„Khodorkowsky“ erobert Russland

Khodorkowsky-Regisseur Cyril Tushi. Foto: Jan Lieske

Khodorkowsky-Regisseur Cyril Tushi. Foto: Jan Lieske

Am zweiten Dezember geschah etwas Unerwartetes in der russischen Kinowelt: im Rahmen des ArtDocFestes wurde ein Jahr nach der Weltpremiere bei der Berlinale 2011 – der Film „Khodorkowsky“ präsentiert. Am Tag der Parlamentswahlen wurde die Dokumentation im Moskauer Zentrum für Zeitgenössische Kunst Winzavod gezeigt. Warum gerade dieser Zeitpunkt für die Premiere in Russland gewählt wurde und wie das Publikum auf „Khodorkowsky“ reagierte, erzählte der Regisseur Cyril Tushi in einem Interview.

Cyril, die langersehnte Premiere ihres Films „Khodorkowsky“ in Moskau ist nun vorbei, wie wars?

Das war schon toll. Davor war ich bei dem amerikanischen Verleihstart in New York, dort waren auch einige aus dem Film anwesend, beispielsweise der Sohn aus erster Ehe - Pavel Chodorkowski. Übrigens liest er im Film die Briefe seines Vaters ein. Im Hudoschestwennij-Kino in Moskau war es auch super. Das Publikum war gemischt, sowohl Ältere, als auch junge Leute waren da. Die Reaktionen waren sehr gut. Die Leute haben an merkwürdigen Stellen gelacht. Zum Beispiel an allen Putinstellen. Darüber, dass das System ohne Kleider da steht. Das die Maske abgerissen ist. Und das ist echt neu.

Sind sie der Meinung, dass sich die Stimmung in Russland geändert hat im Vergleich zum Zeitpunkt der Dreharbeiten? Wann waren Sie das letzte Mal in Moskau?


Vor einem Jahr war ich das letzte Mal da, davor ganz oft und es gab viel mehr Desinteresse – Politikverdrossenheit. Obwohl das ja nichts nur Russisches ist. Damals gab es sehr viel Angst. Und das hat sich jetzt verändert.

Warum reagiert das Publikum ihrer Meinung nach gerade so auf die Szenen mit Putin in ihrem Film?


Ich denke, an der Reaktion des Publikums ist zu erkennen, dass mein Film „nur“ ein Anstoß für eine andere Diskussion ist: mutige Gedanken auf den Tisch schmeißen können. Das finde ich gut. Bisher habe ich nämlich  - seit Medwedjew verkündet hat, dass er das Feld wieder für Putin räumt – nur depressive Kommentare aus Russland gehört. Also beispielsweise Menschen, die sagen, Putin kommt für die nächsten 12 Jahre zurück, was sollen wir da noch tun. Diese Hoffnungslosigkeit und dieses ergeben in die Hände des Schicksals, hat mich auch runtergezogen. Aber jetzt hat mich die neue Stimmung wieder sehr froh gemacht.

Waren denn bei der russischen Premiere auch Figuranten aus ihrem Film anwesend?


Nein. Es waren nur Chodorkowski-Freunde da. Es waren noch nicht mal Leute da, die mit dem System ein bisschen flirten, aber trotzdem kritisch sind – die hätte ich natürlich gerne bei der Filmvorführung gesehen und mit ihnen diskutiert. Manche haben erst zugesagt und dann doch wieder abgesagt, das ist noch peinlicher.

War es Absicht, dass die Premiere von „Khodorkowsky“ gerade zu Zeit der Parlamentswahlen in Russland stattfindet?


Ja und Nein. Jedes Jahr ist die Deutsche Filmwoche in Moskau und das Artdocfest hat uns eingeladen. Aber wir waren uns schon bewusst, dass auch die Dumawahl zum selben Zeitpunkt stattfinden wird. Aber ich habe zu lange an dem Film gearbeitet, um eine billige Provokationsnummer daraus zu machen. Es haben ja einige Kinos im Vorfeld zugesagt den Film zu zeigen, dann abgesagt und jetzt wieder zugesagt. Sie werden den Film aber erst nach den Dumawahlen zeigen.  

Was für ein Gefühl war es, als Sie nach Jahren das Interview mit Chodorkowski persönlich endlich machen konnten und vor ihm standen?


 Ja, es hat wirklich lange gedauert, bis ich das Interview mit ihm persönlich bekommen habe. Aber ich muss dazu sagen, ich habe auch nicht jeden Tag gefragt. Und dachte auch nicht, dass es wirklich möglich ist. Bis ich dann gesehen haben, wie die Justizministerin mit ihm eine Minute reden konnte. Und da war dann das visuelle Tabu für mich weg. Ich habe gesehen  – es geht. Und dann haben wir gefragt und ich glaube immer noch, dass es ein Versehen vom Richter war uns zuzusagen. Als ich dann vor ihm stand, habe ich erst mal alle Fragen vergessen. In letzter Minute kamen sie dann alle aus mir raus geschossen und er hat auch geantwortet wie gedruckt. So, als ob er die Fragen vorher gehabt hätte – was nicht der Fall war. Ich muss aber zugeben, auf der Gefühlseben bin ich ihm nicht so nah gekommen. Er ist schon ein Controllfreak. Aber im Gefängnis darf man wahrscheinlich auch nicht anders sein und Gefühle zulassen. Obwohl, wir waren gerade in Tschita, als eine Fotografin, die ihn für alle Medien fotografiert kurz mit ihm gesprochen hatte und erzählt, dass es Alexanjan sehr schlecht geht – das war kurz vor seinem Tod.  Und in einer Sekunde sind Chodorkowski Tränen in die Augen geschossen und er hat darauf hin gesagt – keine Fotos mehr.

Sie haben sich nun jahrelang mit Michail Chodorkowski beschäftigt. Welche Meinung haben Sie im Endeffekt über ihn gebildet?


Ich habe mich selbst manchmal gefragt: „Was willst du von dem Typen“? Aber ich glaube er ist einfach ein Symbol für Russland, für den Wechsel von einem Sowjetischen zum Kapitalistischen Russland. Und was ich über den Film gelernt habe ist, dass Menschen sich ändern können. Das Bewegung möglich ist und das ist für mich eine Lehre. Ich habe mir durch den Film auch moralisch Gedanken gemacht – wie hättest du an seiner Stelle gehandelt. Viele die ich in Russland treffe, sagen – der Typ hat viele Leute umgebracht, alles gestohlen. Und wenn ich mir das zu lange anhöre, wird mir schlecht, weil sie so zu 100% sicher sind! Es gibt für sie gar keine Zweifel. Viele Businessleute in den Neunzigern sprechen richtig schlecht über ihn. Deswegen hat man oft zu mir gesagt – „du kleiner, deutscher, romantischer Idiot!“ Aber wenn man in den Neunzigern überleben wollte, hier es: entweder du stirbst, oder die Anderen. Und obwohl der Film fertig ist, macht mich das immer noch unsicher.

Ein Interview im Kreml haben Sie in den fünf Jahren Dreharbeiten nicht bekommen. Wenn Sie aber die Chance gehabt hätten ein Interview mit Wladimir Putin zu machen, was hätten Sie ihn gefragt?


Oh! Wenn das mal geklappt hätte, dann hätte ich mich wahnsinnig gut vorbereiten müssen, er hätte mich mit seinem professionellen Charme um den Finger gewickelt. Ich hätte ihn genau dasselbe gefragt wie Chodorkowski auch: ich hatte 12 Theorien, warum er im Gefängnis sitzt und hatte ihn gefragt, an welche dieser Theorien er persönlich glaubt. Das hätte ich auch Putin gefragt. Ich hätte versucht ihn zu verwirren nach dem Motto „Umarme deinen Gegner, dann hast du ihn“. Ehrlich gesagt hab ich auch nicht so viel Interesse an Putin – ihm geht’s um Kontrolle und Chodorkowski wollte sich nicht kontrollieren lassen.

Michail Chodorkowski haben Sie eine Zeitmaschine-Frage gestellt: ob er alles wieder genauso machen würde. Hättest du gewusst, dass dieser Film so schwierig werden wird, hättest du ihn gedreht?

Freiwillig nicht. Ich würde auch viele Sachen anders machen. Ich hätte probiert den Film schneller zu drehen, was allerdings schwierig gewesen wäre, da Moskau diesem Thema gegenüber zu der Zeit sehr geschlossen gewesen ist. Ich hätte das Filmthema fasst zu Angst verändert, weil sie so dominant war. Aber ich muss sagen nach einem Jahr fast nichts erreichen, war es irgendwann zu spät aufzuhören. Jetzt wäre es sicher einfacher diesen Film zu drehen.

Was sind nun ihre weiteren beruflichen Pläne?

Für mich ist es höchste Zeit wieder ein bisschen von der Politik wegzukommen, dieser Zynismus hinterlässt Spuren. Ich möchte wieder mit Schauspielern arbeiten und Träumen dürfen. Und Urlaub.

Vielen Dank für das Interview.

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