Warum Morgan Stanley noch zögert, in Dagestan zu investieren

Dombaj im Nordkaukasus: Das Skigebiet geht auf über 3000 Meter Höhe, umgeben von Viertausendern. Foto: Lori/Legion Media

Dombaj im Nordkaukasus: Das Skigebiet geht auf über 3000 Meter Höhe, umgeben von Viertausendern. Foto: Lori/Legion Media

Der Nordkaukasus mit seinen sechs Republiken soll zum Tourismus-Cluster werden. Dafür sind bis 2025 15 Milliarden Euro eingeplant. Aber viele Inves-toren sind noch skeptisch.

Hadschi-Murad Magomedrassulow hat neun Jahre in Moskau gelebt. Als er von den Plänen der Regierung hörte, aus dem Nordkaukasus ein Urlaubsparadies zu machen, ging er zurück in seine Heimat Dagestan.

Zu Sowjetzeiten war die russische Teilrepublik ein beliebtes Reiseziel mit Hotels, sportlichen Einrichtungen und Jugendherbergen. Die schneesicheren Berge lockten Skifahrer aus der ganzen Sowjet-union an, und Badegäste aalten sich am Kaspischen Meer in der Sonne. Auch kulturell hatte Dagestan einiges zu bieten.

Heute ist die Region ein Notstandsgebiet – touristisch wie wirtschaftlich. Die Arbeitslosenquote liegt bei über 20 Prozent, und besonders hoch ist sie unter jungen Leuten. Um der Misere entgegenzuwirken, wurde im letzten Jahr ein staatliches Entwicklungsprogramm beschlossen, das vier Wirtschaftsbereiche umfasst: Tourismus, Landwirtschaft, Energiewirtschaft und Verkehrswesen. Auch die Jugend- und Bildungspolitik soll eine größere Rolle spielen.

Mehr Geld für Jugendarbeit

Grigori Schwedow, Chefredakteur des Internetportals caucasianknot.org, das sich dem Kaukasus widmet, sieht in der Jugendarbeit eine wichtige Komponente des neuen Regierungsprogramms.

„Die Ansichten und Werte der jungen Menschen müssen sich ins Positive entwickeln, sie brauchen sinnvolle Lebensperspektiven.“ Momentan versinke die Region jedoch in der Gesetzlosigkeit.

Der 30-jährige Magomedrassulow lässt sich davon nicht abschrecken. Er rechnet mit einem Anwachsen des Tourismus und will in der Hauptstadt Machatschkala ein Reisebüro eröffnen. Er hat vor, Badereisen, Wanderungen und Ethnotouren anzubieten.

„Jedes Jahr kommen viele Touristen aus Moskau und Sankt Petersburg hierher. Und Ausländer, die von Bekannten gehört haben, wie schön es hier ist“, sagt er. Aber er räumt auch ein, dass die Republik keinen guten Ruf genieße. Der Wahhabismus treibe jedoch keinen Kaukasier dazu, einen Touristen zu überfallen, denn Gäste gelten im Kaukasus als unantastbar. Er jedenfalls fühle sich in Dagestan sicherer als beispielsweise auf Moskaus Straßen.

Manche ausländischen Investoren sehen das inzwischen genauso. Anatoli Karibow, Leiter der Tourismus-Agentur von Machatschkala, erklärt, die türkische Hotelgruppe Pegasos habe Interesse an drei Objekten bekundet, darunter ein Hotelkomplex am Kaspischen Meer. Mit einem einzigen türkischen Investor kommt man allerdings kaum auf die 15 Milliarden, die die Entwicklungsagenda vorsieht, eine Summe, die doppelt so groß ist wie das Budget für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi.

Vier Milliarden Fremdkapital

Deutsche Investoren etwa halten sich mit ihrem Engagement in der Unruheregion Kaukasus noch zurück, wie die Auslandshandelskammer in Moskau bestätigt. Laut caucasianknot.org wurde bereits bei Morgan Stanley, J.P.Morgan, Citibank, Allianz Group und anderen internationalen Investmentfonds mit Investitionsvorschlägen geworben – bislang jedoch ohne großen Erfolg.

Von den 15 Milliarden Euro Investitionssumme werden etwa elf Milliarden vom Staat kommen, der Rest muss fremdfinanziert werden. Ihre Verteilung wird nach Meinung von Experten unter wenigen Akteuren erfolgen, und zwar den großen Tourismusunternehmen, den Firmen russischer Oligarchen sowie Energiekonzernen, die die Infrastrukturprojekte realisieren. Für den Mittelstand und Kleinunternehmer bleibe da nur wenig übrig.

Kommentar

Es muss darum gehen, eine Brücke zu den Aufständischen zu schlagen

Orchan Dschemal, Kaukasus-Experte


Vor einem Jahr wurde der Unruheherd Nordkaukasus aus der Föderation Südrussland ausgegliedert und zu einem eigenen Verwaltungsbezirk unter Generalgouverneur Alexander Chloponin zusammengeschlossen. Dieses Konzept erscheint mehr als sinnvoll. Hätte die Regierung schon vor zehn Jahren entsprechende Initiativen ergriffen, wäre die Situation in dieser Region nicht eskaliert. 
Doch so gab es einen idealen Nähr-boden für den Terrorismus. Die zunächst sozialen Proteste gingen schon bald in religiösen Widerstand über. Die sozialen Motive sind seitdem in den Hintergrund gerückt. Heute schließen sich dem islamistischen Untergrund „in den Wäldern“ alle Bevölkerungsschichten an. Die wirtschaftlichen Missstände verschärfen lediglich seine Ideologie.


Inzwischen ist praktisch das gesamte öffentliche Leben im Nordkaukasus unter terroristischer Kontrolle. Deswegen leistet Alexander Chloponins Programm eher einen Beitrag zur Stabilisierung der Lage, ein Allheilmittel gegen Terrorismus ist es nicht. 
Im Nordkaukasus gibt es renommierte Reiseziele, die einen Ausbau des Fremdenverkehrs sinnvoll machen. 
Jedoch wurden in Machatschkala Sprengsätze schon lange vor den Terroranschlägen in Moskau gezündet – als Warnung für die nach islamischer Auslegung allzu freizügig bekleideten Touristen.


Zur Lösung des Problems müssten Vermittler gefunden werden, deren Beziehung zum „Wald“ gut genug ist, um Einfluss auf die Aufständischen auszuüben. Auch sollte man islamische Parteien zulassen, regionale Mandatsträger wählen lassen und Kompromisse zwischen Scharia und weltlicher Gesetzgebung finden.


In diese Richtung ist bislang nur der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow gegangen. Indem er seinen ehemaligen Gegnern sinnvolle Aufgaben zuteilte, hat er sie aus den tsche-tschenischen Wäldern gelockt. Sie wurden Verwaltungschef eines Dorfes oder bekamen einen Posten bei der Polizei. Sowohl in Dagestan als auch in Inguschetien muss es vor allem darum gehen, eine Brücke zu den Aufständischen zu schlagen. Die Islamisten müssen die Möglichkeit haben, den Untergrund zu verlassen und politisch für ihre Ziele zu kämpfen.


Der Moskauer Politologe Orchan Dschemal ist Nordkaukasus-Experte, Publizist und ehemaliger Autor der russischen Newsweek.

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