Kulturschock

Foto: Geo Photo

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Adele zu Besuch bei der Ural-Stadt Perm.

Nach knapp einem Jahr reiste ich wieder nach Perm, eine Stadt, die ich seit 2009 regelmäßig besuche. Damals erlebte diese Stadt einen kulturellen Aufschwung, schickte sich an, Kulturhauptstadt zu werden. Dazu hatte der ambitionierte Gouverneur kulturelle Prominenz aus der Hauptstadt in den Ural geholt. Der bekannte Galerist Marat Gelman eröffnete am Ufer der Kama ein Museum für moderne Kunst, der Regisseur Boris Milgram machte in Sachen Theater Dampf. In den Straßen und auf den Plätzen der Stadt tauchten überdimensionale Exponate moderner Kunst auf. Was natürlich nicht allen gefiel, es gab heiße Diskussionen, eine wichtige und richtige Begleiterscheinung solcher Prozesse. Junge Leute arbeiteten freiwillig an der Propagierung der neuen Offenheit mit.

Das Permer Wirtschaftsforum zog Spezialisten aus der ganzen Welt an. Dann kam die kalte Dusche, die unerwartete Ablösung des Gouverneurs. Sogleich traten die konservativen und nach rückwärts gerichteten Kräfte wieder auf den Plan und tilgten und tilgen emsig die Spuren des Aufbruchs. Auch der Servicegedanke, der sich im Lande wahrlich schwer ansiedeln lässt, kommt wieder unter die Räder. Er hatte sich gerade auf den Weg in die Köpfe der Menschen gemacht. Ein großes Hotel aus Sowjetzeiten hat den Servicehahn mächtig zugedreht. Das Frühstück war eine glatte Katastrophe, das Personal ebenso. Der Jungkoch, der die eigenwilligen Speisen am Frühstücksbüffet nachfüllte, vertrieb mit seinem, Schweißgeruch empfindliche Gäste von der Futterstelle..

Von außen hat sich das Hotelgebäude einen besonderen Schmuck angelegt. Im Erdgeschoß tummeln sich sieben Banken, eine hat sich um die Ecke, aber noch im gleichen Gebäude, angesiedelt. Erinnert verdammt an die Zeit vor dem ersten großen Crash im August 1998.

Ansonsten geht das alltägliche Leben seinen gewohnten Gang. Ein Highlight ist jedes Mal der Besuch im Augustin, einem deutschen Restaurant an einer der Hauptstraßen, die sich kokett Kompros nennt und den sowjetischen Namen Komsomolski Prospekt so elegant verhüllt. Tür auf und Du bist in einer anderen Welt. Der deutsche Küchenchef achtet auf Authenzität. Viele deutsche Schilder, aber das Wichtigste ist eine schmackhafte Küche und deutsches Bier. In der Speisenkarte stehen die deutschen Bezeichnungen der Gerichte mit kyrillischen Buchstaben, unübersetzt. Das sieht saukomisch aus und hört sich noch viel komischer

an. Im Kleingedruckten wird dann das Gericht erläutert. Es ist ein Ohrenschmaus, den Bestellungen zu lauschen.

Neben einem riesigen Elchkopf hängt ein knallorgngenes Banner von Jägermeister. Die Kellnerinnen könnten auch glatt auf dem Münchner Oktoberfest arbeiten, bodenständig und Achtung gebietend. Um den Mythos, in Deutschland essen alle nur Haxen, Bratwürste und ähnliche deftige Sachen, etwas abzuschwächen, gibt es zu meiner großen Freude Hamburger Wochen mit Köstlichkeiten vom Fisch in allen Variationen. Der marinierte Hering nach Hausfrauenart hat ausgezeichnet geschmeckt. So wie zu Hause eben.

Der Humor kommt auch nicht zu kurz, der Man am Tresen begrüßt seine Stammgäste mit flotten Sprüchen. Er kommt natürlich aus Perm. Und kennt seine Pappenheimer. Hinter seinem mit Ostereiern geschmückten Tresen ist er der ungekrönte König. Zu dem gewollten kommt der unfreiwillige Humor dazu, der sich allerdings nicht allen erschließt. Aus den Lautsprechern ertönt natürlich bayerische Musik, gemischt mit Marianne Rosenberg, Frank Schöbel, Nina Hagen, Karat, Maffay und vielen anderen.

Wem diese Namen noch etwas sagen, der muss zugeben, dass es eine ungewöhnliche Mischung ist. Offensichtlich reichen aber die CDs nicht und es werden mitten im Frühling deutsche Weihnachtslieder gespielt, was keiner so richtig merkt. Also ist der deutsche Maestro nicht im Hause. Trotz

der soliden Mauern dringt der Lärm der Jagdflieger hin und wieder durch die Musik. Sie sind hier stationiert und landen auf dem kleinen Flughafen gleich neben den Passagierflugzeugen. Das ist auch ungewöhnlich und dazu noch sehr laut.

Perm und das nicht weit entfernte Jekaterinburg sind sich nicht grün, so wie Wladiwostok und Chabarowsk. Es eifersüchtelt. Früher gehörte Jekaterinburg zum Permer Gouvernement und stand also in der Rangordnung unter Perm. Das hat sich im Laufe der Geschichte geändert und Perm schmollt. Aber genau wie an Jekaterinburg ging auch der Kelch der Umbenennung der Städte nach Revolutionären und hohen Funktionären nicht vorbei. Aus Jekaterinburg wurde Swerdlowsk, aus Perm Molotow. Perm bekam jedoch viel eher seinen Namen wieder zurück als andere Städte, der Spuk hatte nur 17 Jahre gedauert, von 1940 bis 1957. Jekaterinburg musste erheblich länger warten, genau so wie Sankt Petersburg.

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