen, ist erst der Anfang.

Ab 2015 will Gazprom jährlich 30 Milliarden Kubikmeter Gas nach China exportieren. Die Einzelheiten zu den Lieferungen wurden bei Medwedjews Staatsbesuch in China abgesprochen. Vertreter von Gazprom und CNPC, Energiepartner auf chinesischer Seite, unterzeichneten im September ein vorläufiges Lieferabkommen. Demnach sollen Exporte in den Osten über Hauptstränge in Sibirien laufen, die weiter westlich in diejenigen Pipelines münden, die auch Europa mitversorgen. Die Geldgeber für das Projekt stehen zwar noch nicht fest, von Gazprom hieß es aber, dass die chinesische Seite über eine Vergabe von Krediten nachdenke. Wahrscheinlich ist, dass die Finanzierung nach demselben Schema wie beim Bau der Öl-Pipeline laufen wird. Gegen Lieferverpflichtungen für die nächsten 20 Jahre wurden den russischen Ölfirmen Transneft und Rossneft chinesische Kredite über 7,5 und rund elf Milliarden Euro zugesagt.

Die Preisfrage

„Die Unterzeichnung des endgültigen Gasabkommens mit China ist für den Juli 2011 geplant“, sagt Gazprom-Sprecher Sergej Kuprijanow. Die wichtigste Frage aber, der Preis, ist noch offen. In einer Studie von Exxon und CNPC sind die Lieferselbstkosten des russischen Gases mit 180 US-Dollar pro tausend Kubikmeter angegeben. Für australisches und turkmenisches Gas bezahlt China aber nur 150 bis 160 Dollar. „Fällt der Endbetrag kleiner als 200 Dollar pro tausend Kubikmeter aus, würde Gazprom Verluste einfahren“, schätzt Witalij Krjukow von der IFD Capital Group. Erst ab 230 bis 250 Dollar pro tausend Kubikmeter rechne sich das Projekt. Oder wenn der Staat die Exportzölle senkt, die derzeit 30 Prozent betragen. Dies aber sei laut Krjukow durchaus möglich, denn der Einstieg auf dem schnell wachsenden chinesischen Gasmarkt sei primär politisch motiviert – auch wegen des Rückgangs der Gazprom-Anteile am europäischen Markt. Die geringe Gewinnspanne sei andererseits der Grund, warum Russland kaum mehr als die genannten 30 Milliarden Kubikmeter Gas nach China liefern wird. Eine Menge übrigens, die in keinem Verhältnis zum Exportvolumen des Energieriesen nach Europa stehe, sagt Stanislaw Tsygankow, Leiter der Abteilung Außenwirtschaft bei Gazprom. Er prognostiziert, dass durch langfristige Verträge rund 180 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich nach Europa geliefert werden – sechsmal so viel wie zukünftig nach China.



Reicht das Gas für alle?

Offizielle Stimmen garantieren Versorgungssicherheit für Europa: „Europa ist und bleibt der Markt Nummer eins für Gazprom“, versicherte Gazprom-Chef Alexej Miller in einem Gespräch mit Russland HEUTE. „Wir liefern aus Westsibirien nach Europa, die asiatischen Märkte werden jedoch über Ostsibirien versorgt“, so Miller. Andere Experten sind der Meinung, dass die deutschen Kunden von der chinesischen Pipeline sogar profitieren könnten. „Die geplanten Lieferungen nach China könnten die Zusammenarbeit mit Deutschland stabilisieren“, sagt Jaroslaw Lissowolik, Chief Economist der Deutschen Bank Moskau. Sich nur auf einen Absatzmarkt zu konzentrieren, berge zu starke Risiken sowohl für Lieferanten als auch für Abnehmer, so der Ökonom. Der europäische Markt ist für Gazprom äußerst lukrativ: Hier verlangen die Russen nach Schätzungen 305 bis 308 Dollar für tausend Kubikmeter, die Margen der Zwischenhändler nicht mitgerechnet.

„Im ersten Quartal dieses Jahres hat Gazprom 46,7 Prozent seines Gewinns auf dem europäischen Markt erzielt“, sagt Lissowolik. Einen großen Anteil daran habe Deutschland: Von den im letzten Jahr exportierten 140 Milliarden Kubikmetern gingen 31 Milliarden in die Bundesrepublik. Hinzu kommt, dass der deutsche Energieverbrauch schneller als in anderen Ländern wieder auf Vorkrisenniveau steigt – im ersten Halbjahr 2010 lieferte der Energiegigant bereits 20 Milliarden Kubikmeter. Ferner ist Deutschland seinem Zulieferer treu geblieben, im Gegensatz zur Türkei oder zu Italien, die den Import reduziert haben.

Mehrere Billionen Kubikmeter vorhanden

Die russischen Förderstätten sollen in jedem Fall die Nachfrage aus Ost und West gleichermaßen befriedigen: Das Unternehmen Gazprom könne seine Fördermenge jederzeit um weitere 100 Milliarden Kubikmeter erhöhen, sagt Krjukow. Gazprom-Sprecher Kuprijanow bestätigt, dass 2010 bereits 600 Milliarden Kubikmeter möglich seien, was gegenüber 2009 einem Zuwachs von 139 Milliarden Kubikmetern entspreche. Bis 2020 könne die Fördermenge sogar noch einmal auf 650 bis 670 Milliarden Kubikmeter erhöht werden. Die 158,8 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die Gazprom 2008 nach Europa lieferte, machten nicht einmal die Hälfte der Gesamtfördermenge von 512,2 Milliarden Kubikmetern in jenem Jahr aus. Russlands Erdgas wird überwiegend in Westsibirien gewonnen. Der Monopolist Gazprom verfügt nach eigenen Angaben über 33,6 Billionen Kubikmeter Erdgas, nach internationalen Schätzungen über etwa halb so viel - 18,6 Billionen Kubikmeter.

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