Rockmusik kommt aus dem Herzen

Artemi Troizki. Foto: ITAR-TASS

Artemi Troizki. Foto: ITAR-TASS

Man braucht nicht viele Worte, um Artemi Troizki zu beschreiben. Er ist nicht mehr und nicht weniger als der angesehenste Kritiker der russischen Pop-Rock-Kultur. Ein unentbehrlicher Networker in der russischen Kunstszene. In den letzten Monaten taucht seine Name jedoch aus anderen Gründen in den Schlagzeilen auf. Er mischt sich neuerdings in die Politik ein und wurde sogar schon wegen übler Nachrede angezeigt. Troizki sagt, er gehöre keiner politischen Partei an und sei durch die Umstände gezwungen, sich für Bürgerrechte einzusetzen. Mit Francisco Martinez von "Russland HEUTE" spricht er über Politik, Musik und seine Karriere.

Blicken wir einmal auf die 1980er Jahre zurück. Wie würden Sie den sowjetischen Underground-Rock beschreiben?

 Im Allgemeinen würde ich sagen, dass Rockmusik immer auch eine art Volksmusik ist. In Wirklichkeit wird Rockmusik ja meistens nicht von professionellen Komponisten geschrieben, sondern von Jungs von der Straße. Die besten Beispiele dafür sind die Beatles, Frank Zappa oder Pink Floyd. Ich glaube also, dass Rock die Volksmusik des 20. Jahrhunderts ist.

Dasselbe gilt meines Erachtens auch für die russischen Musiker. Andrej Makarewitsch ist Architekt, Boris Grebenschtschikow ist Mathematiker, Juri Schewtschuk ist Maler. Kutusow war auch Mathematiker und so weiter. Sie alle sind keine professionellen Komponisten.

Boris Grebenschtschikow und seine Band "Akwarium"

Außerdem würde ich die russische Underground-Musik als eine Mischung aus Autorenlied und "Volklorelyrik" beschreiben. Ein weiteres Markenzeichen ist, dass sie gegen die offiziellen Dogmen der Sowjetkultur gerichtet war.

Aber eigentlich ging es ja beim russischen Underground nicht nur um Musik. Das war eine breite soziale Bewegung. Slang, alternative Szene und Rockclubs waren ein Teil dieses weitreichenden Phänomens. Doch worin sehen Sie den Kern dieser Bewegung?

 Der Wunsch, frei zu sein, Spaß zu haben und anders zu sein. Und auch, der großen Uniformität der sowjetischen Gesellschaft zu entkommen. Das offizielle kulturelle Leben war ja dermaßen langweilig. Wir wollten also zeigen, dass wir anders sind, dass wir uns nicht an diese Regeln halten, an die sowieso niemand geglaubt hat. Eine wichtige Rolle spielte auch, wie wir uns gekleidet haben.

Dann kam der politische Wandel auf eine unerwartete und friedliche Weise. Sind Sie optimistisch, was die Verbesserung der politischen Situation in Russland heute betrifft?

 Die Dinge ändern sich vielleicht, oder auch nicht. Aber ich bin ein strategischer Optimist. Den größten Teil meines unbewussten Lebens, wie man es nennen könnte, habe ich in der Sowjetzeit verbracht, und 1983 oder selbst noch 1985 hätte ich mir nicht einmal träumen lassen, was ein paar Jahre später in meinem Land passieren würde. Die Geschichte hat eine Menge Überraschungen für uns in petto, darunter auch erfreuliche.

Nun zum zweiten Teil Ihrer Frage: Der einzige Versuch eines friedlichen Aufstands in meinem Land fand im Dezember 1825 statt, und wie man weiß, ging das nicht gut aus. Seitdem hat es nichts Friedliches mehr gegeben. Trotzdem glaube ich, dass es möglich ist, wenn die Elite sich von innen heraus erneuert.

Welche Bands aus jener Zeit kann man noch hören und verstehen, welche haben sich im Zuge der Zeit weiter entwickelt?

 Das Problem mit der russischen Rockmusik ist, dass sie viele Jahre lang lediglich eine Kopie der westlichen Rockmusik war. Sie haben imitiert, nur Cover-Versionen gespielt. Daher klingen die meisten russischen Bands nicht modern, ihre Musik ist nur ein Zeitdokument. Als Ausnahmen fallen mir nur Kino oder Swuki Mu ein.

Zvuki Mu

Welcher Künstler, dem Sie begegnet sind, hat Sie am meisten beeindruckt?

 Ich habe auf einem Vulkan voller Genies gelebt. Aber wenn ich unbedingt wählen müsste, würde ich zwei nennen, die einem westlichen Publikum wahrscheinlich nicht so bekannt sind. Alexander Baschlatschow, der war ein echter Rockpoet. Er hat Lyrik geschrieben, beinahe auf dem Niveau von Puschkin, Majakowski oder Mandelstam. Und seine Auftritte haben vor Energie nur so gesprüht. Er hatte wirklich Charisma.

Alexander Baschlatschow


Der andere ist Sergei Kurjochin. Er war Jazzmusiker und hat auch zeitgenössische E-Musik komponiert. Er war eine unglaublich starke Persönlichkeit. Leider sind beide zu früh von uns gegangen. Baschlatschow hat 1988 Selbstmord verübt, und Kurjochin ist 1996 an Krebs gestorben.

Sergei Kurjochin

Was würden Sie Ausländern empfehlen, die sich heute russische Musik anhören möchten?

 Ich muss sagen, dass in den letzten Jahren eine neue interessante Generation herangewachsen ist. Zum Beispiel Mumi Troll oder Barto, eine Moskauer Band, die Elektro-Punk spielt. Auch Kira Lao aus Nowgorod oder elektronische Musik aus Jekaterinburg.

Kira Lao


Im Moment haben Sie leider fünf Gerichtsverfahren wegen übler Nachrede am Hals. Zugegeben, diese Verfahren könnten politisch motiviert sein, aber warum sind Sie so hart gegenüber Künstlern, die mit der Regierung zusammenarbeiten?

 Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Zusammenarbeit von Rockmusikern und dem Establishment, wenn sie ehrlich ist. Aber die russische Regierung ist so offenkundig korrupt und übel, dass es eine Schande ist, mit solchen Leuten Geschäfte zu machen.

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