Bild: Natalia Michalenko
Das russische Ballett hat viele Stars hervorgebracht. Bis heute gilt Vaslav Nijinsky als einer der bedeutendsten russischen Balletttänzer seiner Zeit. Das Talent wurde ihm bereits in die Wiege gelegt. Nijinsky wurde 1889 als Sohn eines Tänzers und einer Tänzerin geboren, auch seine ältere Schwester Bronislava war eine berühmte Ballerina und Choreographin.
Nijinsky war polnischer Abstammung. Sein Äußeres wirkte eher mongolisch oder tatarisch. Er galt als verschlossen und schwer von Begriff. So war er dann auch ein erbärmlicher Student und fiel durch alle Examen. An seiner Tanzakademie war er daher nicht sehr beliebt. Doch das spielte nicht wirklich eine Rolle, denn Nijinsky tanzte bereits am Sankt Petersburger Mariinski-Theater. Dort begann seine Karriere.
Die Kunst des Nijinsky
Er war legendär für seine außergewöhnliche Sprungkraft. Wenn er sprang schien es, als würde er in der Luft stehen bleiben, als würde er fliegen. Zeitgenossen nannten ihn daher auch den „fliegenden Nijinsky“ oder den „Zaren der Lüfte“. Mehr als zehn Drehungen hintereinander soll er geschafft haben. Die Entfernung vom Bühnenrand bis in den hinteren Teil konnte er mit einem einzigen Sprung überwinden.
Später konnte Nijinsky auch Erfolge als Choreograph verbuchen. Die Stücke „Sacre du printemps“ (das Frühlingsopfer), „L'Après-midi d'un faune“ (der Nachmittag eines Fauns), „Jeux“, oder „Till Eulenspiegel“ sind für immer mit seinem Namen verbunden. Wegen der eindeutig erotischen Anspielungen in seinen Inszenierungen war er als Choreograph durchaus umstritten.
Im Jahre 1909 holte ihn der berühmte Ballett-Impresario Sergei Djagilew in
die Kompanie seines neuen Ballets Russes, das wegen seiner neuartigen Inszenierungen schnell Weltruhm erlangte. Djagilew hatte großen Einfluss auf den Tänzer. Es war kein Geheimnis, dass die beiden ein Paar waren.
Es gibt das Gerücht, dass Djagilew seinen Tänzer dazu überredet haben soll, bei einer Vorführung in Anwesenheit der Familie Romanow in einer extrem körperbetonten Hose aufzutreten. Das löste einen Skandal aus und Nijinsky wurde entlassen. So war er frei für Djagilews Ballettkompanie, mit der er weltweit auftrat und große Erfolge feierte.
Genie und Wahnsinn
Nijinsky galt als emotional sehr labil. Nicht nur das Talent, auch der Wahnsinn war ihm vererbt worden. In seiner Familie gab es bereits Fälle von Schizophrenie. Über sich selbst soll er einmal gesagt haben: „Ich will alle lieben, das ist mein Lebensziel. Ich will weder Kriege noch Grenzen. Ich bin ein Mensch, Gott ist in mir und ich in ihm. Ich bin der Gott Nijinsky“.
Nijinsky hatte wohl einen Hang zum spirituellen. Es heißt, er habe östliche Praktiken gelernt, hinduistische Rituale, Yoga und die Technik der Levitation, des freien Schwebens. Während des Schwebens habe sich seine Seele vom Körper gelöst und den Körper von außen beobachtet. Dies soll auch der Grund für seine beinahe übermenschliche Sprungkraft gewesen sein.
Im Jahr 1913 kam es zu einem folgenschweren Ereignis, nämlich zum Bruch mit Djagilew, der ihn aus der Kompanie warf. Nijinsky soll unter der Trennung sehr gelitten haben. Drei Jahre später kehrte Nijinsky für kurze Zeit zur Kompanie zurück, doch gab es immer deutlicher werdende Anzeichen von Wahnsinn. Schließlich verbrachte der einst beste Balletttänzer der Welt fast dreißig Jahre seines Lebens in psychiatrischen Kliniken.
Ein erstarrtes Talent
Immer wieder versuchten seine Ballettkollegen ihn zur Rückkehr zum Tanz zu bewegen. Der Tänzer Serge Lifar soll einmal versucht haben, Nijinsky aus seiner Erstarrung zu holen, indem er stundenlang vor ihm tanzte. Nijinsky soll mit gläsernen Augen zugeschaut haben und sogar einmal, wie von einer unsichtbaren Kraft in die Höhe gerissen, durch die Luft gesprungen sein. Doch alles war vergebens. Er verfiel wieder in seine Starre.
Als Auslöser von Nijinskys Wahnsinn galten nicht nur Veranlagung und die zerbrochene Beziehung zu Djagilew, sondern auch die unruhigen Zeiten von Revolution und Krieg, in denen Nijinsky lebte. Er war eine grausame Zeit, geprägt von Kriegen, politischen Umstürzen und Armut. Für viele ging es nur noch ums Überleben. Die Kunst, und damit auch das Ballett, traten in den Hintergrund. Nijinsky konnte das nicht ertragen und zerbrach daran.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Nijinsky, inzwischen in Vergessenheit geraten, plötzlich aufgespürt. Ein Korrespondent der Zeitschrift „Life“ entdeckte ihn zufällig, inmitten sowjetischer Soldaten tanzend. Es war wie eine Befreiung: Nijinsky, der bis dahin fast nicht mehr kommuniziert hatte, unterhielt sich auf einmal mit seinen ehemaligen Landsleuten.
Fünf Jahre später, im Jahre 1950, starb Nijinsky in London, wo er zunächst auch beerdigt wurde. Seine letzte Ruhe fand der Tänzer schließlich drei Jahre später auf dem Pariser Friedhof Montmartre. Auf seiner Grabplatte aus grauem Stein sitzt ein trauriger bronzener Clown.
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