Wenn Großeltern skypen

Das Sozialprojekt W.N.U.K. bringt Senioren bei, im Internet zu surfen. Foto: Alexander Koschorin/RIA Novosti

Das Sozialprojekt W.N.U.K. bringt Senioren bei, im Internet zu surfen. Foto: Alexander Koschorin/RIA Novosti

Immer mehr ältere Menschen finden Gefallen an der Nutzung des Internets. Das Sozialprojekt W.N.U.K. bietet Kurse für Senioren an. Die Prioritäten unterscheiden sich aber deutlich von denen jüngerer Menschen.

In Moskau werden Workshops veranstaltet, in denen ältere Menschen lernen, sich in der Welt des Internets zurechtzufinden. Mitglieder des Sozialprojekts W.N.U.K. (auf Deutsch - Enkel), das darauf abzielt, das ohnehin schwierige Leben russischer Kriegsveteranen lebenswerter zu gestalten, haben dazu bereits den ersten Kurs abgehalten. Lernziel war, den Senioren beizubringen, selbstständig ein erstes Skype-Gespräch mit Freunden oder Verwandten aufzubauen und zu führen.

In einer Bibliothek läuft gerade ein Einsteiger-Computerkurs für Senioren, in dem elegant gekleidete ältere Herren und perfekt frisierte, Perlenketten tragende ältere Damen sitzen. Freiwillige des sozialen Projekts W.N.U.K. schauen ihnen dabei ab und an über die Schulter: Sie versuchen, auf eine einfache Weise das zu erklären, was sie selbst schon automatisch machen, ohne darüber nachdenken zu müssen. Das Ziel der heutigen Unterrichtseinheit besteht zudem darin, selbstständig ein E-Mail-Konto einzurichten, wobei die aufmerksamen Senioren alles sorgfältig mitnotieren.

 

Wissen, wo's langgeht: Blog, Tweet, Like und Nick

Für Ludmila Dmitriewna, meine Gesprächspartnerin, ist diese Unterrichtseinheit nicht die erste. Sie besitzt bereits ein aktives E-Mail-Konto, weiß allerdings noch nicht ganz, wie man E-Mails im Posteingang verwaltet – besonders jene Mails, denen eine Datei angehängt ist.

Ludmila ist eine pensionierte Kardiologin. Ihre Kinder sind bereits erwachsen und führen ein eigenständiges Leben. Den Computer braucht sie großteils dazu, um den TV-Sender „Kultura" zu schauen, wenn sie eine Sendung im Fernsehen verpasst hat, und um Fremdsprachen zu erlernen. Noch suchen wir gemeinsam den Sender im Netz, wobei ich ihr auch zeige, wie man den Yandex-Veranstaltungsführer „Yandex.Afisha" verwendet.

„Ich habe schon immer etwas für Philologie übrig gehabt. Meine Lehrerin war eine Adelige, die uns auf eine wunderbare Art Französisch lehrte. Diese Sprache lag mir sehr und ich hätte es sicher geschafft. Doch letzten Endes bin ich Ärztin geworden. Außerdem möchte ich noch Englisch lernen", erzählt Ludmila. „Es gibt die Sendung ‚Poliglot', die von Dmitri Petrow moderiert wird. Durch sie habe ich meine erste Bekanntschaft mit Computern gemacht. Damals begriff ich, dass das keine leeren Kästen sind."

Ich ertappe mich manchmal selbst beim Gedanken daran, dass wir ältere Menschen oft bevormundend behandeln: Sie nörgeln, können keine SMS schreiben und wissen nicht, wie man E-Mails schreibt. Wir glauben, dass sie nicht mit Skype umgehen können, dass sie weit weg von uns in ihrer eigenen kleinen Welt leben, wo es nur verstaubte Armsessel und Bücherregale gibt.

„Was mich außerdem noch unheimlich ärgert, ist, dass ich die Hälfte von dem nicht verstehe, was die jungen Leute reden", fügt Ludmila Dmitriewna plötzlich hinzu. „All diese Wörter wie ‚Blog', ‚Tweet', ‚Like', ‚Nick' – ich bin es gewohnt, immer auf dem Laufenden zu sein, und sich veraltet zu fühlen, oder gar zum alten Eisen zu zählen, gibt es für mich nicht!"

Ich antworte darauf nicht. Der Monitor schaltet ab, da wir den Computer schon vergessen hatten.

„Alte Menschen haben einen großen Stolz", fährt die „Schülerin" leise fort. „Sie lassen sich ungern etwas zweimal sagen. Wissen Sie, wie die Enkel so sind? Die sagen immer: Oma, das verstehst du nicht. Ich habe keine Zeit. Wozu brauchst du das denn?"

 

Warum die Mühe?

„Warum?", entgegne ich erstaunt. Die Freiwilligen hier antworten schnell auf diese Frage: um im Internet per Online-Banking seine Bankgeschäfte zu erledigen, anstatt in der Bank Schlange zu stehen; um seine Kinder

kostenlos anzurufen und seinen Freunden in sozialen Netzwerken zu schreiben; um Nachrichten und Sendungen zu sehen sowie Veranstaltungskalender durchzublättern und die Wetterprognosen zu lesen.

„Um das zu erledigen, was man schon immer vorhatte", bringt es Ludmila auf den Punkt. „Und zwar noch bevor man diese Welt verlässt: um noch eine Sprache nachzulernen, um noch etwas zu erledigen, um noch ein bestimmtes Buch zu lesen oder noch etwas anzuhören."

Da fällt mir auch noch etwas ein: „Soziale Netzwerke helfen dabei, die Einsamkeit zu überwinden. Die Menschen kommen einander mit einem Mausklick näher, auch wenn sie weit voneinander entfernt sitzen", sage ich, wobei ich den Computer wieder einschalte und die Startseite von Facebook öffne.

„Dazu muss man erst etwas haben, das man sagen möchte", meint Ludmila. „Der Computer ist ein nützliches Instrument, doch man muss mit ihm vernünftig umgehen können." Ihr Großneffe beispielsweise kam sie einmal in Moskau besuchen. „Davor ist er noch nie in der Hauptstadt gewesen. Er kann mit dem Computer sehr gut umgehen, weiß jedoch nicht, wer Lomonossow ist. Er studiert übrigens im zweiten Studienjahr. Ich habe ihm dann die Tretjakow-Galerie gezeigt, wobei er sich diese nur schnell ansah, um schnell wieder zu seinem Computer zurückkehren zu können, da er im Internet ein Mädchen kennengelernt hatte." Sie wäre für ihn die große Liebe, führt Ludmila aus. Sie hätten sich später einmal getroffen und danach wollte das Mädchen ihn nicht mehr wiedersehen. „Er hatte dann Liebeskummer – vor dem Computer. Liebe kann etwas Schreckliches sein. Das ist aber etwas, das ich nicht verstehe. Denn der Junge hat nichts vom Leben gesehen – etwas erleben will er jedoch auch nicht. Und damit will ich sagen, dass besonders junge Menschen von Computern abhängig sind. Das ist eben so. Inzwischen ist es aber auch nicht mehr angebracht zu behaupten, dass der Computer die Leute nur dümmer macht."

Plötzlich unterbricht uns Marija Rasbakowa, die Koordinatorin der Lehrer des Projekts W.N.U.K.: „Aufgepasst, liebe Teilnehmer! Unser Unterricht

neigt sich dem Ende zu. Hat jemand von euch noch Fragen?"

„Schade, es ist schon vorbei. Werden Sie das nächste Mal auch da sein?", fragt mich Ludmila, wobei ich nun verstanden habe, worin ihr soziales Netzwerk besteht: in Treffen mit Freunden bei einer Tasse Tee.

Klar ist auch, dass für den Großteil der Kursteilnehmer der Kontakt zu ihren Kindern das Erste ist, was sich mit dem Computer bewerkstelligen lässt. „Meine Tochter ist nach Kanada gezogen und hat dort meine drei Enkelkinder zur Welt gebracht", erzählt eine andere Kursteilnehmerin. „So kann ich wenigstens über Skype meine Enkel sehen, und sie sehen mich und wissen, dass sie eine Großmutter haben."

Es scheint so, als würden sich diese zwei Welten aneinander anpassen und so gemeinsame Berührungspunkte schaffen. Denn immerhin ist die ältere Generation durchaus dazu imstande, das Twittern zu lernen, auch wenn sie nur kurze, fragmentarische Sätze schreibt, und auch wenn sie das leidenschaftliche Zählen der erhaltenen ‚Likes' nicht begeistert. Ja, Großeltern vergessen den Monitor schnell, wenn ihnen jemand zuhört. Doch man kann auch ein anderes Programm dazu verwenden, um miteinander in Kontakt zu treten, wenn dies persönlich nicht möglich ist – beispielsweise Skype.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei der Zeitschrift "Russkij Reporter".

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