"Ich habe nicht mit Erfolg gerechnet"

Der Film "Kraj" des Regisseurs Alexej Utschitel hat nicht nur in Russland viel Aufmerksamkeit bekommen, sondern auch auf internationalen Filmfestivals positive Reaktionen herrvorgerufen. Die weibliche Hauptrolle spielte dabei die Deutsche Anjorka Strechel. In einem Interview spricht sie über die Dreharbeiten und ihre Erfahrungen in Russland.

 

RH: Hatten sie vor „Kraj“ schon einmal daran gedacht in einem russischen Film mitzuwirken?

Anjorka Strechel: Ich kannte vorher keine russischen Filme. Aber ich hatte den großen Wunsch, in einer internationalen Produktion zu spielen und in einem anderen Land zu arbeiten. Als dann die Anfrage von Utschitel kam, habe ich mich sofort mit dem Russischen Film beschäftigt und war sehr glücklich, dass ich die Ehre bekomme, in einem russischen Film mitspielen zu dürfen.

RH: Wie war ihr erster Eindruck vom Drehbuch und vom Regisseur?

Anjorka Strechel: Das Drehbuch habe ich vor dem Casting bekommen und ich fand es großartig. Ich wollte die Rolle unbedingt spielen. Diese Verlorenheit in der Wildnis, der Überlebenswille und der Kampf um Anerkennung und leben zu dürfen gefiel mir an Elsa. Beim Casting war schnell klar, dass der Regisseur und ich gut zusammen arbeiten werden. Er ließ mich vor einer Szene 1 Minute auf der Stelle springen, um den Puls hochzutreiben. Das mag ich, wenn etwas wirklich mit dem Körper passiert und man nicht pumpen muss. Dann kann man in der Rolle sein und muss nicht spielen.

RH: Wie verliefen die Dreharbeiten, gab es Schwierigkeiten aufgrund der Sprachbarriere?

Anjorka Strechel: Es war schwierig, weil ich anfänglich kein Russisch sprach und es mich irgendwann störte, dass ich mit den Menschen nicht persönlich sprechen kann, dass ich ihnen beim Reden nicht in die Augen gucken und unmittelbar oder emotional auf sie reagieren konnte. Aber meine Übersetzerin hat es sehr gut gemacht und dem Films hat es nicht geschadet. Es war allerdings schade, dass ich beim Catering nicht mal einen Witz machen konnte, wenn ich mir einen Kaffee holte.

RH: Was waren ihre persönlichen Highlights während der Dreharbeiten? 

Anjorka Strechel: Die Szenen mit Vladimir Mashkov und die Stunts sind mir am meisten im Gedächtnis geblieben, vor allem als ich in das 6 Grad kalte Wasser gesprungen bin. Vladimir ist ein wunderbarer Schauspieler und ein toller Kollege. Es war eine Freude, die wenigen Sprechszenen mit ihm zu spielen, wo wir tatsächlich etwas voneinander abnehmen konnten. Und die Arbeit mit dem Stuntteam hat viel Spaß gemacht. Sie haben alle gefährlichen Szenen vorbereitet und mit mir geprobt, das war eine schöne Erfahrung.

RH: Was hat sie an der Arbeit mit dem russischen Team am Meisten bewegt?

Anjorka Strechel: Das Team war sehr aufgeschlossen und permanent damit beschäftigt, dass es mir ans Nichts fehlte, es waren sehr charmante Herren und fürsorgliche Frauen am Set, die ihr Bestes gaben, damit ich mit der Sprache vertraut werde, was mich wiederum zum Lernen angespornt hat.

RH: Hatten sie vor „Kraj“ schon Russland-Erfahrungen machen können?

Anjorka Strechel: Zwei Jahre vor Drehbeginn war ich schon einmal in Twer, wo ich mit dem Theater ein Gastspiel hatte. Wir waren vier Tage dort und einen Tag in Moskau. Wir haben sehr zentral,  auf der Hauptstraße Twerskaja gewohnt, und uns natürlich den Kreml und den Roten Platz angeschaut. Abends waren wir noch in einem tollen Restaurant essen. Ich mag die Gastfreundschaft der Russen sehr, ihre Aufgeschlossenheit, sobald man mit ihnen in Kontakt kommt. 

RH: Haben Sie mit solch einem Erfolg des Films gerechnet und den „Goldenen Adler“ als Beste weibliche Hauptdarstellerin in Russland?

Anjorka Strechel: Ich hab nicht mit diesem riesigen Erfolg gerechnet. Als wir drehten, merkte ich natürlich, dass es ein großer Film wird und ein Meisterwerk entstehen kann, aber Film ist Teamarbeit und da spielen so viele Faktoren zusammen. Es hat mich sehr gefreut, als ich den fertigen Film gesehen habe und dass er den Zuschauern gefällt. Ich wurde nicht enttäuscht. Der Regisseur, dem man ein großes Vertrauen entgegenbringen muss, hat einen großartigen Film geschaffen und ich bin sehr glücklich, dass ich meinen bescheidenen Teil dazu beitragen konnte. Der Filmpreis ist die größte Auszeichnung, die ich für meine Arbeit bekommen konnte, denn gerade als Ausländerin habe ich nicht gedacht, dass mir der „Goldene Adler“ verliehen wird und ich damit „Schauspielerin des Jahres“ werde. Ich freue mich, dass meine Arbeit und mein Spiel in Russland so viel Anerkennung bekommt.

RH: „Kraj“ wurde auch in Berlin gezeigt – wie kam er beim deutschen Publikum an?

Anjorka Strechel: Die Zuschauer in Berlin waren sehr interessiert. Es gab nach den Filmvorführungen ein Q&A und viele Zuschauer blieben über eine halbe Stunde im Saal sitzen, bis das Einlasspersonal uns rausschmiss, weil der nächste Film losgehen musste. Viele Fragen wurden mir dann noch vor der Tür gestellt. Das zeugt von emotionaler Beteiligung und echtem Interesse, wenn Zuschauer sich nach dem Screening noch mit dem Film beschäftigen wollen. Das hat mich sehr gefreut!

RH: Haben Sie schon weitere Angebote in russischen Streifen mitzuwirken?

Anjorka Strechel: Ich hab großes Interesse, weiter in Russland zu arbeiten wie auch in Deutschland. Am liebsten möchte ich in beiden Ländern arbeiten. Es gab bisher einige Gespräche und es wird sich in der nächsten Zeit zeigen, was aus den Projekten wird.

RH: Wie schätzen sie die Wichtigkeit der Message des Filmes für Deutschland und Russland ein?

Anjorka Strechel: Der Film sagt: „Es gibt keine Feinde.“ Das hat nichts mit einzelnen Ländern zu tun, sondern ganz allgemein mit sich gegenüberstehenden Menschengruppen, die sich gegenseitig nicht verstehen. Daher ist der Film sehr wichtig, weil er in die andere Richtung schaut und probiert die Leute aus ihren Mustern herauszuholen, die sie immer mit sich herumtragen. Die deutsch-russische Freundschaft und Vergangenheit wird erzählt und der Film ist auch für junge Leute relevant, weil sie es sind, die die Gesellschaft verändern können, die nicht alles nachmachen müssen, was unsere Eltern getan haben. Die jungen Menschen haben die Kraft, das Denken zu verändern und sich auch mal in Geschichten Anderer hinein zu versetzen, auf Menschen zuzugehen, die vielleicht anders sind als wir, aber deswegen noch lange nicht uninteressant.

RH: Vielen Dank für das Interview.

Mehr über Anjorka Strechel erfahren sie auf ihrer Webseite.

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