“Der Friedensprozess gehört der Vergangenheit an”

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Israel führt die seit Jahren größte Offensive gegen die Hamas im Gazastreifen. Dabei könnte die Hamas selbst vorgeführt werden, glaubt Präsident des Instituts für den Nahen Osten Jewgenij Satanowskij.

Wsgljad: Viele kritische Beobachter behaupten, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu werde den Konflikt im bevorstehenden Wahlkampf für auszunutzen – so wie nach den Terroranschlägen 1993, als er zum 1. Mal zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Wiederholt sich die Geschichte?


Der Nahost-Experte Jewgenij Satanowskij. Foto: ITAR-TASS

Jewgenij Satanowskij: Netanyahu agierte während seiner ersten Amtszeit völlig anders als während seiner zweiten Amtszeit - ganz zu schweigen von seiner dritten. Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Der Friedensprozess gehört der Vergangenheit an. Alles möglichen Versuche sind gescheitert. Netanyahu und sein Land sind heute erfahrener. Es nicht mehr um vereinzelte Terroranschläge, sondern um richtige Terrorkriege.

Die Hamas waren in einer abhängigen Position zwischen Katar und Ägypten, als Israels Operation losging. Wurde der Zeitpunkt dafür gut gewählt? War das Kalkulation oder eher Zufall?


Israel ist die Hamas und ihre Aufenthaltsorte mehr oder weniger egal.  Die Anschläge auf israelisches Territorium geht höchstwahrscheinlich auf das Konto der islamistischen Terrororganisation „Islamischer Dschihad“ - es sind radikale Konkurrenten der Hamas, mit denen sie sich einigen wollte. Der Islamische Dschihad wollte indes seine Schlagkraft Ägypten und dem Emir von Katar vorführen, der gerade in den Gazastreifen gereist war und damit die Hamas international legitimiert hatte. Unmittelbar nach seiner Abreise aus dem Gazastreifen schlugen die Raketen in Israel ein. Vermutlich wollte man dadurch die Hamas vorführen - und es war ein durchaus erfolgreicher Versuch. Islamischer Dschihad hat gezeigt, wer der Herr im Hause ist.

Die Kampftruppe des Islamischen Dschihad wollte dadurch ihre Einsätze richtig erhöhen. Der Gegenschlag Israels traf jedoch den Truppenanführer Izz ad-Din al-Qassam Ahmed al-Dschabari, den wohl wichtigsten Feldkommandeur der Hamas-Milizen im Gazastreifen.  

Danach hat Israel die komplette Hamas-Infrastruktur systematisch beschossen. Es ist ja bekann, wo ihre liegen und wo ihre Kasernen sind.

Das wird eine harte Operation im Gazastreifen, und es wird noch viel passieren. Im Frühjahr oder Sommer könnte es zum Krieg gegen den Iran kommen, auch stehen der Zusammenbruch Syriens auf der Tagesordnung sowie die schwierige Situation in Jordanien, das als Staat ebenfalls zusammenbrechen könnte.

Welche Ziele verfolgt der Katar in diesem Prozess, welche die Vereinigten Arabischen Emirate? Überschneiden sie sich mit den Zielen der anderen Länder am persischen Golf?


Alle haben die gleichen Ziele, jeder möchte am liebsten die Führung übernehmen. Die Emirate sind da eher zurückhaltend, da sie sich um die eigene Innenpolitik kümmern. Dort hat man keinerlei außenpolitische Ambitionen.

Was wird der ägyptische Präsident Mohammed Mursi Ihrer Meinung nach tun, sollte der Konflikt im Gazastreifen länger andauern? Wird er Flüchtlinge aus dem Gazastreifen aufnehmen?


Mursi wird niemanden aufnehmen. Er weiß ja nicht einmal, wohin mit seinen eigenen Leuten - bald werden es 100 Millionen Menschen sein. Ägypten steht vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Und wenn am Oberlauf des Nils wie geplant Staustufen errichtet werden, gibt es dort bald auch einen Wassermangel.

Mursi wird auch nicht zwischen Israel und den Islamisten vermitteln. Er will doch die Vereinbarungen von Camp David zum Scheitern bringen (1978 wurde im amerikanischen Camp David ein vorläufiges Abkommen getroffen und im darauffolgenden Jahr in Washington ein Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten unterzeichnet. - Anm. d. Red.). Ein großer ägyptisch-israelischer Krieg steht uns noch bevor, und er ist weitaus gefährlicher, als ein Krieg zwischen Israel und dem Iran.

Weshalb will Mursi das Abkommen von Camp David auflösen? 


Weil Mursi nicht in der Lage ist, seine Wirtschaft zum Laufen zu bringen und mit dem Sozialwesen, den Steuern und der Demografie völlig überfordert ist. Doch er muss zeigen, dass er trotz allem Präsident des Landes ist. Folglich muss er für Ägyptens verletzte Rechte kämpfen, für die Wiederaufrüstung der Sinai-Halbinsel, für die absolute Kontrolle über die unterschiedlichen Islam-Strömungen, einschließlich den konkurrierenden islamistischen Gruppen, den Salafisten oder ihren Nachbarn - der Hamas.

Kann sich Russland an einem Friedensprozess beteiligen?


Die Palästinenser wissen sich auch ohne Russland untereinander zu verständigen, und das werden sie auch künftig tun. Was den Friedensprozess zwischen den Palästinensern und Israel anbetrifft, so wurde bereits 1999 zu Grabe getragen.   

Die Tatsache, dass die Initiatoren und Fürsprecher des Friedensprozesses noch immer den Anschein erwecken wollen, dass ihn noch gibt und sie ihn real beeinflussen können, geht allein auf ihre persönlichen bürokratischen Nutzfaktoren zurück: gute Gehälter, Erstattung der Reisespesen, Nichtstun auf Staatskosten. Ihr wahrer Einfluss ist gleich Null.

Die russische Rolle in der Region ist ein Ritus, weil es einen Interessenkonflikt zwischen Russland und den Ländern vor Ort gibt: Russland verkauft doch auch Öl, und zwar an die gleichen Abnehmer wie sie.

Die ungekürzte Fassung des Beitrags erschien zuerst bei Wsgljad.

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