Kurzreise nach Twer

Foto: ITAR-TASS

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"Die Autobahn zwischen Moskau und Sankt Petersburg ist blamabel denn sie führt durch viele Ortschaften und zwingt zum Langsamfahren": Adeles Reisenotizen.

Zur Abwechslung bin ich mal mit dem Auto auf eine kurze Dienstreise gegangen. Zug war mir zu öde und eh ich auf dem Bahnhof angelangt wäre in aller Frühe, hatte ich schon die Hälfte des Weges zurück gelegt. Ich hatte Glück, am frühen Morgen gegen den Strom zu fahren, an der langen dicken Blechwurst vorbei, der sich jeden Morgen gen Moskau wälzt. Angenehm war, dass nicht hinter jedem Busch die Verkehrspolizisten mit und ohne Kameras lauerten, wie noch vor nicht allzu langer Zeit. Das übernehmen hier auch zunehmend stationäre Kameras, die der Navigator mit einem nervenden Signal anzeigt, die anfangs von allen ignoriert wurden. Als die ersten „Glücksbriefe", wie hier die Rechnungen für Knöllchen heißen, eintrudelten, wurden die Fahrer vorsichtiger. Inzwischen fahren schon die meisten bei den Ortsdurchfahrten nach Vorschrift.

Das wollen sie aber nicht hören, denn sie sind ja stolz drauf, Gesetze und Verordnungen zu missachten. Wenn es jedoch an den Geldbeutel geht, werden alle zahm. Sieht man doch in Deutschland. Als ob wir alle Engel wären auf den Straßen. Die hohen Geldstrafen verleiten zu zähneknirschender Gesetzestreue. Genau so war es hier mit der Anschnallpflicht hier. Herzhaftes Gelächter, in die Halterungen steckte man kleine Holzstücke oder ähnliches hinein, damit das Auto nicht piepte. Nur Weicheier schnallten sich an. Was haben wir jetzt? Fast alle schnallen sich an, wortlos.

An der Trasse nach Petersburg stehen geduckte Holzhäschen, einige frisch gestrichen und adrett, viele verfallen oder abgefackelt. Denn nicht die Häuser sind das Ziel der Wünsche der Immobilienhaie, sondern das dazu gehörige Land. Wer nicht weichen will, muss fühlen. Wenn die knall harten Realtory, wie die Herren oder Damen hier heißen, gewonnen haben, wachsen sofort meterhohe Metallzäune aus dem Boden und um die Anwesen. Manchmal stehen noch die alten Verkaufsschilder und bieten mindestens 30 Hektar Land an. Da wird sich wohl in nächster Zeit etwas tun. Was auch immer.

In und um Sawidowo, da gibt es Wasser ohne Ende, da hat übrigens auch der Präsident eine seiner Residenzen, bieten die Anwohner Fisch im Überfluss an, kalt oder warm geräuchert, Luft getrocknet – alles, was das Herz begehrt. Aal, Hecht, Zander oder Welse werden feil geboten. So versucht jeder über die Runden zu kommen. Auch Extremangeltouren stehen auf dem Programm. Die Werbeplakate sprechen indes eine andere Sprache, da ist von Angeln weniger die Rede als von feuchtfröhlichen Feten mit leicht bekleideten Mädchen.

Diese wichtige Verbindungsader zwischen Moskau und Sankt Petersburg ist blamabel denn sie führt durch viele Ortschaften und zwingt zum

Langsamfahren und istt oft viel zu schmal für den Güterverkehr. Das kostet Zeit und Nerven, denn die Brummifahrer wollen ja auch ankommen und überholen sich gegenseitig oft an den unübersichtlichsten Stellen. Die neue Trasse ist schon viele Jahre lang geplant, kommt aber nur sehr langsam in die Pötte. Als erstes wurde das Fell des Bären geteilt, als er noch lebte, nämlich die sagenhaft hohe Maud publik gemacht. Dann tat sich erstmal nichts, die bereit gestellten Gelder waren offensichtlich in dunklen Kanälen versickert.

Jetzt wird wieder etwas gebaut, aus Moskau heraus gibt es schon Ansätze. Aber bis zum Ziel ist es noch weit, knappe 700 Kilometer. Jetzt wird in Höhe des Großflughafens Schermetjewo gebaut, was wiederum alle behindert, die per Auto zum Airport wollen. Dann gab es Verzögerung, weil ein Waldstück in Chimki wegen der Trasse abgeholzt werden sollte und bewegte Bürger das verhindern wollten. Aber es besteht Hoffnung, dass wir in den nächsten Jahren nach Petersburg durchbrettern können.

Twer liegt an der Strecke nach Petersburg. Zu Sowjetzeiten wurde es in Kalinin umbenannt, zu Ehren eines Mitstreiters der Revolution von 1917.

Die Stadt trug seinen Namen von 1931 bis 1990, dann hieß sie wieder Twer. Vorher hatte sie schon mal zu den Städten gehört, die sich in eben Hauptstadt von etwas nannten. Unbestritten ist ihre historische Bedeutung, nachdem Peter I. Moskau ignorierte und seine Hauptstadt auf Sümpfen und Knochen am Finnischen Meerbusen baute. Sie war ein Bindeglied zwischen Moskau und Petersburg.

In den vergangenen Jahrzehnten von den Mächtigen vernachlässigt, mausert sich diese Stadt nun offensichtlich. Sie zählt knapp eine halbe Million Einwohner, die es meiner Meinung nach genießen, zwischen den beiden Hauptstädten zu liegen und nicht einfach nur Provinz zu sein. Twer macht das Beste draus und prosperiert einfach.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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