"Sie lächeln mehr als damals"

Kürzlich fand in einigen russischen Städten das deutsche Filmfestival statt. Jedes Jahr werden eine Woche lang die neusten deutschen Kinofilme gezeigt, in Originalsprache mit russischen Untertiteln. Zu diesem Ereignis kommen auch immer wieder gerne deutsche Schauspieler und Regisseure, um ihren Film vorzustellen und Fragen des Publikums zu beantworten. Till Schweiger, Moritz Bleibtreu und Volker Schlöndorf waren schon da. Dieses Mal kam Hans Weingartner. Russland HEUTE hat den Filmemacher interviewt.

Dieses Jahr besuchte das Moskauer Festival des deutschen Films der Regisseur Hans Weingartner. Er stellte drei Filme vor: Die fetten Jahre sind vorbei, Das Weiße Rauschen und Free Rainer – dein Fernseher lügt.  Im Gespräch mit Russland HEUTE erzählt Hans Weingartner, was ihn an Russland bewegt, worüber sein nächster Film handeln wird und was ihm an der Berichterstattung über Russland in Deutschland fehlt.

RH: In Ihrer Begrüßungsrede sagten Sie, dass Sie von der russischen Kultur sehr fasziniert sind. Was genau fesselt Sie an ihr?

Hans Weingartner:  Einerseits interessiert mich das Tiefe und das Schwere und das Bedingungslose, diese Melancholie und Hingabe zum Gefühl. Die Melancholie der Schwermut.

RH: Sie beschäftigen sich mit der russischen Seele?

Hans Weingartner: Ja, ich liebe Dostojewski.  „Schuld und Sühne“ ist mein Lieblingsbuch. Intensiv beschäftige ich mich mit der russischen Seele aber erst jetzt, als ich nach Russland gekommen bin.

RH: Vor sechs Jahren haben Sie in Moskau „Die fetten Jahre sind vorbei" schon vorgestellt. Hat sich die Stadt in dieser Zeit verändert?

Hans Weingartner: Ich finde Moskau sieht mittlerweile sehr viel europäischer aus. Ich habe das Gefühl, dass es den Menschen ein bisschen besser zu gehen scheint, als vor sechs Jahren. Das sieht man an den Gesichtern: sie lächeln deutlich mehr als damals.

RH: Glauben Sie, dass "Die fetten Jahre sind vorbei" in die russische Realität passt und vom russischen Zuschauer verstanden wird?

Hans Weingartner: Ich denke, dass sie wahrscheinlich die Anspielung auf die 68- ger Bewegung nicht ganz verstanden haben, da es sie in Russland nicht in der Stärke gab. Aber ich glaube sie fühlen sich sehr stark angesprochen von der Thematik, der Ideologie und von den Idealen in dem Film. Wie verändert sich ein Mensch im Laufe seines Lebens und wird man mit dem Alter zwangsläufig immer konservativer? Ab welchem Zeitpunkt werden Ideale gefährlich? Wann schlägt der Idealismus in Gewalt um? Diese Fragen haben gerade Menschen in Russland sehr stark am eigenen Leib erlebt. Außerdem denke ich, dass viele Russen meine Filme wegen ihrer positiven Naivität mögen. Die drei Protagonisten in „Die fetten Jahre sind vorbei“ glauben wirklich daran die Welt verändern zu können und sehen die Welt mit den Augen eines Kindes. Das assoziiere ich mit der russischen Seele. Das ist vielleicht ein Klischee, aber das fühle ich so. Das mag ich so sehr, sich dem Leben hinzugeben, nicht immer alles kontrollieren und planen zu wollen. So bin ich auch, deswegen mag ich Russland und Brasilien – diese beiden Länder haben Vieles gemeinsam.

RH: Sie drehen gerade einen neuen Film. Worüber handelt er?

Hans Weingartner: In meinem nächsten Film geht es um zwei Außenseiter: einen deutschen Obdachlosen und einem 10-jährigen ukrainischen Waisenkind, das nur Russisch kann – Viktor. Die beiden werden trotz der Sprachbarriere Freunde, ziehen in den Wald und leben dort. Den ukrainischen Jungen habe ich in Berlin entdeckt, da leben viele Russen.

RH: Woher haben Sie den Plot für diesen Film?

Ich habe mal einen Film gesehen, der hieß „Weiße Raben“. Da ging es um Waisenkinder in Moskau die unter unfassbaren Umständen leben, in Fabriken, an Bahnhöfen, und dabei auch Klebstoff schnüffeln. Das hat mich inspiriert. Ich wollte, dass die beiden Hauptdarsteller nicht miteinander sprechen, sondern nur über Blicke und Gesten kommunizieren – eben eine Sprachbarriere, die überwunden wird.

RH: Würden Sie einen Film in Russland drehen?

Hans Weingartner: Ja, das will ich unbedingt. Ich bin sicher, dass ich das eines Tages tun werde, wenn ich das richtige Drehbuch bekomme und die richtige Idee habe. Ich kenne Russland allerdings leider noch viel zu wenig, ich war bisher nur in Moskau und St. Petersburg.

RH: Worum würde es in einem solchen Film gehen?

Hans Weingartner: Ich finde das Thema Gerechtigkeit am faszinierendsten. Ich mag Filme, in denen ungerecht Behandelte sich dagegen wehren. Das sind immer meine Lieblingsfilme. Ich glaube, dass es in Russland sehr viel Stoff zum Thema Ungerechtigkeit geben müsste. Man hört ja bei uns immer, wie sich die Machthabenden in Russland benehmen. Das ist natürlich auch ein verzerrtes Bild, was man da bekommt, aber es scheint schon so zu sein, dass die Menschen, die das Geld und die Macht haben, sich hier Vieles erlauben. Aber ich will auch nicht arrogant wirken: Schließlich ist in Deutschland auch nicht alles so demokratisch, vor Allem jetzt gibt es sehr große soziale Unterschiede in der Bevölkerung. Die Reichen werden immer reicher, und die Armen immer ärmer. Das wusste Karl Marx schon vor 100 Jahren. So ist der Kapitalismus eben.

RH: Wo wir bei verzerrten Bildern sind: Was denken Sie über die Berichterstattung in Deutschland über Russland und seine Menschen?

 

Hans Weingartner: Man bekommt nicht so wahnsinnig viel mit, aber wenn mal etwas in der Zeitung steht, oder im Fernsehen kommt, dann schaue ich mir das an. Und ich bin immer erschrocken darüber, dass sich nichts zu ändern scheint, und dass die Zustände immer noch so schrecklich sind, wie vor sechs Jahren. Es gibt hier immer noch keine freie Presse und kein kritisches Fernsehen. Das ist schon ein bisschen schockierend. Aber was mir an der Berichterstattung extrem fehlt, ist ein Russland aus russischer Sicht. Alle Beiträge, die ich sehe oder lese kommen vom deutschen Fernsehen, von deutschen Zeitungen, von amerikanischen Zeitungen. Ich weiß aber, dass das Internet und die Blogs in Russland eine große Rolle spielen. Die Menschen weichen ins Internet aus, weil man dort die Wahrheit erfährt. Und das Problem ist, dass ich kein Russisch verstehe und kein kyrillisch lesen kann, und deswegen die russischen Blogs nicht lesen kann. Darüber würde ich einfach gerne mehr wissen.

RH: Herr Weingartner, wir danken für das Gespräch.

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