Das wahrhaft starke Geschlecht

Ex-Gouverneurin St. Petersburgs Walentina Matwijenko eröffnet das Marinemuseum. Foto: ITAR-TASS

Ex-Gouverneurin St. Petersburgs Walentina Matwijenko eröffnet das Marinemuseum. Foto: ITAR-TASS

Mit provokativen Auftritten hat die Punkband Pussy Riot den Feminismus auf die Tagesordnung gesetzt. Ansonsten glauben die Russen an eine traditionelle Arbeitsteilung.

Anfang 2012 erstellten mehrere russische Medien eine Rangliste der einflussreichsten Frauen Russlands. Laut Expertengremium - aus 22 Männern und nur zwei Frauen bestehend - nominierte man dafür Frauen, „die in Führungspositionen realen Einfluss auf politische oder wirtschaftliche Entscheidungen haben, sowie in ihrer Geisteshaltung Trends setzen und als Vorbilder agieren.“ Über die Hälfte aller Frauen, 53 von 100, kommen aus Politik und Verwaltung. Ganz oben: die Ex-Gouverneurin Sankt Petersburgs Walentina Matwijenko, die seit 2011 den Vorsitz des Föderationsrates innehat und deren Beamtenlaufbahn noch zu Sowjetzeiten ihren Anfang nahm.

28 Frauen kommen aus Kultur und Sport, die schillerndste Vertreterin ist die Schlagersängerin Alla Pugatschjowa (Platz 2). Auch sie hatte sich in der UdSSR nach oben gesungen. Der Wirtschaftssektor ist gerade noch mit 16 Unternehmerinnen vertreten, die allerdings nur wenig Einfluss haben - mit Ausnahme von Olga Pleschakowa (Platz 46), Generaldirektorin von Transaero und weltweit die einzige Frau an der Spitze einer Fluggesellschaft.


Die Ergebnisse des Ratings belegen die Genderunterschiede im Land. Russen finden es nicht ungewöhnlich, wenn eine Frau eine Beamtenlaufbahn einschlägt oder in der Verwaltung arbeitet. Die Grundlage für diese Wahrnehmung wird bereits in der Kindheit gefestigt: Die meisten Lehrer und Schulleiter sind weiblich.


Sport für die Frauen, Wirtschaft für die Männer


Gleiches gilt für die Erwartungshaltung im Sport: Die Siege der Turnerinnen und Eisschnellläuferinnen werden als selbstverständlich gewertet, während die permanenten Pleiten russischer Fußballer gelassen-wohlwollende Reaktionen auslösen.

Die Wirtschaft hingegen ist in den Augen der Russen nach wie vor ausschließlich Männersache. Zum einen mag das mit der Korruption und der erhöhten Wirtschaftskriminalität zusammenhängen - unternehmerische Tätigkeit ist in Russland nach wie vor risiko-
behaftet. Primär ist aber eine 
solche Haltung gegenüber den Geschäftsfrauen der Wirkung verschiedener Stereotypen geschuldet: Frauen seien nicht intelligent, nicht diplomatisch und gleichzeitig nicht durchsetzungsfähig, außerdem mangele es dem schwachen Geschlecht an Härte, um unternehmerisch erfolgreich zu sein, lauten die beliebtesten Vorurteile. Viele Männer nehmen eine Geschäftsfrau als eine Art unnatürliches Wesen wahr, das sich von seinen familiären Pflichten losgerissen hat und sich nun Dingen widmet, die ihrem Geschlecht eigentlich nicht „gebühren“. Natürlich ist es paradox, dass eine Gesellschaft, die Frauen Ministerposten einräumt, Frauen am Steuer nach wie vor mit großer Skepsis betrachtet.


Dieses Paradoxon ist die Folge eines schwach ausgeprägten Feminismus. Der gilt noch immer als etwas Exotisches. Viele verstehen seine Grundlagen nicht und halten seine Argumente für etwas Überflüssiges, eine westliche Modeerscheinung, die für russische Verhältnisse unpassend ist. Eine solche Auffassung wird auch von den Medien befördert, die Nachrichten à la „Französische Feministinnen erzwingen Verbot der Anrede ‚Mademoiselle‘“ als alberne Kuriosität abtun. Negativ 
eingestellt sind auch die traditionstreuen Konfessionen. Viele Amtsträger der Russisch-Orthodoxen Kirche wenden sich ganz direkt gegen den Feminismus.


Die Gesellschaft als auch die 
Blogosphäre steht dem rein feministischen Diskurs relativ gleichgültig gegenüber. Vor diesem 
Hintergrund präsentieren die Aktivisten Fragen der Gendergleichheit in Kombination mit anderen sozialen Themen wie den Rechten von LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans) und HIV-Positiven oder zum Beispiel mit dem Thema Umweltschutz.


Protest mit nackten Brüsten


So agiert auch die Künstlergruppe Pussy Riot. Sie ist ein bizarrer Gegenspieler zu der ukrainischen Bewegung FEMEN, deren Teilnehmerinnen ihre Brüste enthüllen, um auf eine ganze Reihe von Problemen hinzuweisen - von Demokratie über Prostitution bis zum ukrainisch-russischen Gaskrieg.


Die Pussy-Riot-Aktivistinnen hingegen organisieren illegale Punkkonzerte in der Metro, in Bussen und Luxusgeschäften und werfen in ihren Songtexten Fragen der sozialen Gerechtigkeit, darunter auch Frauenrechte, auf. Sie verbergen sich hinter bunten Strickmasken, um ein Zeichen gegen die Ausbeutung der weiblichen Sexualität in der Gesellschaft zu setzen. Die Theoretiker des Feminismus werfen den jungen Frauen ein vulgäres Verständnis der Frauenrechte vor und zitieren Textzeilen wie „Russland braucht die feministische Peitsche“. Gleichzeitig erkennen sie aber an, dass die Gruppe in der Gesellschaft das Interesse an der Frauenproblematik erst geweckt hat. Am 21. Februar spielten sie in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale, dem bedeutendsten russischen Gotteshaus, den Punksong „Mutter Gottes, verjage Putin“ - als Protest gegen den Patriarchen Kyrill I., der den Präsidentschaftskandidaten Wladimir Putin öffentlich unterstützte.

Unmittelbar nach dem Kurzauftritt konnten sie fliehen, im März wurden jedoch drei der Aktivistinnen festgenommen. Gegen sie wurde Anklage wegen Rowdytums erhoben, ihnen drohen bis zu sieben Jahre Freiheitsentzug. Die übrigen Aktivistinnen sind in den Untergrund abgetaucht. Auf Twitter beschreiben sie nun ihr Leben auf der Flucht: „Männer massieren uns die Füße.“

Dieser Text erschien zuerst im Dossier „Gender“ des Goethe-Instituts.

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