Rentner gesucht

In Russland arbeiten Rentner oft als Museumsaufseher. Foto: Itar-TASS

In Russland arbeiten Rentner oft als Museumsaufseher. Foto: Itar-TASS

Die Gesellschaft altert, und das wird jetzt nicht mehr nur negativ bewertet. Laut einer Studie des Unternehmens „Accenture“ und des Marktforschungsinstituts „Oxford Economics“ bietet diese Tendenz neue Chancen für das Wirtschaftswachstum.

Das Bruttoinlandsprodukt der USA und einiger europäischer Länder soll um 2 bis 2,5% steigen. Dafür müssen neue Arbeitsplätze für ältere Leute geschaffen, Produktion und Konsum von Waren für diese soziale Gruppe gesteigert werden. Doch gilt das auch für Russland? Anatoli Wischnewski, Direktor des Instituts für Demografie, der Hochschule für Wirtschaft, in Moskau ist sich nicht sicher. „Ich zweifle an einen Wirtschaftswachstum durch die Alternde Bevölkerung, sowohl für den Westen, als auch für Russland".

Demografie Experten unterscheiden zwei Arten des Alterns der Gesellschaft: von unten und von oben. Wenn die Geburtenrate sinkt, die Zahl der Alternden also nicht absolut, sondern nur relativ zunimmt ist dies das Modell „von Unten“. Von Oben bedeutet, dass die Sterblichkeit sinkt und die Lebenserwartung der alten Menschen steigt, die Zahl der Alternden also sowohl absolut als auch relativ zunimmt. In Westeuropa geht der Alterungsprozess der Gesellschaft größtenteils von oben aus, während er in Russland nur von unten kommt. Die Lebenserwartung älterer Menschen in Westeuropa steigt, so dass neue Arbeitsplätze für diese Bevölkerungsgruppe relevant wären. In Russland dagegen erreichen noch nicht einmal alle Menschen das Rentenalter, und die, die es erreichen, haben eine niedrige Rente, angegriffene Gesundheit und sind beruflich gesehen nicht mehr auf dem Neusten Stand.

Monostädte stark betroffen

Männer im arbeitsfähigen Alter sterben in Russland zehn Mal häufiger, als beispielsweise in den USA. Das bedeutet, dass unabhängig von Faktoren wie etwa Arbeitslosigkeit, russische Männer im Durchschnitt mit 20 Jahren anfangen zu arbeiten und wenn sie in Rente gehen, schon volle 40 Jahre gearbeitet haben. Wenn sie es allerdings bis ins Rentenalter schaffen. „Monostädte“, also von einem einzigen Industriezweig abhängige Städte, sind ein krasses Beispiel für die Probleme einer alternden Bevölkerung. Jugendliche ziehen weg, weil es keine Arbeit gibt, die Geburtenrate sinkt also, die Bevölkerung altert von unten immer mehr. Das sei ein weiteres Hindernis für eine wirtschaftliche Entwicklung in solchen Städten, behauptet der Direktor des Demographie-Instituts.

Hohe Erwerbstätigkeit der Rentner

Oxana Sinjawskaja vom Unabhängigen Instituts für soziale Politik in Moskau, schätzt die Erwerbstätigkeit der Menschen im Rentneralter als höher ein, als in vielen Ländern Westeuropas. „Die meisten arbeiten bei uns noch 3-5 Jahre nach der Pensionierung, während in Westeuropa viele noch vor dem Rentenalter in den Ruhestand treten. Der Zuwachs an Arbeitskräften durch die Einrichtung von Arbeitsplätzen für Rentner fällt dort also deutlich höher aus als bei uns. In Russland arbeiten ohnehin alle, die es können. Wer dies nicht tut, hat dafür gesundheitliche Gründe. Um auf diese Bevölkerungsgruppe zurückgreifen zu können, muss man den Schwerpunkt auf ein besseres Gesundheitssystem legen“.

Was die Steigerung des Konsums betrifft, so ist dies unmittelbar von den Einkünften der alten Leute abhängig. Im Alter von 50-65 Jahren sind die Rente und Gehalt die Einnahmequelle. Bei über 65-jährigen sind es Bedarfsdeckungswirtschaft, Unterstützung von Verwandten, und Erspartes. Das alles zusammen ist kein Vergleich zu dem Konto der Rentner im Ausland. Den Konsum unter russischen Rentner zu steigern wäre also schwierig. Aber das heißt nicht, dass es in dieser Richtung keinen Handlungsbedarf gibt. In 30-40 Jahren wird sich die Altersstruktur der Bevölkerung in Russland stark geändert haben, den größten Anteil werden Menschen über 45 Jahre stellen. Die Wirtschaft muss sich entsprechend umorientieren, darunter auch, was das Angebot der Waren und Dienstleistungen betrifft.

Dieser Beitrag wurde in der Zeitung Wedomosti veröffentlicht.    

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