Am 8. März feiern die Russen ihre Frauen. Foto: ITAR-TASS
An diesem Tag hat sie das Sagen – die russische Frau. Es ist der 8. März: Männer jeden Alters und jeder Herkunft strömen mit farbenprächtigen Tulpen- und Mimosensträußen sowie Pralinenschachteln unterm Arm scharenweise über die Straßen des Landes. Ihre mal mehr, mal weniger geheime Mission ist es, die Geschenke Vertreterinnen des „schwachen Geschlechts" – Ehefrauen, Gelieben,Töchtern, Kolleginnen und Müttern – als Zeichen ihrer Dankbarkeit dafür zu überreichen, dass sie ihre Welt jeden Tag aufs Neue verschönern.
Auch die russischen Behörden unterstützen die Idee: Seit einem Erlass von Leonid Breschnew aus dem Jahr 1966 ist der 8. März ein arbeitsfreier Feiertag. Doch brauchen russische Frauen diesen Tag wirklich, und lässt er sich mit den Traditionen des Landes in Einklang bringen?
Der ursprünglich von amerikanischen Feministinnen erdachte Frauentag wurde nach der Oktoberrevolution in Russland eingeführt und hatte zum Ziel, Frauen zu ermutigen, gemeinsam mit ihren Männern Hammer und Sichel in die Hand zu nehmen – in etwa so, wie es die Plastik „Arbeiter und Kolchosbäuerin" der Künstlerin Wera Muchina in Moskau vorführt.
Heute beschweren sich Frauenrechtlerinnen darüber, dass der Feiertag nichts oder nur wenig dazu beiträgt, mehr weibliche Führungskräfte in Wirtschaft und Politik zu etablieren, und Akzeptanz für die Gleichstellung bei den Männer zu erwirken.
Auch die 30-jährige Unternehmerin Maria ist der Meinung, dass sich die Einstellung Frauen gegenüber im Laufe der letzten 100 Jahre kaum verändert hat. Und sie erklärt, dass das Übermaß an Grußkarten und SMS,
die sie an diesem Tag erhält, ihr für den Rest des Jahres das Leben nicht unbedingt erleichtert: „Wenn ich mit Männern am Verhandlungstisch sitze, werde ich von ihnen oft nicht als ebenbürtig betrachtet. Sie sehen und behandeln mich als Frau – mit all den Schwächen, die dem ‚weiblichen Geschlecht' zugeschrieben werden." Außerdem kritisiert sie, dass an der russischen Version des Internationalen Frauentags einige Dienstleister gehörig absahnen. Durch den Wunsch der Männer, Frauen zu zeigen, wie liebevoll und fürsorglich sie sind, verhelfen sie Floristen, Parfümerien und Confiserien zu erheblichem Profit.
Marias Aussagen treffen sich mit einigen offiziellen Zahlen zum Thema. So kam aus dem Ministerium für Handel und Dienstleistungen letztes Jahr der Hinweis, dass schon eine ganze Zeit vor dem 8. März die Blumenpreise um 50 bis 60 Prozent angestiegen waren. Das Consulting-Unternehmen MAR Consult sagt für 2014 voraus, dass Moskauer Männer an diesem Tag eine halbe Milliarde Dollar für Geschenke ausgeben werden.
Die Russisch-Orthodoxe Kirche, obwohl ansonsten in stetem Einklang mit dem Kreml, hat wenig Verständnis für den Internationalen Frauentag: Sie sieht in ihm ein westliches Erbe. Zwar ist sie nicht darum bemüht, den Tag, der den Frauen gilt, wie Valentinstag und Halloween zur Gänze abzuschaffen, setzt sich allerdings dafür ein, dass den traditionellen religiösen Feiertagen wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Im vergangenen Jahr hatte die orthodoxe Kirche allen Ernstes vorgeschlagen, am 8. März Kuchen zu essen, um der Heiligen Matrjona
Nikonowa zu gedenken. Tatsächlich gibt es genug Gläubige in Russland, die von Haus aus vier Tage vorher, am 4. März, feiern, um den Drei Heiligen Jungfrauen zu gedenken. „Ich möchte keine Blumen, nur weil ich Frau bin. Gott, der Allmächtige, hat mich erschaffen,so wie ich bin. Warum sollte ich dafür beschenkt werden und deswegen auch noch eine hohe Meinung von mir haben?", sagt Swetlana, Mutter von drei Kindern. Sie ist Ehefrau eines Diakons und erklärte Gegnerin des Internationalen Frauentags. „Der 8. März ist ein feministischer Feiertag, der nichts mit russischen Traditionen zu schaffen hat. Im alten Russland war die Frau wie eine Hausgöttin, sie war fürsorgliche Mutter und aufopferungsvolle Ehefrau und nicht eine von diesen karrierebesessenen egoistischen Geschäftsfrauen", meint Swetlana.
Die meisten Geschlechtsgenossinnen sehen das jedoch anders: Laut einer Umfrage gaben zuletzt sieben von zehn befragten Frauen an, sich auf diesen Tag zu freuen, da er den Beginn des Frühlings symbolisiert und das
andere Geschlecht dazu auffordert, seine Liebe und Anerkennung ihnen gegenüber zu zeigen. Dieser Meinung ist auch die 22-jährige Natalja, die oft Überstunden machen muss, um für ihre Ausbildung aufzukommen: „Ich bin es gewohnt, den ganzen Haushalt zu führen. Außerdem arbeite ich wie ein Pferd. Deshalb freue ich mich immer auf den Tag, an dem mein Freund mich verwöhnt und auch mal bei der Hausarbeit anpackt."
In diesem Sinne ließe sich Nikolaj Nekrasow zitieren, ein russischer Poet des 19. Jahrhunderts: „Eine hart arbeitende Frau, die in der Lage ist, ein Pferd im Galopp zu bremsen, geht auch in ein brennendes Haus hinein." Diese Worte beschreiben wohl am besten die russische Frau, die 363 Tage im Jahr arbeitet – außer am 8. März, denn dieser Tag gehört ihr ganz allein.
Die männlichen Vertreter Russlands haben übrigens ihren eigenen Feiertag. Am 23. Februar sind sie „Verteidiger des Vaterlands".
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