„Faust“ von Alexander Sokurow unter den Favoriten in Venedig

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Das diesjährige Festival von Venedig wird für einen der wichtigsten russischen Regisseure, Alexander Sokurow, zum entscheidenden Meilenstein. Der eigentlich äußerst produktive Filmemacher hat an seinem Faust nicht weniger als fünf Jahre gearbeitet.

Faust ist der letzte, abschließende Teil des bekannten Sokurow-Zyklus, der geschichtsträchtigen Machthabern gewidmet ist. Begonnen wurde der Zyklus mit dem Film Moloch (über Hitler), worauf Taurus (über Lenin) und DieSonne (über Hirohito) folgten. Dieser Zyklus, entstanden in Koautorenschaft mit Sokurows langjährigem Drehbuchautor Jurij Arabow, ist der Höhepunkt der komplizierten Karriere dieses Regisseurs, der seit den Anfängen seines Schaffens das Verhältnis zwischen Individuum und Geschichte auszuleuchten versuchte. Heute ist Sokurow 60 Jahre alt. Der Goldene Löwe spielt dieses Jahr für ihn eine entscheidende Rolle, sozusagen aut cum scuto, aut in scuto.

Viele werden darauf entgegnen – und der Regisseur selbst an vorderster Front –, dass ein wahrer Meister seines Fachs auf Preise nicht angewiesen ist. Doch das ist schwer zu glauben. Sokurow verflucht die westlichen Festivals – und dennoch kandidiert er mit jedem neuen Film. Es ist kein Zufall, dass sein Magnum Opus in Venedig gezeigt wird, und nicht etwa in Cannes (wo zuvor die Filme Moloch, Taurus, VaterundSohn, RussianArk und Alexandra gezeigt wurden) oder Berlin (wo die Kandidatur von Die Sonne auch keine Preise einbrachte). Erstens wird in Venedig nicht so sehr auf politische oder stilistische Aktualität Wert gelegt; wichtiger ist die künstlerische Eigenständigkeit.

Zweitens leitet die Filmfestspiele Marco Müller, der einst Sokurows Werke im Westen bekannt gemacht hat und auch einige seiner Filme produziert hat. Und drittens hat Sokurow seine wichtigste Festival-Trophäe der letzten Jahre – den Robert-Bresson-Preis – in Venedig erhalten. Der Regisseur wird in Venedig geschätzt. Und kaum jemand wird sich dort über die Langwierigkeit oder Unzugänglichkeit seines Films beklagen, der auf das sechsstündige schwarzweiße Werk des Philippiners Lav Diaz folgt.

Eine andere Frage ist, ob der Jury-Präsident Darren Aronofsky Sokurows und Arabows Fantasien zum Thema dieser alten Legende schätzen wird – die Handlung von Faust ist in eine fiktive Umgebung des 19. Jahrhunderts verlagert, die Figur des Mephistopheles ist durch einen Wucherer ersetzt, und der Film ist in Deutschland in deutscher Sprache gedreht worden. Über Aronofskys geschmackliche Vorlieben ist wenig bekannt, er selbst ist aber ein Jünger der plakativen Kitsch-Kunst, die in Venedig auch schon mehrmals gewürdigt wurde. Hier wurde sein Wrestler ausgezeichnet, und das letztjährige Festival wurde von BlackSwan eröffnet. Dieser Film lässt erahnen, dass neben Sokurow zwei Konkurrenten, die Aronofsky thematisch und ästhetisch nahestehen, dessen Interesse wecken können: Der Kanadier David Cronenberg und der Kosmopolit Roman Polanski.

Das Festival wird von Die Iden des März eröffnet, einer politischen Futurologie vom alteingesessenen Festivalteilnehmer und dessen Star George Clooney; er hat einen Film über die schmutzigen Wahlkampagnen gedreht und dabei selber zusammen mit Ryan Gosling mitgespielt. Der hollywoodtreuen politischen Korrektheit Clooneys hat die Vorauswahl-Jury ein wahres Manifest des Multikulturalismus entgegengestellt – den monumentalen Film des russischen Dokumentarfilmers Wiktor Kosakowskij Da zdravstvuyut antipody! (Es leben die Antipoden!). Der Regisseur beleuchtet darin die Schicksale von Leuten, die an exakt gegenüberliegenden Punkten der Weltkugel leben, wobei er erstaunliche Parallelen gefunden hat. Sokurow ist zwar der einzige russische Teilnehmer des Hauptwettbewerbs, doch in den anderen Kategorien finden sich zahlreiche russische Arbeiten.

In der Kategorie „Horizonte“ stellt sich die avantgardistische Arbeit von Andrej Silwestrow und Jurij Lejderman Das Ornament von Birmingham der Jury, am Wettlauf um den Preis für den besten Kurzfilm nimmt Alexei Germans Jr. 10-Minuten-Streifen Aus Tokio (gewidmet der diesjährigen Erdbebenkatastrophe in Japan) teil, und an den parallel stattfindenden Autorentagen wird Angelina Nikonowas gewagtes erotisches Drama Portrait in der Dämmerung mit Olga Dychowitschnaja in der Hauptrolle gezeigt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Expert. 

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