Im vergangenen Jahr schlossen russische Behörden weit mehr als 2 000 Internetseiten, die zum Suizid aufrufen oder aktive Hilfeleistungen anbieten. Foto: Alamy / Legion Media
Im russischen Internet wurden innerhalb eines Jahres beinahe 2 500 Webseiten verboten, die Tipps über das effektive Ausscheiden aus dem Leben oder Aufrufe zum Selbstmord enthielten. Experten vergleichen solche Onlineressourcen mit Sekten. In beiden Fällen werde mit der verbreiteten Neigung der Menschen gespielt, sich für tragische Ereignisse zu interessieren.
Soziale Netzwerke sind besonders risikoreich
Die russische Verbraucherbehörde Rospotrebnadsor ließ in 2 414 Fällen Webseiten schließen, die eine Aufzählung von Suizidtechniken mit detaillierter Beschreibung des Ablaufes enthielten, heißt es in einer amtlichen Mitteilung. 2 117 Webauftritte mit verbotenen Informationen wurden entfernt. Untersuchungen gegen 251 Internetseiten würden zurzeit noch laufen. In 137 seien die Hinweise auf „suizidalen" Inhalt nicht bestätigt worden, schreibt die Zeitung Moskowskij Komsomolez.
Allein im Zeitraum vom 1. November 2012 bis heute gingen in der Hotline der Behörde 2 551 Anrufe mit Hinweisen auf „Suizid"-Seiten ein. Solche verbotenen Informationen finden sich meist auf Internetseiten in den sozialen Netzwerken VKontakte, Mail.ru, LiveJournal sowie auf Videoportalen von Google, Youtube und Yandex. Die häufigste Form der Verbreitung von Informationen besteht in einer Aufzählung der unterschiedlichsten Verfahren, seinem Leben ein Ende zu setzen und einer genauen Beschreibung des gesamten Ablaufes.
Neue Gesetzgebung soll Jugendliche vor Einflussnahme schützen
Seit November vergangenen Jahres, als das Gesetz „ Über den Schutz von Kindern vor Informationen, die schädlich für ihre Gesundheit und Entwicklung sind" in Kraft trat, ist es möglich, solche Internetquellen zu schließen. Das neue Gesetz sieht den Aufbau eines Verzeichnisses verbotener Webseiten vor.
Auf der schwarzen Liste sollen Webressourcen landen, die Kinderpornografie und Propaganda von Drogenkonsum und Selbstmord enthalten. Für die Pflege dieses Verzeichnisses sind Rospotrebnadsor, der Föderale Dienst für die Kontrolle des Drogenhandels (FSKN) und die russische Telekom-Aufsichtsbehörde Roskomnadsor zuständig.
Der Kategorie „zum Selbstmord aufrufender" Internetauftritte werden sowohl ernstgemeinte als auch scherzhafte Internetauftritte zugeordnet, erläutert der Psychiater und Kriminalist Michail Winogradow. „Nach unserer Gesetzgebung werden diese in gleicher Weise verfolgt. Witze können daher von Beamten nicht als solche verstanden werden. Auch Erotik und Pornografie sind nach den gesetzlichen Bestimmungen schwer voneinander zu unterscheiden", sagt er.
Es gibt wenig Handhabe gegen die Hintermänner
Die Zahl der Selbstmorde von Heranwachsenden sei in den vergangenen Jahren tatsächlich gestiegen und diese Entwicklung könne mit dem Erscheinen solcher Webseiten in Verbindung gebracht werden, bemerkt der
Experte. „Im Internet findet sich eine Menge destruktiver Internetseiten, die sich auf die Psyche der Menschen, vor allem Jugendlicher, auswirken. Sie demoralisieren die Persönlichkeit und verleiten Menschen zu schlechten Handlungen. Ich bin davon überzeugt, dass die Betreiber solcher Webseiten in Russland dafür Geld bekommen", führt Winogradow aus. Die Aufklärung, wem von solchen Internetpräsenzen profitiere und inwiefern, bleibe der Polizei überlassen. Zu den von solchen Webseiten am leichtesten erreichbaren Risikogruppen gehörten junge Leute aus sozial schwachen Familien und unglücklich verliebte Jugendliche, sagt Winogradow.
Obwohl die Polizei solche Seiten schließen lasse, entstünden laufend neue derartige Informationsangebote, erklärt der Experte. Er weiß sogar von Fällen zu berichten, in denen Personen junge Leute bis auf die Dächer begleiteten, von denen diese hätten gesprungen seien. „Erst vor kurzem wurden zwei solche Männer festgenommen. Einen fassten sie während eines Selbstmordes zweier Jugendlicher. Nachdem die beiden sich vom Dach gestürzt hatten, lief er zum Ausgang. Nach seiner Festnahme behauptete er, er habe sich auch umbringen wollen, den letzten Schritt aber nicht gewagt. So hatte die Polizei nichts gegen ihn in der Hand", erzählt der Psychiater. „Unter ähnlichen Umständen wurde von Anwohnern auch ein Mann festgehalten, der seine Anwesenheit auf dem Balkon, von dem zwei junge Frauen gesprungen waren, genauso erklärte."
Es sei schwer, gegen dieses Phänomen effektiv vorzugehen. Das Tragische ziehe die Menschen immer magisch an, sagt Winogradow. „Auch um einen Unfallort auf der Straße versammelt sich schnell eine Gruppe Schaulustiger".
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