Ostren ist es das wichtigste religiöse Fest in Russland. Foto: RIA Novosti
Für eine breite Mehrheit der Russen ist das Feiern des Osterfestes nicht nur eine Frage des Glaubens, sondern auch der nationalen Identität. Sich darauf vorzubereiten bedeutet auch, zahlreiche Bräuche zu beachten – viele davon sind christlichen Ursprungs, doch noch mehr sind einfache Volkstraditionen.
So ist es üblich, sein Haus jeweils am Donnerstag vor Ostern einem gründlichen Frühlingsputz zu unterziehen. Der Gründonnerstag nennt sich hier „sauberer Donnerstag“, und an diesem Tag putzen auch die ihr Haus, die das nur einmal pro Jahr tun. Am nächsten Morgen füllen sich die Häuser mit dem Duft von Teig, der bis zum Abend auflaufen soll, um ihn dann in den Ofen zu schieben und die herrlichen Kulitschi zu backen – so nennt sich das traditionelle, zylinderförmige Ostergebäck. Auch in Russland gehört das Färben von Eiern zur Tradition. Viele sammeln die Schalen roter Zwiebeln noch lange vor dem ersten Frühlingsvollmond, durch den - gemeinsam mit einigen weiteren Faktoren - jedes Jahr das Datum der orthodoxen Ostern bestimmt wird. Zwar weiß kaum einer, warum zu Ostern Eier gefärbt werden, doch wie viele Schalen benötigt werden und wie lange die Eier zu kochen sind, damit sie richtig rot werden, das ist Allgemeinwissen.
Die Resultate einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Levada Center aus dem Jahr 2006 sehen eher wie eine Marketingstudie für Eierproduzenten als eine Forschungsarbeit über religiöse Gewohnheiten aus. Die Studie verrät uns, dass 84 Prozent der Russen das Osterfest damit verbringen möchten, Eier zu färben und Kulitschi zu backen. Gemäß Daten der Abteilung für Marketing und Verbraucherdienste werden allein in Moskau in der Woche vor Ostern etwa 53 Millionen Eier verkauft und zwischen 650 und 700 Tonnen Kulitschi produziert.
Entsprechend der christlichen Tradition ist das Ei ein Symbol des neuen Lebens, und die rote Farbe ist Symbol für das Blut, mit dem Christus die Sünden der Menschen gesühnt hat. Ostereier und Kulitschi werden am Samstagmorgen in die Kirche gebracht, damit sie gesegnet werden.
All dieses Kochen bringt eine besondere Herausforderung mit sich: Da die 40-tägige Große Fastenzeit erst am Ostersonntag nach der Ostermesse vorbei ist, dürfen die Köstlichkeiten lange nicht verzehrt werden. Gläubige Orthodoxe verzichten in dieser Zeit auf Zucker, Fleisch und Milchprodukte, doch das religiöse Fasten ist bei weitem weniger verbreitet als das Färben von Eiern.
Unter den 71%, die sich in der Levada-Studie als orthodoxe Christen bezeichnen, befolgen nur 2% die Fastenzeit strikt, 20% halten sie „mehr oder weniger“ ein und fast 80% ignorieren sie vollkommen. Die Ostermesse zu besuchen, an der Christi Auferstehung gefeiert wird, ist ebenfalls nicht besonders populär. Weniger als 300.000 Moskauer besuchten die Ostermessen im vergangenen Jahr. Für eine Stadt mit über 10 Millionen Einwohnern ist das nicht besonders viel.
Der Ostergottesdienst geht jeweils etwa um 3 Uhr zu Ende, wenn der Priester die lang erwarteten Worte „Christos woskrese!“ (Christus ist auferstanden!) verkündet und die Menge darauf antwortet „Woistinu woskrese!“ (Er ist wahrlich auferstanden!). Es ist der freudigste Moment im orthodoxen Kirchenjahr, das sonst oft etwas trübsinnig daherkommt. So ist es kein Wunder, dass die Menschen einander küssen und endlich ihre Eier und Kulitschi, diese ersten und gesegneten Speisen nach der Fastenzeit, genießen.
Am Sonntag beginnt das wirkliche Fest mit einem voll gedeckten Tisch. Zwar kann das Menü stark variieren, doch die obligate Pascha (sprich: „Pas-cha“) darf auf keinem russischen Ostertisch fehlen. Dieses traditionelle Dessert ist aus Quark gemacht und hat die Form einer Pyramide. Auch die Kulitschi sind natürlich mit von der Partie. Alle, die so lange gefastet hatten, dürfen nun nach Belieben zugreifen. Gesellschaft leisten ihnen natürlich auch jene, die nicht gefastet haben. Die Kinder lassen die Eier auf dem Tisch herumrollen und testen, welches Ei das Stärkste ist. Niemand wird sie dafür tadeln - eher spielen auch die Älteren mit. Am Ostersonntag fühlt sich jeder wie ein Kind.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei The Moscow Times.
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