Ein neues Zuhause in der Küche

Kochkurse im japanischen Restaurant in Moskau. Foto: Kommersant

Kochkurse im japanischen Restaurant in Moskau. Foto: Kommersant

Sich in Gastronomie unterrichten zu lassen ist zu einem populären Trend bei Russen geworden. Früher wurden teure Restaurants wegen der Prestige besuht, heute ist der Geschmack auf dem ersten Platz.

Einmal pro Woche legt Juri Gussew, Miteigentümer eines großen IT-Unternehmens, sein Handy zur Seite, damit er sich in einem Restaurant entspannen kann. Aber er legt es nicht auf den Tisch, sondern in die Küche. Unter Anleitung eines Kochs erlernt er die Geheimnisse der Zubereitung von Bechamelsauce und Borschtsch und sogar des Hackens von Karotten auf zehn verschiedene Arten.

„Ich habe in meinem Leben alles ausprobiert, darunter die extremsten Formen der Naturerholung“, sagte Gussew. „In den letzten zehn Jahren sind meine Freunde und ich durch die halbe Welt gereist und haben sechsstellige Summen für Unterhaltung ausgegeben. Aber wie sich zeigt, gibt es nur eines, was mich wirklich fasziniert: das Kochen. Ich hätte nie gedacht, dass ich Geld dafür ausgeben würde, Zwiebeln zu hacken oder Kartoffeln zu schälen. Doch eine Stunde in der Küche ist für mich wie eine Woche Urlaub. Ich schalte völlig ab, vergesse das Alltagsleben und bin glücklich.“

Leute wie Gussew werden in Russland immer häufiger. Vermögende Russen greifen zunehmend zu Schöpfkellen und Kochtöpfen, um ihren kulinarischen Horizont zu erweitern.

In den 1990er Jahren galten eine Mahlzeit in einem teuren Restaurant oder eine Fülle von üppigen Gourmetspeisen auf dem Tisch als Symbole für finanziellen Erfolg und sozialen Status. Heute dagegen interessieren Russen sich mehr für die kulinarischen Trends und exotische Gerichte.

Das Interesse an der Ernährung veranlasst Gastronomen die Vielfalt der Methoden zu vergrößern, durch die man seinen Geschmack entwickeln und mehr über sein Essen herausfinden kann. Dieses Angebot umfasst die Verkostung von Speisen aus unterschiedlichen Teilen der Welt, Tourneen von ausländischen Küchenchefs, Workshops zur Zubereitung von Nationalgerichten und Kochkurse.

„Als ich vor zehn Jahren mein erstes italienisches Restaurant in Moskau eröffnete, waren unsere Kunden noch nicht einmal vertraut mit grundlegenden italienischen Produkten wie Parmigiano-Reggiano, Prosciutto oder Balsamessig“, sagte die Gastronomin Gayana Breiova. „Deshalb hielten wir Workshops in der Osteria La Scaletta ab und begannen schließlich italienische Kochkurse. Vor einem Jahr führten wir auch Kurse für Kinder ein. Sie sind an den Wochenenden total ausgebucht.“

In einigen Hotelrestaurants geht man noch einen Schritt weiter. Das Restaurant im 5-Sterne-Hotel Baltschug-Kempinski in Moskau bietet seit kurzem einen neuen Service an. Gäste können in Begleitung eines Kochs den Dorogomilowski-Markt, einen der besten Lebensmittelmärkte in Moskau, besuchen.

„Der Küchenchef des Restaurants, Elmar Basziszta, bringt unseren Gästen bei, wie man die Güte der Ausgangsprodukte einschätzt und ein Menü je nach der bestehenden Vielfalt zusammenstellt“, erläuterte Nico Giovanoli, der für den Auslieferungsdienst des Hotels zuständige Direktor. „Nach der Rückkehr ins Hotel stellen sie dann eine Mahlzeit aus den Lebensmitteln her, die sie selber auf dem Markt gekauft haben.“

Ein anderer modischer Trend besteht darin, Teambuilding-Ereignisse mit der Zubereitung von Speisen zu verknüpfen. „In letzter Zeit interessieren sich viele Unternehmen für Gastronomiebetriebe, obwohl es noch nicht lange her ist, dass man sportliche Veranstaltungen wie Paintball für das Teambuilding benutzte“, sagte Vadim Palaschtschenko, Küchenchef im Deluxe Lotte Hotel Moscow. „Man ist aufgeschlossen für ein Format das die Mitarbeiter zusammenbringt und ihnen ermöglicht, neue Kenntnisse und Erfahrungen zu erwerben, während ihre Mahlzeit gleichzeitig von einem berühmten Koch in einem exklusiven Restaurant zubereitet wird.“

Der neueste Trend ist gekennzeichnet durch einen Lebensmittelmarkt mit erlesenen Produkten, einen hochwertigen Service und ein Restaurant, in dem die Teilnehmer die auf dem Markt gekauften Speisen anrichten und sich von einem Experten beraten lassen können. Eines der interessantesten Projekte dieser Art wurde Mitte Dezember 2010 in Moskau eingeleitet.

Auf den oberen drei Etagen des siebenstöckigen Zwetnoi-Zentralmarkts befinden sich ein Bauernmarkt, Restaurants, ein Café und eine Bar, betrieben von der Restaurantkette Ginza Project. Auf dem Markt erhält man Rindfleisch aus den Moskauer Vororten, Milch aus Rjasan, Hüttenkäse aus Lipezk, Eier aus den Dörfern der Umgebung, Kartoffeln aus Tambow, Honig aus dem Altai, Tomaten aus Usbekistan, Gänse aus Kaschir sowie Gemüse, Obst, Meeresfrüchte, Gewürze und handgemachte Delikatessen aus aller Welt. „Sämtliche Speisen können hier im Restaurant zubereitet und probiert werden“, kommentierte Boris Jaroslawzew, der Generaldirektor des Bauernmarkts. „Wir haben Zutaten für unterschiedliche Geschmäcker, und die Kunden können sich im Restaurant von Köchen helfen lassen, die die beliebtesten Nationalgerichte – aus Italien, Frankreich, Japan und natürlich Russland – herstellen und die dazu erforderliche Ausstattung besitzen.“

Die Tatsache, dass große Restaurants und andere Unternehmen das bestehende Angebot erweitern, während sie gleichzeitig die Kosten ihrer Produkte und Dienstleistungen senken, legt die Vermutung nahe, dass sich positive Tendenzen durchsetzen. Dies bedeutet, dass hochwertige Lebensmittel und gastronomische Kunstfertigkeit bald den meisten Russen, nicht nur wohlhabenden Feinschmeckern zugänglich sein könnten.

Dmitry Alexejew ist ein Restaurant-Kritiker und Vize-Präsident des Verbandes der russischen Gastronomie-Beobachter.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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