Expats in Russland: Keine Angst vor Sanktionen

Einige ausländische Arbeitsnehmer sind von der politischen Lage beeindruckt und deshalb nicht in Russland arbeiten wollen. Andere treffen die Entscheidung über ihren Arbeitsplatz unabhängig von politischen Entwicklungen. Foto: Getty Images/Fotobank

Einige ausländische Arbeitsnehmer sind von der politischen Lage beeindruckt und deshalb nicht in Russland arbeiten wollen. Andere treffen die Entscheidung über ihren Arbeitsplatz unabhängig von politischen Entwicklungen. Foto: Getty Images/Fotobank

In Russland arbeiten viele ausländische Fach- und Führungskräfte. Trotz der angespannten Beziehungen zwischen Russland und dem Westen fühlen sie sich im Land willkommen. Sie schreckt weniger die politische Lage als bürokratische Hürden, die Umweltverschmutzung, lange Staus und kalte Winter.

Milan arbeitet bei einer großen Bank. Bevor er nach Russland kam, hat er zehn Jahre in der Tschechischen Republik gearbeitet. „Wenn mir vor einigen Jahren jemand gesagt hätte, dass ich mal in Russland arbeiten werde, hätte ich ihn für verrückt erklärt“, sagt Milan. Doch als das Angebot kam, besprach er sich mit seiner Frau und nahm den Job an. Er wusste zwar aus der Schulzeit einiges über die Sowjetunion, aber nichts über Russland. Russisch sprach er nur wenig.

Seit drei Jahren arbeitet er jetzt in Russland und hat seine Entscheidung nie bereut. Der russische Arbeitsalltag steckt immer noch voller

Überraschungen, aber das macht Milan nichts aus. Besonders interessant sei für ihn gewesen, dass die russische Wirtschaft sich noch immer stark verändere. „Ich habe hier Erfahrungen machen können, die die ich auf den fest etablierten europäischen Märkten niemals gemacht hätte“, sagt Milan.

In einem Jahr läuft sein Vertrag aus, dann wird Milan mit seiner Familie zurück in seine Heimat gehen. „Für Singles ist Moskau eine großartige Stadt zum Leben und Arbeiten“, findet Milan. Gutes Geld ließe sich hier verdienen, das Freizeitangebot ist groß und nicht zuletzt gebe es auch ein aufregendes Nachtleben. Für Milan und seine kleine Familie ist Moskau für Milan nicht der beste Ort. „Die Umwelt ist hier sehr belastet“, sagt Milan, das ist nicht gut für kleine Kinder.


Russland hat ein Imageproblem

Anton Greiler hatte bei seiner Einreise zunächst Probleme mit seinen Papieren, doch die konnten gelöst werden. Inzwischen lebt der Generaldirektor des Kaffeeproduzenten „Julius Meinl Russland“ seit 2010 im Land. Zehn Jahre ist es jetzt her, dass er Russland das erste Mal besucht hat. Es war Liebe auf den ersten Blick erzählt Greiler. In einer einzigen Nacht habe er die Entscheidung getroffen, nach Russland umzuziehen.

Anton Greiler, der Generaldirektor des Kaffeeproduzenten „Julius Meinl Russland“ arbeitet seit 2010 in Russland. Foto: Pressebild

„Mir gefällt es hier sehr“, betont Greiler. Inzwischen verstehe er auch die russische Mentalität besser. „Anfangs war ich schockiert über die scheinbare Verantwortungslosigkeit“, gibt er zu. Bei Fehlern hätten sich alle gegenseitig beschuldigt, vor allem jene, die ihre berufliche Laufbahn noch in der Sowjetunion begonnen hätten. Die jüngere Generation sei offener und bereit, Verantwortung zu tragen. Der russische Führungsstil unterscheide sich völlig vom österreichischen, der eher demokratisch sei. „In Russland werden Entscheidungen hierarchisch getroffen“, hat Greiler festgestellt. Zudem denken die Russen in viel größeren Maßstäben, findet er und sie seien sehr flexibel im Denken. Das sei auch wichtig, denn in Russland sei es sehr schwer, etwas vorauszuplanen. „Kurzfristig getroffene politische Entscheidungen wirken sich oft radikal auf das Geschäft aus“, weiß er.

Russland habe ein Imageproblem, glaubt Greiler: „Die meisten Menschen, die nach Russland kommen sind positiv schockiert“. Anfangs erschienen die Russen oft unfreundlich und verschlossen, tatsächlich seien sie sehr angenehm. „Die Russen sind Hedonisten und sie leben im Hier und Jetzt“, beschreibt Greiler seine Erfahrungen. Für Anton Greiler sind die größten Herausforderungen in Russland die Bürokratie, Staus, die langen Winter und eine mangelnde Kundenorientierung im Dienstleistungsbereich.

Was die Zukunft ausländischer Arbeitnehmer in Russland angeht, so glaubt Greiler, dass einige sicherlich von der politischen Lage beeindruckt seien und deshalb nicht in Russland arbeiten wollen. Internationale Fach- und Führungskräfte könnten die Sanktionen gegen Russland aber nicht abhalten. Sie würden die Entscheidung über ihren Arbeitsplatz unabhängig von politischen Entwicklungen treffen.


Von Erfahrungen profitieren

Michail Schukow, Exekutivdirektor des Recruiting-Unternehmens „HeadHunter“, weiß in welchen Branchen ausländische Arbeitnehmer zum Einsatz kommen, über 4 000 hochqualifizierte Kräfte hat sein Unternehmen im vergangenen Jahr auf neue Stellen vermittelt. Sie arbeiten im Consulting, in Banken, in der Ölindustrie oder in der Produktion, im Handel eher selten. Die meisten der Expats kommen aus englischsprachigen Ländern, gefolgt von denen aus deutschsprachigen und französischsprachigen Ländern. Auf Platz vier liegen spanischsprechende Arbeitnehmer.

In Russland wollen die Unternehmen vor allem von der praktischen Erfahrung der Expats profitieren, sagt Schukow. Diese Erfahrungen sollen

sie an ihre russischen Kollegen weitergeben und sie ausbilden, denn viele geschäftliche Abläufe sind in den westlichen Ländern schon seit langem etabliert und müssen in Russland erst noch gefestigt werden. Bei international agierenden Unternehmen gehe es auch manchmal nur um das Image einer Führungskraft oder um ihre Kontakte. Allerdings sei die Beschäftigung von Ausländern immer aufwändig und kostenintensiv, sagt Schukow. Deshalb sei das Interesse an den Expats rückläufig. Führungspositionen werden nicht um jeden Preis mit Ausländern besetzt. Außerdem, so Schukow, seien russische Führungskräfte heute meist genauso gut.


Deutscher Headhunter in Moskau: "Diejenigen Ausländer, die schon hier sind, bleiben im Land"

 

Foto: Pressebild

 

Christian Tegethoff ist deutscher Headhunter in Russland. In seinem Moskauer Büro sucht er Führungskräfte wie Generaldirektoren, Finanzdirektoren und Personalleiter für internationale Firmen, die in Russland tätig sind. Dabei handelt es sich oft um russische Top-Kandidaten, die über gute Fremdsprachenkenntnisse und einen europäischen Hintergrund verfügen. Tegethoff verhandelt aber auch mit Top-Managern aus westeuropäischen Staaten und dem angelsächischen Raum. Wie sich die Ukraine-Krise auf sein Russland-Geschäft ausgewirkt hat, erzählt er RBTH.

 

 

 

Herr Tegethoff, warum braucht Russland Ihrer Meinung nach westeuropäische Top-Manager? Mangelt es hier an heimischen Spitzenkräften?

 Das ist eher eine kulturelle Frage Es ist so, dass zum Beispiel ein Deutscher es leichter findet, zu einem anderen Deutschen Vertrauen aufzubauen, also holen vor allem manche mittelständische Unternehmen Führungskräfte aus ihrem Heimatland. Manche russische Manager haben zudem auch eine andere Einstellung zum Themenkomplex Compliance.

 Das Image Russlands in der Welt hat sich im letzten Halbjahr ziemlich stark verändert. Welche Motivation haben die Leute, die nun trotzdem in Russland arbeiten möchten?

 Es geht einerseits um Westeuropäer, die in Russland arbeiten, weil ihre Firma sie dorthin entsandt hat. In drei bis vier Jahren müssen sie dann in der Regel zurückkehren. Es kommt aber oft vor, dass sie dann gar nicht mehr zurück wollen. Die Gründe dafür sind oft die niedrigen Steuern in Russland oder private Gründe, wie etwa die Liebe zu einer russischen Frau.

 Andererseits gibt es europäische Führungskräfte, die ihre ganze Berufslaufbahn in Russland verbracht haben und deren Kernkompetenz darin besteht, Unternehmen in Russland aufzubauen und zu leiten Diesen Mehrwert wollen sie auch vor dem aktuellen politisch-wirtschaftlichen Hintergrund weiter nutzen.

Sie rufen Ihre Kandidaten häufig direkt an. Wie oft mussten Sie schon Überzeugungsarbeit leisten, damit die Person nach Russland kommt?

 In den 90er Jahren war das Russlandbild sehr schlecht. Die Stereotypen waren Mafia, Korruption, Krieg, Kälte. In den letzten 15 Jahren hat sich Russland weiterentwickelt. Ab etwa Mitte der 2000er gab es einen Wirtschaftsboom in Russland, der sich bis zur Finanzkrise von 2008 fortsetze. Während dieser Jahre war Russland beliebt bei Top-Managern und in Moskau konnte man gutes Geld verdienen, es galt als eine „Boomtown“ wie Hongkong oder London.

In den letzten sieben Monaten hat es sich einiges wieder revidiert. Unter der Ukraine-Krise leidet auch die Wirtschaft. Die Exporte gehen zurück, Russland wird international vielerorts als Bedrohung wahrgenommen und seine Ökonomie mit einem Krisenszenario assoziiert. Die Unternehmen verhalten sich vorsichtig-abwartend. Dennoch ist kein Grund zur Panik angesagt, diejenigen Ausländer und internationale Unternehmen, die schon hier sind, denken langfristig und bleiben im Land.  

 

Die Fragen stellte Julia Shevelkina

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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