Demographischer Wandel: nicht nur ein westliches Problem

Experten sagen eine Erhöhung des Rentenalters und der Arbeitszeit in Russland voraus. Foto: Igor Zarembo_RIAN

Experten sagen eine Erhöhung des Rentenalters und der Arbeitszeit in Russland voraus. Foto: Igor Zarembo_RIAN

Die Überalterung der Bevölkerung und der Geburtenrückgang gehören bislang vor allem zu den Problemen der entwickelten Länder. Doch das könnte sich bald ändern. Am Ende des 21. Jahrhunderts werden für einen Rentner weniger als zwei Steuerzahler in die öffentlichen Kassen einzahlen. So lautet die weltweite Prognose, auch wenn die Lage natürlich in jedem Land etwas anders aussieht.

Sogar in Indien und China vollzieht sich ein heftiger Alterungsprozess der Bevölkerung. Auf Grundlage demographischer Daten aus den vergangenen 60 Jahren und mit Hilfe eines eigenen mathematischen Modells haben Soziologen der Universität Seattle im Bundesstaat Washington Berechnungen zur künftigen Weltbevölkerung angestellt. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Zahl der über 80-Jährigen bereits bis zum Jahr 2100 vervielfachen wird. In den USA werden dann auf einen Rentner nur noch 1,8 Steuerzahler kommen. In Europa, China und Russland muss ein Rentner anstelle von momentan acht Bürgern im arbeitsfähigen Alter von 1,6 Personen ernährt werden. In Indien sind es dann nur noch zwei anstelle von elf.

Die Wissenschaftler hoffen, dass ihre Schlussfolgerungen den Ländern dabei helfen, rechtzeitig optimale Strategien in der Sozial-, Demographie- und Rentenpolitik zu erarbeiten und umzusetzen. Auch Experten der Rossijskaja Gaseta sagen den russischen Staatsbürgern bis zum Ende des Jahrhunderts eine Erhöhung des Rentenalters und der Arbeitszeit voraus.

„In Russland, China und Indien wird der Mangel an jungen Menschen in der Bevölkerung bereits in der nächsten Zeit zu einem akuten Problem werden", meint Majrasch Toksanbajewa vom Institut für soziale und wirtschaftliche Probleme der Gesamtbevölkerung.

Russland in der demographischen Falle?


„Auf den Schultern der arbeitsfähigen Bevölkerung Russlands ruht eine übermäßige Rentenlast", erläutert die leitende wissenschaftliche

Mitarbeiterin des Unabhängigen Instituts für Sozialpolitik Darja Popowa. „Sie sorgen für den Unterhalt ihrer eigenen Kinder und der älteren Verwandten. Bei uns sind kaum Pflegedienste und -einrichtungen für alte Menschen vorhanden, weshalb die ganze Last in der Regel auf der Familie ruht. Deshalb setzen junge Familien auch nur noch ein Kind in die Welt.

Umfrageergebnisse zeigen dagegen, dass die meisten Russen sich mindestens zwei Kinder wünschen, sich diese allerdings nicht leisten können. Für moderne Frauen sind die Umstände heute anders: Wegen ihrer Ausbildung und ihrer Karriere, die wichtig ist um sich annehmbare Lebensverhältnisse zu verschaffen, sind Erstgebärende mittlerweile durchschnittlich 30 Jahre alt."

Nach Ansicht von Darja Popowa ist die Prognose der westlichen Experten somit recht zutreffend. Die Veränderung der ökonomischen Lebensbedingungen und der Wertesysteme führt zu einer sinkenden Kinderzahl in den Familien. Zugleich erhöhen sich infolge der besseren medizinischen Versorgung Lebensalter und Lebensqualität. Das Verhältnis zwischen den Generationen verändert sich zugunsten älterer Menschen.

Ein weltweites Phänomen


Den Angaben Popowas zufolge sind alle Länder von diesen Tendenzen betroffen, sie befinden sich allerdings in unterschiedlichen

Entwicklungsstadien. Während die entwickelten Länder Nordeuropas bereits seit Anfang der 70er Jahre mit diesem Problem zu kämpfen haben, ist dies in den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) erst seit den 90ern der Fall. In den europäischen Ländern liegt die Geburtenrate bei 1,2 bis 1,3 Kindern pro Frau. In Russland liegt die Zahl mit 1,4 bis 1,5 Kindern zwar etwas darüber, doch dies reicht trotzdem nicht aus, damit die Geburtenrate über der Sterberate liegt. Popowa folgert deshalb, dass die Zahl der arbeitsfähigen Bevölkerung lediglich durch Migrationsbewegungen merklich sinkt oder steigt. 

Auch andere Experten betonen, dass es sich bei dem Problem um keinen Einzelfall handele, weshalb bereits jetzt alle Länder weltweit Vorbereitungen für dieses negative Szenario treffen müssten. Einige Staaten haben schon damit begonnen, die für den Renteneintritt notwendige Arbeitszeit zu erhöhen. Im Westen herrscht ein enormer Unterschied zwischen Arbeitsrente und Fondsrente, weshalb die Arbeitszeit von grundlegender Bedeutung ist. In Russland wird diese Praxis gerade erst eingeführt. Derzeit genügen fünf Jahre Arbeitszeit, um einen Rentenanspruch zu haben. Nach Angaben von Majrasch Toksanbajewa muss in den entwickelten Ländern dafür mindestens 30 Jahre lang ununterbrochen gearbeitet werden.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat immer wieder Versuche unternommen, Russland davon zu überzeugen, dass eine Erhöhung des Rentenalters unumgänglich sei. Berechnungen des IWF zufolge werden in Russland acht Prozent des Bruttosozialprodukts für Rentenzahlungen ausgegeben. Infolge der demographischen Probleme könnten sich die Ausgaben aus dem Staatshaushalt für Rentenzahlungen bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Doch bislang ist in Russland keine Überprüfung des Rentenalters vorgesehen. Und viele Experten glauben nicht daran, dass das Problem dadurch tatsächlich zu lösen sei. Die entsprechenden Ministerien müssen der Regierung bereits im September eine neue Konzeption für eine Rentenreform vorlegen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitung Rossijskaja Gaseta.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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