Russland isst international

In den vergangenen 20 Jahren zog durch Russland eine regelrechte Parade von Nationalküchen. Es ist durchaus möglich, eine Pizzeria, ein Sushi-Restaurant, eine Arabische Shisha-Bar und einen Kiosk mit usbekischem Fladenbrot aneinandergereiht in einer einzigen Straße vorzufinden. „Russkij Reportjor“ hat zehn der in Russland beliebtesten ausländischen Küchen ausgewählt. In jeder von ihnen machte er einen deutlich russischen Akzent ausfindig.

1. FranzösischeKüche 

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Die französische Küche hat in Russland schon lange einen festen Platz. Vor der Revolution entwickelte sich die gehobene russische Küche weitgehend unter dem Einfluss der französischen Kochkunst. Der russische Adel bevorzugte es, Köche aus Frankreich in den Dienst zu nehmen. Nicht zufällig also handelt es sich bei der Hälfte der Gerichte auf der Speisekarte des weltbekannten Moskauer Restaurants „Puschkin“ mit seiner „altrussischen Adelsküche“ genau genommen um französische Speisen.

Die heutige französische Kochkunst kam in einem anderen, ganz und gar profanen Gewand nach Russland: Mini-Bäckereien, kleine Cafes und Bistros. Baguettes, Croissants, Brioches und St. Tropez-Torten sind heute überhaupt nichts Besonderes mehr. Das kulinarisch betrachtet sehr schlichte Cafe „Jean-Jacques“ ist ein kultiger Treffpunkt der jungen Moskauer Bohème.   

In Russland ist es üblich, Käse auf’s Brot zu legen oder als Appetizer zu reichen. Diese Tradition aber steht im Gegensatz zum französischen Brauch, nach dem ein Käseteller das gängigste Dessert ist. Die meisten russischen Restaurants haben einen Kompromiss gefunden: Käsehäppchen gehören zum Menü, allerdings zum ersten Gang. 


 2. ItalienischeKüche 

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Gibt es in irgendeiner russischen Kleinstadt zumindest zwei Lokale mit ausländischer Küche, dann stehen höchstwahrscheinlich in einem der beiden Pizza und Spaghetti auf der Speisekarte – egal, ob es sich um ein Restaurant der gehobenen Klasse oder einen Imbiss handelt.

Die beliebtesten Gerichte sind in Russland wie überall auf der Welt Spaghetti Carbonara und Pizza. Unter den Getränken rangieren ganz oben: Wein, Grappa, verschiedene Liköre und Schnäpse, die zum Schluss als „Verdauungshilfen“ serviert werden.     

Die russischen Köche begnügen sich nicht mit den mehrere Hundert schon bekannten italienischen Pizzasorten. Die Küchenchefs erfinden eigene phantasievolle Varianten und belegen den Teig mit Zutaten, die einen echten italienischen Pizzabäcker wohl ins Schleudern brächten, etwa mit Salzgurken und Mayonnaise. Das ganze könnte man zum Beispiel als „Pizza Siberiana“ anbieten.   

3. US-amerikanischeKüche 

Cäsar-Salat. Foto: Lori / Legion Media

Das Verhältnis zur amerikanischen Küche lässt häufig ein gewisses Mißtrauen erkennen. Man geht davon aus, dass es diese Küche entweder gar nicht gibt oder dass sie sich in einer kulinarischen Vielfalt a là McDonald erschöpft. Die amerikanische Küche lehnt sogar ab, wer am liebsten zur Tabascosauce greift, wer Cäsar-Salate allen anderen Salaten vorzieht und auf sein Cheesecake-Dessert nicht verzichten möchte. Allerdings haben Erfolge bestimmter Serien wie „Sex in the City“ die Popularität von Cafes im amerikanischen Stil erhöht. Und Teilweise sogar die Hamburger rehabilitiert.

In Russland bietet man als amerikanische Vorspeise und Beilage oft Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Pilzen und Rote-Beete-Salat an, obwohl diese Gerichte in Amerika kaum jemand kennt. Dafür findet man in Russland so gut wie nie einen „Walldorfsalat“ aus Äpfeln, Sellerie und Walnüssen auf der Speisekarte, obwohl dieser in seiner Heimat nicht weniger bekannt ist als der in Russland heimisch gewordene „Cäsar-Salat“. Von den Getränken sind bei den Russen vor allem Bier, Maiswhiskey, Kalifornische Weine und natürlich Cola sehr beliebt.

4. LateinamerikanischeKüche 

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Lokale im lateinamerikanischen Stil stehen in Russland mittlerweile sehr hoch im Kurs. Man besucht sie allerdings in der Regel nicht für exotische Speisen, sondern eher, um sich mit Freunden zum Public Viewing zu treffen, Salsa zu tanzen oder Bier bzw. Tequila zu trinken. So wurde die ohnehin nicht sehr ausgefeilte lateinamerikanische Küche „auf russisch“ noch simpler und bewegt sich häufig am Rande des Fastfood.

Die populären Gerichte wie Burritos und Nachos, Chili con Carne oder Truthahn mit dunkler mexikanischer Schokoladensauce, ganz zu schweigen von den in Peru beliebten Meerschweinchen-Speisen werden in russischen Restaurants in der Regel nicht angeboten. Dafür trinken die Russen sehr gerne Bier, Tequila, Margarita Cocktail und Sangrita.

5. Japanische Küche

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Die japanische Küche ist in Russland schon so lange in Mode, dass viele bereits ungeduldig darauf warten, dass diese endlich abflaut. Gut möglich allerdings, dass es dazu niemals kommt. Japanische Gerichte lassen sich einfach zubereiten, sind gesund, kalorienarm und schmackhaft. So sind sie in Russland nicht mehr wegzudenken. Sushi-Bars gibt es überall: in Bahnhöfen, Flughäfen, Shopping-Malls oder Kinofoyers.

In Russland serviert man allerdings nicht noch lebende Meerestiere. Auch die japanische Fischspezialität Fugu sucht man vergeblich, die bei unsachgemäßer Zubereitung zu Lähmungserscheinungen und zum Tod führen kann. In Japan indessen wird dieser Fisch in einem Umfang von jährlich etwa 2000 Tonnen verzehrt.

Die Japaner machen sich nichts aus Konditoreiware. Anstelle von Torten essen sie Obst oder das heimische Geleekonfekt aus Feigen. Die russischen Restaurants halten es da nicht so streng. Als Dessert servieren sie die gewohnten Sahnecremetörtchen. Nur die Portionen sind japanisch-klein. Beliebt sind auch Reiswein, Shōchū (Schnaps aus Reis, Gerste oder Süßkartoffeln) und grüner Tee.

6. Chinesische Küche

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Über die chinesische Küche kursierten in Russland jahrzehntelang die abscheulichsten Gerüchte. Es hieß, dass in der Heimat des Großen Vorsitzenden Mao hauptsächlich ungenießbare Speisen verzehrt würden, beispielsweise faule Eier oder Schwalbennester. Als allerdings chinesische Restaurants wie Pilze aus dem Boden sprossen, gewöhnte man sich an den Gedanken, dass es so schlimm um die chinesische Küche doch nicht bestellt ist.

Die in Russland beliebtesten Gerichte sind chinesische Teigtaschen (Dim Sum). Fast jedes mit roten Laternen und lackierten Drachen geschmückte Restaurant bietet seinen Gästen außerdem Pekingente an. Verbreitete Getränke sind Reiswein, Bier, Maotai (Hirseschnaps), verschiedenen Teesorten (unter anderem weißer Tee aus geschlossenen Knospen).

Die Restaurantbetreiber stellen, wie auch im Falle der japanischen Küche, um das „Nationalkolorit“ zu wahren, Personal aus Kasachstan, Kirgistan oder anderen Republiken der früheren UdSSR ein und geben sie als Chinesen aus.

7. VietnamesischeKüche 

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Die in vietnamesischen Lokalen angebotenen Gerichte sind nicht weniger exotisch als beispielsweise die der japanischen Konkurrenz, dafür aber bei weitem authentischer und erheblich preisgünstiger.

Am liebsten werden gefüllte Teigwaren aller Art genommen. Die russischen Gäste sind es noch nicht gewohnt, wie die Vietnamesen alles, was läuft, fliegt oder wächst ins Essen zu tun. So halten sich die vietnamesischen Köche mit Schlangen oder Ratten bislang zurück, auch wenn es gar nicht mal um Wanderratten geht, die Bewohner städtischer Müllhalden, sondern um Feldratten, die sich mit „Biokost“ ernähren.

8. Indische Küche

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In Russland sind es meist Vegetarier, die diese Küche lieben. Vegetarische Cafes oder Restaurants bezeichnen sich nicht immer als indisch, aber ihre Räume sind mit mehrarmigen Hindu-Göttern geschmückt und ganz oben auf der Speisekarte findet man panierten Käse und Linsen. Im Eingangsbereich liegen die obligatorische Werbeflyer für Yoga-Kurse oder Goa-Reisen.

Die beliebteste Speise ist Curry. Als Getränke werden oft Masala-Tee mit Milch und Zucker oder Lassi (ein Gemisch aus Joghurt, Wasser und Fruchtsaft bzw. Fruchtfleisch) angeboten.

In Russland ist es nicht üblich, auf einem Teller einen Mix aus verschiedenen Speisen zu servieren, wie das die Inder tun. Außerdem enthält ein wirklich indisches Gericht kein Rindfleisch. In Russland dagegen kann man das Fleisch heiliger Tiere durchaus auf der Speisekarte eines Restaurants finden, das sich „indisch“ nennt. 

9. GeorgischeKüche 

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Die georgische ist die in Russland populärste Nationalküche der ehemaligen UdSSR. In mancher russischen Stadt ist es einfacher, ein gutes georgisches Restaurant als ein Lokal zu finden, das eine russische Fischsuppe oder Pasteten serviert.

Am liebsten essen die Russen Schaschlik (gegrillter Fleischspieß) aus Lamm und Kalbsfleisch. Im Kaukasus wird das Fleisch für dieses Gericht meist in Rotwein oder Granatsaft mariniert. In Russland nimmt man gerne etwas Essig dazu. Schaschlik muss über offenem Feuer gegrillt werden.

Sehr beliebt sind auch Lobio (ein Bohnengericht), Chatschapuri (Teig mit Käse, Fleisch oder Fisch) und Tkemali-Sauce (saure Pflaumensauce). Fast in allen Gerichten werden frische Kräuter verwendet (Basilikum, Petersilie, Koriander, Dill) oder bündelweise einfach dazu serviert. Auch der georgische Wein wird in Russland gerne getrunken. Die bekanntesten unter ihnen sind die lieblichen Rotweine Chwantscharka und Kindsmarauli. 

  

10. Zentralasiatische Küche

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Zentralasiatische Gerichte sind ansehnlich und schmackhaft. Ihr einziger Nachteil: sie eignen sich überhaupt nicht zur Diät.

Die in Russland am meisten verbreitete Speise ist der Pilawreis. Es gibt eine Vielzahl an Rezepten für dieses Gericht. Für welches man sich auch entscheidet: man braucht einen Mann mit kräftigen Armen für seine Zubereitung. Unabhängig vom Geschlecht des Koches dagegen kann Samsa gelingen, eine Pastete aus ungesalzenem Blätterteig mit einer Füllung aus Fleisch, Kräutern oder Gemüse, die mit Käse und schwarzem Pfeffer verfeinert wird. Dazu trinken die Russen gerne grünen Tee mit Apfelsinen- oder Zitronensaft oder ein Sorbet aus Grantapfel, Erdbeeren oder sauren Weintrauben. 

Die ungekürtzte Fassung des Artikels erschien zuerst bei Russkij Reportjor.

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