Kurzinterviews vom Petersburger Dialog

Teilnehmer des Petersburger Dialogs haben Russland HEUTE exklusive Interviews gegeben.

Andrej Netschajew, Wirtschaftsminister a.D., Gründer des deutsch-russischen Jugendparlaments, ist regelmäßiger Teilnehmer des Petersburger Dialogs.

Andrej NetschajewAndrej Netschajew. Foto: Kommersant

RH: Dieses Jahr tagt das siebte deutsch-russische Jugendparlament. Wie hat es sich in den letzten Jahren entwickelt, gibt es Unterschiede zu den ersten Parlamentssitzungen?


Die Teilnehmer sind immer erfahrener. Vor allem von der russischen Seite sind das Jugendliche, die schon relativ große Erfahrungen in der zivilgesellschaftlichen Arbeit haben. Sie machen eigenen soziale Projekte in ihren Regionen oder sind Mitglieder in regionalen Parlamenten. Das sind sozial aktive junge Menschen. Und wenn die Ausarbeitungen des ersten Jugendparlaments naiv und romantisch waren, so sind das jetzt sehr konkrete, deutliche und nützliche Ausarbeitungen, die die Jugendlichen der Kanzlerin und dem Präsidenten vortragen. Es funktioniert mittlerweile wie ein echtes Parlament.

RH: Sind die russischen Teilnehmer ideologisch stark geprägt? Viele von ihnen sollen auch Teilnehmer des Seliger-Treffens sein.


Ich habe die Bewerbungen alle persönlich gelesen und in keiner stand es geschrieben, dass der Eine oder Andere Teilnehmer beim Seliger-See-Forum gewesen ist. Entweder sie wollen es nicht preisgeben, oder sie waren es wirklich nicht. Die meisten Teilnehmer des deutsch-russischen Jugendparlaments haben sozial ausgerichtete Projekte, nicht politische. Und sie sind auf Deutschland ausgerichtet.

RH:  Entsteht zwischen den Deutschen und den Russischen Teilnehmern tatsächlich ein Dialog?


Ja, davon bin ich überzeugt. Die Teilnehmer diskutieren sehr aktiv miteinander. Und sie lernen auch Kompromisse zu finden und aufeinander zu hören. Das ist schon die beste Grundlage für einen Dialog.

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Prof. Dr. Rainer Lindner, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, nahm in der Wirtschaftsarbeitsgruppe beim 11.Petersburger Dialog teil.

Prof. Dr. Rainer Lindner

RH: Welche Themen standen in der Arbeitsgruppe Wirtschaft im Mittelpunkt?

Es ging um drei Dinge. Erstens, wie sieht nach dem Atomausstieg die Energieversorgung Deutschlands aus und welche Rolle spielt Russland dabei. Wir rechnen mit 30% mehr Gasimporten und da wird Russland eine wichtige Rolle spielen, v.a. weil die EU-Produktionskapazitäten rückläufig sind. Die russische Seite hat sich hier stark angeboten und möchte auch mit entsprechenden Geschäften beteiligt werden an dieser Wende im Energiebereich und das ist für uns eine interessante Entwicklung. Zweitens, ging es um die Verwendung von seltenen Erden und seltenem Metall, in beispielsweise dem Automobilbau. Auch da haben die Russen strategische Vorteile und die wollen wir gemeinsam nutzen. Es ist die Idee angesprochen worden eine Rohstoffpartnerschaft auch bei den nicht-energetischen Rohstoffen zu schaffen. Der dritte Aspekt ist sehr praktisch: in einzelnen Regionen Russlands bestehen sehr gute Produktionsmöglichkeiten, beispielsweise von Lithium-Batterien und bestimmten wichtigen Bauelementen für wirtschaftliche Bereiche, bis hin zu der Frage, wie man den Lokalisierungsgrad der Produktion verbinden mit dem Thema der seltenen Erden, seltenen Metalle. Insofern war es eine sehr konkrete Debatte und das ist eine gute Entwicklung der AG Wirtschaft des Petersburger Dialogs.

RH: Bleibt es nur bei Gesprächen, oder lässt sich die Umsetzung der Pläne auch schon prognostizieren?


Rainer Lindner:  Zumindest sind die Diskussionen so gewesen, dass auch die Partner, die durchaus Entscheidungsbefugt sind, an ihnen beteiligt waren und sehr konkrete Dinge angesprochen wurden. Ich glaube, dass ist eine neue Qualität, die beim diesjährigen Petersburger Dialog erreicht wurde. Die Wirtschaft hat aber auch andere Formate, die dann noch viel stärker an dem unternehmerischen Interesse dran sind. Dieses Forum ist in erster Linie ein Ort der Begegnung, und ich glaube es ist wichtig, dass sich die Wirtschaft an dem Diskurs der Gesellschaft beteiligt und sich nicht entzieht.

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Ulrich Brandenburg, deutscher Diplomat und zur Zeit Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Russischen Föderation.

Ulrich Brandenburg 

Ulrich Brandenburg. Foto: ITAR-TASS 


RH: Was stand in der Arbeitsgruppe „Politik“ im Mittelpunkt?


Im Mittelpunkt stand das Thema Europäische Sicherheit. Das ist kein neues Thema, viele haben auch im ersten Teil der Diskussion weit in die Geschichte zurück gegriffen. Ich habe mir eine stärker zukunftsorientierte Diskussion erhofft.

RH: Wie hat sich ihrer Meinung nach der Petersburger Dialog im Laufe der Jahre verändert?


Ich erinnere mich an den zweiten und dritten Dialog in Weimar und St.Petersburg. Das Themenspektrum hat sich erweitert. Es ist eine ganze Reihe von Zusatzgruppen dazu gekommen. Der Bereich Kirchen, um ein Beispiel zu nennen, oder das Sozialforum im Arbeitsbereich Zivilgesellschaft. Man muss immer im Auge behalten, dass sich die Gesellschaften in Deutschland und Russland unterschiedlich entwickelt haben und auch eine unterschiedliche Geschichte haben, auch heute unterschiedlich strukturiert sind und das muss man versuchen so zusammen zu bringen, dass möglichst viel dabei heraus kommt.

RH: In den Diskussionsrunden des diesjährigen Petersburger Dialogs ist auch das jetzige deutsch-russische Wissenschaftsjahr. Gibt es ein besonderes Projekt, was im Rahmen dieses Jahres heraussticht?

Ein deutsch-russisches Wissenschaftshaus ist in Planung. Wenn ich einen Modebegriff verwenden dürfte – es soll ein One-Stop-Shop werden, das heißt, eine Anlaufadresse für alle Wissenschafts- und Bildungsprojekte zwischen unseren Ländern. Auch alle deutschen wissenschaftlichen Organisationen, die es momentan in Moskau gibt, sollen dort gesammelt werden. 

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Ernst-Jörg von Studtnitz, Botschafter der BRD in Moskau a.D. und Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Zivilgesellschaft“.

Ernst-Jörg von Studtnitz 

Ernst-Jörg von Studnitz. Foto: Pressebild


RH: Welche Themen standen in der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft beim diesjährigen Petersburger Dialog im Mittelpunkt?

Die Visafrage sticht ganz weit hervor. Eben diese Frage belastet schon seit Jahren die deutsch-russischen Beziehungen, weil man nicht so viele freie Reisen ermöglichen kann, wie man es gerne hätte. Eine andere Frage ist die der Gestaltung der Arbeit von NGOs in Russland und nicht nur, sondern für jegliche bürgerlichen Aktivitäten in der Gesellschaft. Es heute in Russland Gesetzgebungen, die diese Aktivitäten einschränkt. Es soll zwar eine neue Gesetzgebung in Kraft treten, aber die wird keine wesentliche Verbesserung hervorrufen. Die Bürokratisierung, die heute auf den NGOs lastet, bietet kein Freispiel der Kräfte der Bürgergesellschaft, die sich im Staat dann nicht entwickeln kann.

RH:  Wie hat sich die Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft im Laufe der Petersburger Dialoge entwickelt und verändert?


Es gab Erfolge und Misserfolge, aber wir haben schon sehr viel erreicht im Laufe der Jahre.  

RH: Gibt es Hindernisse und Probleme, die im Rahmen dieser Arbeitsgruppe wiederholt angesprochen wurden?


Immer öfter besprechen wird die Lage der NGOs in Russland. Es gibt viel zu viele Hindernisse für ihre und auch allgemein freie zivilgesellschaftliche Arbeit. Es ist klar, warum. Russland versteht sich als ein Staat, eine Gesellschaft, die von Oben nach Unten organisiert wird. An der Spitze steht entweder der Zar, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion oder der Präsident der Russischen Föderation. Aber es ist immer einer an der Spitze, von dem Alles ausgeht. Zivilgesellschaft ist genau die entgegengesetzte Bewegung: es geht von Unten nach Oben. Und diejenigen, die im System des Zaren oder Präsidenten stecken, die sind nach Oben orientiert und verstehen gar nicht, warum die Menschen andere Interessen haben. Eine solche grundsätzliche Haltung von Staat und Gesellschaft verändert sich nicht von einem Tag auf den nächsten. Auch nicht in einem und nicht in zehn Jahren. Der Petersburger Dialog ist dafür da, dies zum Tragen zu bringen. Und deshalb können aber auch keine schnellen Erfolge erzielt werden. Mentalitätswandel ist immer etwas, was sich in Jahren und Jahrzehnten vollzieht.

RH: Ist dieser Mentalistätswandel denn überhaupt erforderlich und auch tatsächlich in Russland möglich?


Ja, er ist möglich und sogar notwendig. Man nehme ein ganz anderes Beispiel zur Veranschaulichung: Wer hätte geglaubt, dass in Tunesien, oder Ägypten so schnell ein altes System zerbrechen würde? Und wie sind sie zerbrochen? Durch Proteste von Unten. Die Menschen heutzutage werden selbstbewusster und fügen sich nicht mehr in das, worein sie sich noch vor Jahren und Jahrzehnten gefügt haben. Aber wenn ich sehe, dass in Russland in den letzten Jahren über 1,5 Millionen von den intelligentesten und gebildetsten Menschen ins Ausland gegangen sind, dann ist das ein riesen Problem. Diese Menschen werden alle in Russland gebraucht, denn das sind die Führungskräfte von Morgen und schon von Heute. Und wenn man diesen Menschen keinen Raum gibt in ihrem Lande, dass sie sich genötigt sehen weg zu gehen, dann ist das ein gewaltiges Problem.

RH: War das ein Thema in ihrer Arbeitsgruppe?


Das wurde bisher nicht thematisiert.

RH: Die Visaerleichterung ist immer wieder ein Thema beim Petersburger Dialog. Glauben sie, dass in dieser Frage eine Lösung gefunden werden kann?


Unbedingt. Ich bin eigentlich der Meinung, dass diese Frage schon längst gelöst sein müsste und ich bin auch sicher, dass man diese Frage schnell lösen kann. Allerdings überlege ich oft, ob man es denn auch wirklich will: Gibt es diesen politischen Willen unter allen Schengen-Staaten? Denn sie alle müssen sich in dieser Frage einig sein. Es bedarf vielmehr einer politischen Willenserklärung, als irgendwelchen Prozeduren. Gibt es den Willen, finden sich auch die Wegе.

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