Mehr als nur Pelewin und Sorokin

Wiktor Pelewin ist einer der wenigen russischen Autoren, die übersetzt werden. Foto: http://pelevin.nov.ru

Wiktor Pelewin ist einer der wenigen russischen Autoren, die übersetzt werden. Foto: http://pelevin.nov.ru

Klassiker wie Lew Tolstoi werden zwar neu ins Deutsche übertragen, und dass es lesbare russische Krimis und Thriller gibt, von Boris Akunin bis zu Dmitri Gluchowski, hat sich auch herumgesprochen. Aber wo bleibt die anspruchsvolle Gegenwartsliteratur?

Auf wirtschaftlichem Gebiet sind die russisch-deutschen Beziehungen ausgezeichnet – das hat die Umarmung von Wladimir Putin und Gerhard Schröder bei der Eröffnung der Nord-Stream-Pipeline Anfang September eindrucksvoll illustriert. Schlechter sieht es in literarischer Hinsicht aus. Als Russland 2003 Ehrengast der Frankfurter Buchmesse war, brachte jeder deutsche Verlag seinen russischen Titel. Seitdem ist nicht viel passiert.

Welche russischen Literaten kennt man im deutschsprachigen Raum? Ljudmila Ulitzkaja, Wladimir Sorokin und Viktor Pelewin, Bestsellerautoren, die für die konventionalisierte Postmoderne stehen, werden hierzulande mit schöner Regelmäßigkeit gedruckt. Aber das sind Ausnahmen. Autoren zwischen 35 und 55, die noch in der Sowjetunion sozialisiert wurden, aber literarisch ganz unterschiedlich auf dieses Erbe reagieren, fehlen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt fast ganz. So ist Andrej Gelassimows „Durst“, der brillante Text über einen entstellten Tschetschenien-Heimkehrer, mit fast zehn Jahren Verspätung endlich auf Deutsch erschienen. Endlich wurde auch Michail Schischkins „Venushaar“ übersetzt. Doch die Prosa von Olga Slawnikowa, Dmitri Bykow, Oleg Sajontschkowski, Alexej Iwanow oder Maxim Ossipow gibt es bis heute nicht auf Deutsch zu lesen. Von Andrej Terechow, Roman Sentschin, Igor Sachnowski oder Michail Jelisarow wurde jeweils nur ein Buch übersetzt, und das ist lange her.


Alle diese Autoren sind Träger oder Finalisten der drei wichtigsten russischen Literaturpreise, die meisten standen mit unterschiedlichen Werken auf den Shortlists. Was man in Russland liest und schätzt, kennt man in Deutschland nicht.


Anders steht es mit der russischen Prosa bei unseren Nachbarn: Fast alle der Genannten sind ins Französische übersetzt, von Gelassimow sind bereits vier Titel erschienen. Auch in Italien wird russische Literatur häufiger publiziert als bei uns in Deutschland.


Liegt es an der Krise des Buchmarktes? An der Konkurrenz der sowjetischen Nachfolgestaaten im Osteuropa-Segment der Verlage? Am Schmuddel- und Mafiaimage, das Russland nicht loswird? Franzosen und Italiener scheint das nicht zu stören. Gibt es in Deutschland ein spezielles Problem mit Russland und der russischen Literatur, verquickt mit Verbrechen, Schuld und scheinbarer Sühne im 20. Jahrhundert?


An russische Prosa stellen die Verlage, im Vergleich zu anderen Ländern, 
hohe Ansprüche. Zu schwerfällig, zu deprimierend komme das Russische daher, oder zu verkopft. Und überhaupt, die deutschen Lesegewohnheiten seien eben andere. Dabei beklagen längst nicht alle Texte die Härte der menschlichen Existenz, es gibt hochkomische, satirische, absurde und dabei sehr leichtfüßige Prosa, und die ganz junge Generation schert sich nicht um Konventionen und legt literarisch geradezu abenteuerlich los. Dass nun kürzlich ein paar Texte von Autoren um die 30 übersetzt wurden, von Natalja Kljutscharowa, Dmitri Dergatchev, Wladimir Lortschenkow, nährt neue Hoffnungen. Vielleicht kommt man sich demnächst ja auch literarisch wieder näher.


Die Autorin ist freie Übersetzerin, Lektorin und Dozentin. Zuletzt erschien von ihr „Das schönste Proletariat der Welt: Junge Erzähler aus Russland“ (Amazon) bei der edition suhrkamp.

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