Russland modernisiert sein Gesundheitssystem

. Foto: Ria Novosti

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Die russische Verfassung garantiert allen Bürgern kostenlose medizinische Grundversorgung. Dieses seit den Sowjetzeiten bestehende Grundrecht ist auch der Grund für die hohe Anzahl von Ärzten und Kliniken pro Kopf der Bevölkerung. Aber: Russlands Krankenhäuser sind über die Jahre verkommen und unterfinanziert. Bestechung und Korruption sind an der Tagesordnung, da die Ärzte ihre kargen Gehälter durch zusätzliche Einnahmen von Patienten aufstocken.

Diese Probleme werden auch der russischen Regierung immer bewusster, und sie hat jetzt reagiert. Premierminister Wladimir Putin bekräftigte im März, dass die Gesundheitsversorgung „staatliche Priorität Nummer 1“ hat. Dazu wird der Kreml nun mit einer Reform des nationalen Gesundheitssystems, einem der vier großen “Nationalen Projekte” des russischen Staates (neben dem Wohnungsbau, dem Bildungssystem und der Agrarwirtschaft), die es seit 2005 gibt, ernst machten. Russland werde in diesem Jahr, so der Premier, 4,5 Milliarden Rubel (110 Millionen Euro) in moderne Medizinprodukte und -technik an den medizinischen Einrichtungen der 55 Regionen investieren.

Mit der Reform des Gesundheits- und Pharmaziesektors schlägt der Kreml gleich zwei Fliegen auf einmal: Zum einen soll das Leben der russischen Bürger verbessert und zum anderen wird die Wirtschaft angekurbelt werden.

Während einer kürzlich durchgeführten Inspektionsreise in die Stadt Brjansk an der Grenze zur Ukraine betonte Putin, dass die Entwicklung der Produktion heimischer Hi-Tech-Ausrüstungen in der Medizintechnik für die russische Regierung und die regionalen Verwaltungen höchste Priorität einnimmt. Seinen Worten zufolge plant die Regierung dafür im Zeitraum von 2008 – 2013 Ausgaben in Höhe von insgesamt 3,2 Milliarden Euro.

Die vom damaligen ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedjew begonnene Reform des Gesundheitssektors wurde in die Reihe der „Nationalen Projekte“ aufgenommen und hat bisher schon sichtbare Fortschritte erreicht. Das Management der medizinischen Einrichtungen wurde verbessert und die Gehälter von Ärzten kräftig angehoben. Selbst an eine neue Flotte von Krankenwagen wurde gedacht. Ende letzten Jahres verkündete Putin, die Zahl der russischen Bürger, die in den Genuss von modernster Medizin kamen, sei in den vergangenen fünf Jahren um das Fünffache auf 290.000 angestiegen. Das hört sich viel an, doch es gibt noch immer viel zu tun.

„Um bis 2020 das EU-Niveau auch bei uns zu erreichen, muss Russland die Ausgaben im Gesundheitssektor jährlich um rund 15 Prozent erhöhen", markiert Lew Jakobson, Prorektor der Hochschule für nationale Wirtschaftsforschung, die Messlatte.  

Auch für Präsident Dimitri Medwedjew hat die Verbesserung des Gesundheitssystems in Russland oberste Priorität. Anfang April hat er in einer Rede in Magnitogorsk die Investitionen in das Gesundheitssystem als ein Schlüsselelement im "Aktionsplan für Russlands Erneuerung" bezeichnet. Er griff dabei die Berechnungen von Lew Jakobson auf und sagte zu, die Regierung werde die Ausgaben für Gesundheit, Pharmazie und Medizintechnik um jene 15 Prozent erhöhen, die nötig sind, um den russischen medizinischen Standard auf EU-Niveau zu heben.

Medikamente "made in Russia"

Ein nicht geringeres Ziel der Reform besteht darin, die heimische Industrieproduktion im pharmazeutischen sowie medizintechnischen Bereich deutlich auszuweiten. Anfang April gab Wladimir Putin vor, Russland werde bis 2020 mindestens die Hälfte aller benötigten Medizinprodukte selbst herstellen, denn zurzeit seien es nur elf Prozent. Deutschland ist hier gut im Geschäft. Unternehmen wie Stada und Berlin-Chemie sind bei Arzneimitteln aktiv; Siemens, Dräger und Fresenius Medical Care stellen sogar ein knappes Drittel der russischen Medizintechnikimporte.

Und Putin machte deutlich, wie das gelingen kann: Der Staat wird bis zu 950 Millionen Euro bereitstellen, um die Produktion von medizinischen Erzeugnissen mit verschiedenen Maßnahmen zu fördern.


Putin im Krankenhaus. Foto: Ria Novosti
Russischer Premier Wladimir Putin im Krankenhaus. Foto: RIA Novosti


Zudem hat der Kreml ein Programm aufgelegt, das für große internationale Pharmakonzerne Anreize schafft, in Russland zu investieren bzw. ihre Investitionen auszuweiten. Es funktioniert nach dem Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche": Auf der einen Seite drohen höhere Importzölle auf medizinische Produkte, während Unternehmen, die ihre Produktion nach Russland verlegen, mit Steuererlässen rechnen können. Die russische Regierung verfolgt ein Kalkül: Schließlich ist der russische Markt so groß, dass ihn die großen internationalen Konzerne einfach nicht ignorieren können. Russland importierte 2010 Medikamente und sonstige Medizinprodukte im Wert von 6,2 Milliarden Euro.  

Das eingeleitete Programm zur verstärkten Investition in den pharmazeutischen und medizintechnischen Sektor kann bereits erste Erfolge verbuchen. Der multinationale Pharmakonzern AstraZeneca hat Anfang April in Kaluga mit dem Bau einer neuen, 100 Millionen Euro teuren Produktionsstätte samt Forschungs- und Entwicklungszentrum begonnen. Durch Akquisition hingegen will das finnische Unternehmen Orion auf den russischen Markt kommen. Damit folgen die beiden Unternehmen dem Beispiel von Novartis und GlaxoSmithKline, die bereits gut im russischen Pharmamarkt mitmischen.  

Alle in der Gesundheitswirtschaft eingeleiteten Maßnahmen werden  assistiert von einem Kraftakt der politischen Gesundheitsreform: Die staatliche Pflichtkrankenversicherung wird von einem steuerfinanzierten in ein beitragsfinanziertes System wie in Deutschland umgewandelt. Damit soll sowohl an die aus früheren Jahren gewohnte Vollversorgung angeknüpft als auch der technische Höchststand wie im Westen erreicht werden. Russland hat sich viel vorgenommen.


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