Was der Name des Literaten erzählt

Bild: Natalja Michajlenko

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Tolstoi und Dostojewski, Tschechow und Pasternak, Nabokov und Solschenizyn – ein jeder kennt die Namen dieser bedeutenden russischen Schriftsteller. Was steckt dahinter? Alexej Michejew hat bei der Namensforschung Erstaunliches herausgefunden.

Puschkin – die Kanone

Alexander Puschkin ist wohl das Symbol russischer Literatur und Kultur schlechthin, ebenso wie Dante in Italien oder Goethe in Deutschland. Doch für jene, die kein Russisch sprechen, wird dies kaum verständlich sein, da in den Übersetzungen von Puschkins Poesie sehr viele Nuancen verloren gehen. Der russische Meisterschriftsteller stammt aus einem alten Adelsgeschlecht, dessen Anfänge auf das 14. Jahrhundert, genauer gesagt, auf Grigorij Morchinin zurückgehen, der den Beinamen „Puschka" (zu Deutsch: „Kanone") erhielt, da er Russlands erster Artillerist war. Heutzutage wird Puschkin beinahe schon als mythologische Figur gesehen, sagen doch russische Eltern beispielsweise zu ihren lernfaulen Kindern gerne: „Wer soll dir deine Hausaufgaben machen? Puschkin etwa?"

 

Lermontow – schottische Wurzeln

Ein ebenfalls bedeutender Poet der russischen Klassik ist Michail Lermontow, ein junger Zeitgenosse Puschkins. Sein Familienname ist schottischer Abstammung, da einer seiner Vorfahren, Georg Lermont, im Jahre 1613 im Zuge seines Armeedienstes von Schottland nach Russland kam. In ihren berühmtesten Werken verliehen Lermontow und Puschkin ihren Protagonisten übrigens die Namen von Flüssen im nördlichen Russland. Puschkins Held in seinem Versroman „Eugen Onegin" ist nach dem Fluss Onega benannt und Lermontows Petschorin in seinem Roman „Ein Held unserer Zeit" trägt den Namen des Flusses Petschora.

 

Tolstoi – der Dicke

Der bedeutendste Prosaist Russlands ist zweifellos der Autor von „Krieg und Frieden": Graf Leo Tolstoi. Seine Vorfahren stammen ebenso von einem alten Adelsgeschlecht ab, dessen erster Vertreter allem Anschein nach ein Mensch mit durchaus stattlicher Statur gewesen sein muss, denn „tolstij" bedeutet übersetzt „dick". Einem Protagonisten in seinem Meisterwerk „Anna Karenina" verlieh Tolstoi den bezeichnenden Familiennamen Ljewin, abgeleitet vom Namen Leo, der darauf anspielt, dass Tolstoi in gewisser Hinsicht ein Alter-Ego-Autor war. Literaturgeschichte schrieben noch weitere Schriftsteller aus dem Geschlecht der Tolstois: Leo Tolstois Zeitgenosse Alexej Konstantinowitsch Tolstoi und der sowjetische Autor Alexej Nikolaewitsch Tolstoi, der aufgrund seiner Loyalität zur sowjetischen Regierung den Beinamen „Roter Graf" trug. Bei der zeitgenössischen Schriftstellerin Tatjana Tolstaja handelt es sich um die Enkelin des Roten Grafen.

 

Dostojewskij – unsterblich geografisch

Der Familienname dieses Meisterschriftstellers hat „geografische" Wurzeln, stammen doch die Vorfahren von Fjodor Michailowitsch Dostojewskij aus dem belarussischen Örtchen Dostojew. In Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita" gibt es folgende Szene: Der Pförtner will die beiden Protagonisten des Romans ohne entsprechenden Berechtigungsschein nicht in das Restauranthaus der Schriftsteller gehen lassen. Als einer der beiden Romanhelden daraufhin sagt, dass Dostojewskij beispielsweise auch nicht über einen Berechtigungsschein verfügt habe, antwortet der Pförtner: „Dostojewskij ist tot." Das empört den anderen Protagonisten: „Ich protestiere! Dostojewskij ist unsterblich." Dieser Satz ging in die Geschichte ein. Was Bulgakows Familiennamen anbelangt, so geht dieser auf den in der Ukraine weit verbreiteten Namen Bulgak zurück, der übersetzt so viel bedeutet wie „ruhelos" oder „raschlebig".

 

Tschechow – der Verschnupfte

Mit den Tschechen hat dieser Familienname nichts zu tun, denn er leitet sich vom altrussischen Namen „Tschech" oder „Tschoch" ab, der wiederum auf das Verb „tschichat" (zu Deutsch: „niesen") zurückgeht. Solche Beinamen wurden früher Menschen verliehen, die ständig erkältet waren und Schnupfen hatten. In seiner Jugend veröffentlichte der praktizierende Arzt Anton Tschechow regelmäßig humoristische Erzählungen in einem Periodikum, wobei er dafür stets Pseudonyme verwendete. Der berühmteste seiner Decknamen ist wohl Antoscha Tschechonté, wobei er noch viele andere verwendete wie „Der Bruder meines Bruders", Laertes, Ulysses, „Mensch ohne Milz", Champagner oder „Schiller Shakespearowitsch Goethe". In seinen Erzählungen „Der Name mit Pferd" versucht der Protagonist, sich an seinen Familiennamen zu erinnern, der irgendetwas mit einem Pferd zu tun hat, und geht dabei Dutzende Varianten durch. Zum Schluss stellt sich heraus, dass sein Familienname Owsow lautet, der sich von dem Wort „owjos" (zu Deutsch: „Hafer") ableitet, was Pferden gefüttert wird.

 

Bunin, Pasternak & Co. – nobelpreiswürdige Namen

Im 20. Jahrhundert gelang es gleich fünf russischen Schriftstellern, mit dem höchsten aller literarischen Preise ausgezeichnet zu werden – dem Nobelpreis für Literatur. Zu diesen zählten Iwan Bunin, Boris Pasternak, Michail Scholochow, Alexander Solschenizyn und Joseph Brodsky. Doch was genau bedeuten die Namen dieser literarischen Giganten?

Der Familienname Bunins stammt vom Beinamen Bunja ab – ein Spitzname, dem man einst Menschen gab, die als überheblich und stolz galten.

Pasternaks Familienname hingegen diente als Wortstamm für den Namen der Pastinake, einer schmackhaften Gemüseart. Aus dem Familiennamen des Helds in Pasternaks berühmten Roman „Doktor Schiwago" ist wiederum herauszulesen, dass die Figur dem russischen Adel angehörte. Dafür spricht die inzwischen veraltete, typische russische Endung -ago in seinem Familiennamen. Das entspricht im Deutschen etwa dem „von". Im modernen Russischen entspräche dies der Endung des Adjektivs „schiwoj" („lebend", „lebendig") im Genitiv und würde „schiwowa" ausgesprochen werden.

Was den Familiennamen des Schriftstellers Scholochow angeht, so stammt er vom russischen Adjektiv „scholochij" („pockig") ab. Dieses Attribut verwendet man beispielsweise, um jemanden zu bezeichnen, der ein von Pocken gezeichnetes Gesicht, also Pockennarben, hat.

Auch Solschenizyns Familienname hat eine eigene Bedeutung. Sein Ursprung findet sich im russischen Wort „solschenizy". So nannte man in Russland jene, die Malz anbauten. Genauer handelt es sich um jene Menschen in Russland, die Malz keimen und trocknen ließen. Ebenfalls interessant ist auch, dass der Familienname des Protagonisten in Solschenizyns Roman „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch", Iwan Schuchow, von Schucha abstammt – eine Kurzvariante des Namens Alexander (Sascha, Saschucha, Schucha). Indirekt spielt also Solschenizyn, wie im Falle von Tolstois Ljewin, in seinem Meisterwerk durch diesen Namen darauf an, dass der Schriftsteller im Roman über sich selbst schreibt.

Der Familienname des letzten Nobelpreisträgers ist ein typischer Name, der auf einen Ort anspielt. Genauer deutet Brodsky darauf hin, dass die Vorfahren des Schriftstellers aus der ehemals galizischen, heute ukrainischen Stadt Brody stammten.

 

Nabokov und Jerofejew – schief und verwechselbar

Die Familiennamen dieser beiden Literaturgenies haben ebenfalls ihre eigenen kuriosen Geschichten zu erzählen. So stammt Wladimir Nabokows Name vom russischen Adjektiv „nabokij" ab, das nicht nur „schief", sondern auch im abwertenden Sinne „krumm" heißen kann. Als Nabokov im Exil lebte und damit begann, auf Englisch zu schreiben, erlangte er mit seinem Meisterwerk „Lolita" große Bekanntheit in den USA. Zu dieser Zeit merkte er einmal an, dass viele US-Amerikaner bei der Aussprache seines Nachnamens gewisse Schwierigkeiten hatte: Man sprach seinen Namen dort nämlich nicht Nabokov, sondern Nabakov oder sogar Nabukov aus.

Hinter dem Familiennamen des letzten Schriftstellers, der für sein Werk „Die Reise nach Petuschki" bekannt ist, steckt auf den ersten Blick nichts Besonderes. Der Nachname stammt vom griechischen Wort „ieros" (zu Deutsch: „heilig") ab. Dennoch ist mit diesem Namen eine Geschichte verbunden. Denn heute wird der bereits verstorbene Wenedikt Jerofejew gerne mit dem im Westen viel gelesenen gleichnamigen Wiktor Jerofejew verwechselt – wer weiß schon, welcher von beiden sich hinter W. Jerofejew letztlich verbirgt?

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