Tertium non datur - gebt 3D keine Chance

3D-Fans. Foto:Kommersant

3D-Fans. Foto:Kommersant

Wie jedes Jahr werden die schlechtesten Filmemacher, Schauspieler und Produzenten 2010 mit der „Goldenen Himbeere“ ausgezeichnet. Diesmal wurde der russische Regisseur Andrej Kontschalowski mit seinem Animationsfilm „Nussknacker 3D“ für die Antiprämie nominiert.Der russische Filmkritiker und Kolumnist des Trend- und Kulturmagazins „Afischa“ Daniil Dugajew nimmt das zum Anlass und wettert gegen die Vergewaltigung des Mediums Film.

Es ist schon eine Weile her, da gab es im alten Leningrad, Newski Prospekt 88 ein ganz besonderes Kino. Über dem Eingang stand "Stereokino" in den altmodischen verschnörkelt-bauchigen Lettern sowjetischer Schriftgestaltung.


Drin bekam man eine versiffte rot-blaue Brille und konnte sich anderthalb Stunden lang in rot-blauer Stereoansicht irgendeinen Fantasy-Trash über futuristische Amazonen reinziehen, die sich in einem hirnlosen Roadmovie gegenseitig umballerten. Selbst die gepriesenen Spezialeffekte waren lau und fadenscheinig. Trotzdem: So wie jeder fromme Moslem ein Mal im Leben nach Mekka muss, zog es jeden Leningrader mindestens ein Mal ins Stereokino. Und spätestens wenn man aus dem Kino wieder auf den Prospekt trat, wussten die meisten,  dass sie  einem Phantom aufgesessen und grandios beschissen worden waren. Es lohnte sich nicht, für ein Versprechen auf die Zukunft einen müden Rubel auszugeben. 

So nach und nach begriffen die heimlichen Hauptstädter an der Newa, , dass sich hinter den neumodischen Streifen in „Stereo“ respektive „3D“ nur heiße Luft verbirgt und dass nichts an den Pionier des Genres „Robinson Crusoe“– einen sowjetischen Filmklassiker von 1947 – herankommen würde. Hardcore-Cineasten und Fans der damals heiß begehrten rot-blauen Brillen zelebrieren noch heute ihre Leidenschaft: Sie stellen ihre Filmschnipsel auf YouTube.

Leute, wart ihr denn noch nie im Newski 88?

Heute, wenn die Animationsstreifen weltweit floppen und die Fernseher-Produzenten ihre 3D-tauglichen Flachbildschirme zu Selbstkosten anbieten wie Sauerbier, wäre es vielleicht an der Zeit zu fragen: Leute, wart ihr denn noch nie im Newski 88?


Es hilft auch nichts, wenn Camerons „Avatar“ sich ganz gut verkaufte. Der ging ja noch.  „Tron: Legacy“ vielleicht auch noch. Hollywood-Produzenten jeglicher Couleur versuchen krampfhaft, den Erfolg Camerons zu wiederholen und motzen jeden zweiten Film mit 3D auf, rendern, wie sie es kineastisch nennen. Uns erfasst eine richtige 3D-Lawine:  „Der gestiefelte Kater“ in 3D und „xXx: The Return of Xander Cage“. Und dazu auch noch ein animierter „Nussknacker“ eines minderbemittelten Filmemachers aus Russland, der den Zug der Zeit nicht verpassen will. Und das ist wirklich zu viel, denn die Probleme von 3D sind nicht gelöst und werden es wohl auch nie sein.

Wahrnehmungs-Safari

Das größte Problem ist der Mensch selbst. Sein Gehirn ist nun mal nicht Solaris. Wenn es Schwärme von schnell bewegten, flimmernden und flackernden Objekten verarbeiten muss, läuft es heiß wie ein übertakteter Prozessor. Vielleicht  ließe sich das Flackern durch immer klügere Technologien noch beheben. Doch wie hält man den Zuschauer bei Laune und Handlung,  wenn er den Abstand zu den virtuellen Dingern auf der Leinwand erst im Kopf zusammensetzen muss?

Doch der zerstreuungssüchtige Zuschauer erträgt auf seiner Wahrnehmungs-Safari eine ganze Menge. Deswegen müssten Produzenten, die heute ihre ganze Kohle für 3D-Flops ausgeben, jetzt schon neue Knüller für ihre morgige Klientel austüfteln. Wenn ihnen schon die Inhalte und Ideen ausgehen, sollten sie auf neue, kreative technologische Innovationen setzen. Man könnte darüber nachdenken, ob man Kinnovationen, die einstmals mutig waren, aber wieder in der Mottenkiste gelandet sind, nicht doch wieder reaktiviert. Etwa den Kinosessel, der “ besonders spannende Stellen mit Hochspannung sehr effektvoll unterstreichen, oder die Windmaschin, die einem beim Fliegen Tränen in die Augen blasen könnte. Aber trotz aller Neuerung wäre es wohl so, dass nach einem oder zwei Kinobesuchen es schon wieder langweilig würde.  

Natürlich gäbe es dann noch die Smell-O-Vision, die der herkömmlichen Filmdimension noch den Geruch zufügte. In den 60ern scheiterte das Novum leider an der Geschwindigkeit der Geruchsverteilung: Über den hinteren Reihen lag noch der Gestank von verbranntem Fleisch, während vorn die Luft mir Rosenduft geschwängert wurde und dazu auf der Leinwand die Knospen trieben. Zwar würde es beim x-ten Remake von „Star Wars“ eher weniger bringen, aber dei den kessen Amazonen könnte es einen vielleicht echt umhauen.

Daniil Dugajew ist langjähriger Filmkritiker und Kolumnist des Stadmagazins „Afischa“, in dem dieser Beitrag auch erschien.

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