10 Jahre Moskauer Geiseldrama – ein Rückblick

Die dramatische Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater  endete mit der Erstürmung des Gebäudes. Mindestens 130 Geiseln starben. Foto: Kommersant.

Die dramatische Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater endete mit der Erstürmung des Gebäudes. Mindestens 130 Geiseln starben. Foto: Kommersant.

Genau vor zehn Jahren fand einer der dramatischsten Terroranschläge in der russischen Geschichte statt – das Geiseldrama im Moskauer Dubrowka-Theater. Russia Beyond erinnert sich an die Tragödie, die 2002 die Welt erschütterte.

Es war der 23. Oktober 2002, als eine Gruppe von Terroristen unter der Leitung von Mowsar Barajew im Dubrowka-Theater mehr als 900 Zuschauer einer Vorstellung des Musicals „Nord-Ost" in ihre Gewalt brachte. Die Sicherheitskräfte des Theaters konnten die Terroristen nicht aufhalten – sie stürmten die Bühne, von der aus sie auch ihre Forderungen bekannt gaben: den Abzug der russischen Truppen aus Tschetschenien.

Über drei Tage lang fanden Verhandlungen mit den Terroristen statt, im Laufe derer sich auch russische Politiker als Geiseln anbaten. Doch alle Gespräche, für die sogar Pop-Stars herangezogen wurden, waren vergebens. „Wir wollen viel mehr sterben, als ihr leben wollt", verkündete der Terroristen-Anführer Barajew.

Durch die Verhandlungen konnte jedoch erreicht werden, dass die Terroristen alle Muslime, Ausländer und einen Teil der Kinder und Jugendlichen frei ließen. Gleich danach stellten sie den russischen Behörden aber ein Ultimatum: Mit dem Abzug der Truppen aus Tschetschenien sollte sofort begonnen werden, ansonsten würden sie die Geiseln erschießen.

Am 26. Oktober fand dann der Sturm auf das Theater statt, nachdem über die Belüftungsschächte Nervengas in das Theater geleitet wurde. Dieser chemische Angriff zielte darauf ab, die Terroristen kampfunfähig zu machen. Die russischen Spezialeinheiten stürmten das Theater und erschossen innerhalb weniger Minuten alle Terroristen und befreiten den Großteil der Geiseln. Doch dies sollte noch nicht das Ende der Tragödie sein: Nach dem Sturm verstarben 125 Geiseln in Moskauer Krankenhäusern.

„Wir konnten unsere Bürger aus verschiedenen Gründen nicht retten", erinnert sich Wladimir Wasiljew, ein Mitglied des Komitees für Sicherheit in der Staatsduma. „Uns ist es unter anderem auch nicht gelungen, die Geiseln rechtzeitig medizinisch zu versorgen. Bis zu einem gewissen Grad bin ich mitschuldig und distanziere mich auch nicht von dieser Schuld. Wir haben es einfach nicht geschafft. Diese Tage waren die schrecklichsten meines Lebens. Wir waren auf so etwas einfach nicht vorbereitet."

Spezialeinheiten hatten keine Erfahrung mit dem speziellen Gas

In den Medien wurde die Frage heiß diskutiert, welche Auswirkungen das Gas auf die Gesundheit der Geiseln hatte. Die Debatte wurde zusätzlich noch durch die Verweigerung der russischen Behörden angefacht, Informationen über die Zusammensetzung des Gases preiszugeben. In einem Gespräch mit einem Korrespondenten der „Rossijskaja Gazeta" gab Wasiljew zu, dass bei dem Gaseinsatz Fehler unterlaufen waren und die Spezialeinheiten keine Erfahrung mit diesem Gas hatten. „Die Spezialeinheiten hätten unmittelbar vor dem Einsatz die Anwendung des Gases trainieren können, um herauszufinden, wie sich dieses auf die Menschen auswirkt. Doch leider wurde das nicht gemacht", meinte Wasiljew.

Inzwischen hat man herausgefunden, wer hinter diesem Terroranschlag steckte – Aslan Maschadow. Der Terrorist wurde zwei Jahre nach dem Geiseldrama von russischen Truppen getötet.

Die Tragödie aus der Sicht dreier Betroffener:

 

Nikolaj Ljubimow, ehemaliger Wachmann im Theater „An der Drubrowka": „Ich machte gerade meinen Rundgang durch das Gebäude. Ich ging die Gänge entlang, hinauf in den ersten Stock und plötzlich sah ich, dass die Glastüren zerschlagen waren und sich seitlich des Saals zwei junge Männer in Camouflage-Uniformen bewegten. Sie kamen schnell zu mir her und hatten – wie sich herausstellte – Maschinengewehre in ihren Händen. Sie drückten mir den Gewehrlauf in den Rücken und meinten: Mitkommen." „Was ist hier los?" „Du bist unsere Geisel." Sie brachten mich in den Saal. Im Saal – dieses Bild habe ich heute noch vor mir und immer noch stockt mir der Atem – herrschte Totenstille und an beiden Seiten der Gänge sowie in der Mitte des Saals standen Terroristen".

Dmitrij Schalganow, Fotojournalist:  „Ich betrat den Zuschauersaal, obwohl es ohne Gasmaske verboten war dort hinein zu gehen. Doch bis zu diesem Moment musste der Raum wohl schon etwas durchgelüftet gewesen sein, da man die Türen geöffnet hatte. Es schliefen nicht alle: jemand stöhnte, ein anderer wälzte sich, ein weiterer erbrach. Es lag ein grauenhafter Geruch in der Luft, doch es war nicht der Geruch von Gas. Es war grauenhaft. Das Licht war eingeschaltet und es reichte aus, um Fotos zu machen. Ich war nicht lange im Saal – vielleicht zwei bis drei Minuten".

Aleksandr Zekalo, Produzent des Musicals „Nord-Ost": „Noch eine Woche verbrachte ich damit, alle Leichenhallen abzufahren. Den Verwandten der Geiseln wurde ja nichts gesagt. Alles, was nach dem Geiseldrama passierte, war schrecklich. Die Leute wurden in Krankenhäuser gebracht, aber niemand dort antwortete auf Fragen. Die einzige Möglichkeit herauszufinden, ob die Angehörigen noch lebten, war es, die Leichenhallen abzufahren. Wenn die Person nicht dort war, bedeutete das, dass sie noch lebte und man konnte die Suche in den Krankenhäusern beginnen. Das war schrecklich und womöglich die schlimmste Erfahrung meines Lebens."

Dieser Beitrag wurde nach Materialen von RBC und „Rossijskaja Gazeta“ verfasst.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!