Fremdwörter im Russischen: Ein Sprachführer

Bild: Nijas Karim

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Viele russische Begriffe sind Fremdsprachen entlehnt oder auf regionale Besonderheiten zurückzuführen. Wer in Russland von einer "schwedischen Familie" spricht, meint nicht etwa das skandinavische Vater-Mutter-Kind-Gebilde, sondern eine Dreiecksbeziehung. Ein kleiner Sprachführer.

In der russischen Sprache werden viele ausländische Städte und Länder mit bestimmten Gegenständen und Begriffen in Verbindung gebracht. Aus Schweden kommt zum Beispiel der Begriff „schwedskij stol“, der im Deutschen als „kaltes Buffet“ bekannt ist, die Sprossenwand heißt „schwedskaja stenka“ und wer in einer schwedische Familie, also in einer „schwedskaja semja“ lebt, hat eine Dreiecksbeziehung.

Die Achterbahn kennt man in vielen Ländern der Welt  unter dem Namen „Russian Mountains“; die Russen nennen diese Rummelplatz-Attraktion dagegen „amerikanskije gorki“, amerikanische Berge. Das armenische Radio „armjanskoje radio“ ist in der ganzen Welt bekannt unter dem Namen „Sender Eriwan“: Zu Zeiten der Sowjetunion gab es viele Witze mit einer mehr oder weniger naiven Anfrage an den fiktiven Sender Eriwan, auf die dieser stets eine paradoxe Antwort gab.

Auch Chinesisch ist in der russischen Sprache anzutreffen, zum Beispiel als „kitajskaja golowolomka“, eine Denksportaufgabe, auch bekannt als „Suriza“ bzw. „Chinesische Mauer“. Eine zwar mehrfach geäußerte, aber

doch leere Drohung ist eine chinesische Warnung, eine „(posledneje) kitajskoje predupreschdenije“.

Mit der spanischen Sprache wird vor allem der „spanische Stiefel“, auf Russisch „ispanskij saposchok“ verbunden: Dieses mittelalterliche Folterinstrument, eine Beinschraube, wurde zuerst in Spanien eingesetzt.

Einige dieser Wortverbindungen sind Filmen oder Büchern entlehnt. Der deutsche Schriftsteller Georg Born prägte im 19. Jahrhundert den Ausdruck „Geheimnisse des Madrider Hofs“ als Synonym für Intrigen in der Staatsführung, heute in Russland noch als „Tainy Madridskowo dworá“ bekannt.

Mit dem Lied „Podmoskownyje wetschera“ wurde den Moskauer Nächten ein Denkmal gesetzt. Genauigkeit wird normalerweise gleichgesetzt mit „schweizerisch“, vielleicht wegen der weltbekannten Schweizer Präzisionsuhren, denn Akkuratesse und Pünktlichkeit gelten gemeinhin als deutsche Tugenden. In den letzten Jahren wird  „deutsch“ allerdings zunehmend im Zusammenhang mit Pornografie verwendet.


Internationale Küche

„Argentina“ steht für Tango und „Tschili“ („Chile“) für scharfe Paprikaschoten, die im Russischen genauso heißen wie das südamerikanische Land. Genauso scharf ist der „korejskaja markowka“, der koreanische Karottensalat. Dazu isst man am besten eine „franzuskaja bulka“ („französisches Brötchen“) mit „golanskim syrom“ („holländischem Käse“) oder „krakowskoj kolbasoj“ („Krakauer Wurst“).

Die Namen der Getränke, die man zu diesem internationalen Festmahl reicht, beziehen sich häufig auf Osteuropa. Zum Beispiel das „tscheschskoje piwo“ („tschechisches Bier“) oder der „rischskij balsam“ („Rigaer Balsam“), ein Kräuterschnaps aus Lettland. Zu Sowjetzeiten hätte es auch ein „Moskowskaja wodka“ („Moskauer Wodka“) sein können, aber diese Marke ist heutzutage kaum mehr anzutreffen. Zum Nachtisch könnte man einen „kofe po-warschawski“ („Warschauer Kaffee“) trinken.

Zum Kaffee passen internationale Süßigkeiten: „Berlinskoje petschenije“ („Berliner Plätzchen“), „tulskije prjaniki“ („Tulaer Lebkuchen“), „kijewskij tort“ („Kiewer Torte“) und das „leningradskoje moroschenoje“ („Leningrader Eis“).


Lieber nach Sibirien

Für die ganze Welt ist Sibirien, der östliche Teil Russlands, der Ort, an dem immer Winter ist. Für das russische Bewusstsein ist Sibirien jedoch nicht mit so schrecklichen Assoziationen verbunden, denn aus russischer Sicht

lässt es sich in einem großen Teil dieses Gebietes gar nicht so schlecht leben. Negative Emotionen rufen eher die weiter entlegenen Regionen des Landes hervor: Kolyma und Kamtschatka. In „Brilliantowaja ruká“ („Brilliantenarm“), einer sowjetischen Kult-Komödie aus den sechziger Jahren, sagt ein zufälliger Bekannter dem Helden zum Abschied: „Wenn Sie mal auf der Kolyma sind, schauen Sie doch mal bei uns vorbei!“, worauf der Held erschrocken antwortet: „Nein, besser Sie besuchen uns!“ Dieses Zitat wurde in Russland zum geflügelten Wort. Mit „Kamtschatka“ bezeichnet man normalerweise die letzte Bankreihe im Klassenraum.

Das nicht allzu weit entfernte und tatsächlich kalte amerikanische Alaska hat in der russischen Sprache noch eine völlig andere Bedeutung: Mit „Alaska“ bezeichnet man eine warme Daunenjacke mit Fellkapuze. „Kanady“ („Kanadas“) nennt man Schlittschuhe mit abgerundeten Kufen für das Eishockeyspiel. Die Kopfbedeckung „Panama“ erhielt ihre Bezeichnung von dem zentralamerikanischen Land, auch wenn sie eigentlich aus Ecuador stammt. Die Inselgruppe der Bermudas waren Namensgeber für die halblangen Sommerhosen.


Schneeleoparden aus Shanghai

Noch mehr geflügelte Worte stammen aus dem Bekleidungsbereich. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als es noch keine echten US-amerikanischen Jeans in der Sowjetunion gab, wurden die russischen und osteuropäischen Pendants nach dem US-Bundesstaat Texas „techasy“

genannt.

Ostap Bender, Held der Schelmenromane von Ilja Ilf und Jewgenij Petrow, macht bei dem Versuch, ein weiteres Opfer um den Finger zu wickeln, dessen falschen Pelz ein Kompliment: „Man hat Sie betrogen! Sie haben einen viel besseren Pelz bekommen. Das ist kein mexikanischer Tuschkan, sondern ein Schneeleopard aus Schanghai!“ Seitdem steht der Ausdruck „schanchajskij bars“ für ein billiges Imitat.

Kein Imitat, sondern wirkliche russische Markenwaren von hoher Qualität sind dagegen die „Wologodskije kruschewa“ („Wolgodaer Spitze“), die „Orenburgskije platki“ („Orenburger Tücher“) sowie „Chochloma“, Lackmalerei auf Holzgegenständen, „Palech“ (Dosen) und „Gschel“, handgemaltes Porzellan, deren Bezeichnungen auf den entsprechenden Fertigungsort zurückzuführen ist.

Als Symbol der tiefsten Provinz hat sich im russischen Bewusstsein die mitten im europäischen Teil Russlands gelegene Stadt Tambow eingebrannt. Als Zentrum der Scherzkekse gilt die im Süden gelegene

ukrainische Stadt Odessa mit ihrem sprichwörtlichen „Odessaer Humor“. Gemeinhin steht in der russischen Sprache „Süden“ für Erholung und Entspannung, der „Norden“ dagegen gilt als Ort für harte und gut bezahlte Jobs; schon früher fuhr man „in den Norden“, um Geld zu verdienen, und „in den Süden“, um es dann auf angenehme Weise wieder auszugeben.

Die beiden anderen Himmelsrichtungen haben ebenso Symbolgehalt: Der Westen steht für Zivilisation und Fortschritt, der Osten dagegen für konservative Traditionen und mysteriöse Geheimnisse. „Wostok – delo tonkoje“ wie es im Sechzigerjahre-Kultfilm „Bjeloje solnze pustyni“ („Die weiße Sonne der Wüste“) heißt, oder um es mit Fontane zu sagen: „Der Osten ist ein weites Feld.“

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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