Vielen Menschen in Russland droht 2015 die Armut

Immer mehr Russen werden arm. Foto: Reuters

Immer mehr Russen werden arm. Foto: Reuters

16 Millionen Russen oder elf Prozent der Bevölkerung galten laut Statistikbehörde Rosstat 2014 als arm. Ende dieses Jahres könnte sich diese Zahl deutlich erhöht haben. Längst hat Armut auch die arbeitende Bevölkerung erreicht. Die Regierung versucht gegenzusteuern.

In Russland steigt die Zahl armer Menschen. Elena Kiselewa vom Institut für strategische Forschung sagt: „Seit dem Jahr 2000 war die Zahl der als arm geltenden Menschen in Russland permanent rückläufig, daran änderte auch die letzte Krise nichts." Doch nun wende sich das Blatt. In Russland gelten Menschen als arm, wenn ihr Einkommen unter dem Existenzminimum von 8 000 Rubel pro Kopf, etwa 136 Euro, liegt. Laut Statistikbehörde Rosstat fielen demnach elf Prozent der Bevölkerung in diese Kategorie.

Die Löhne sinken, der größte Teil des Einkommens muss für Lebensmittel, Miet- und Nebenkosten sowie andere lebensnotwendige Anschaffungen ausgegeben werden. Zu mehr reicht es oft nicht. Das zeige sich auch daran, dass immer mehr Kreditnehmer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen könnten und daher Zweit- oder Drittkredite aufnehmen müssten, so Kiselewa.

Die Verarmung schreite weitaus schneller voran, als die offiziellen Zahlen der russischen Statistikbehörde Rosstat dies zeigen würden, meint der Direktor des Instituts für Sozialpolitik an der Higher School of Economics Sergej Smirnow. Innerhalb eines Jahres seien die Verbraucherpreise aufgrund der Sanktionen um durchschnittlich 20 Prozent gestiegen. Smirnow mahnt, dass zum Jahresende jeder Achte sein monatliches Einkommen vollständig für lebensnotwendige Güter ausgeben müsse.

Diesen Einschätzungen stimmt auch der leitende wissenschaftliche Mitarbeiter des Fachbereichs für die Dynamik des Massenbewusstseins am soziologischen Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften Leontij Bysow zu: „Es ist unmöglich geworden, mit einer kleinen Rente oder niedrigem Lohn über die Runden zu kommen. Das ist ein entscheidender Faktor. Nach der Krise von 1998 waren wir 15 Jahre lang auf einem guten Weg, nun ist ein Wendepunkt erreicht."

 

Arm trotz Arbeit

Armut trifft in Russland auch immer öfter Menschen in festen Arbeitsverhältnissen. Deren Einkommen reicht nun nicht mehr aus. „Ein bedeutender Bevölkerungsanteil bezieht Gehälter am Existenzminimum oder unwesentlich darüber", sagt Kiselewa. Laut der offiziellen Statistik sind das immerhin 13 Prozent der russischen Arbeitnehmer. Die russischen Arbeitgeber wollen in der Krise keine massiven Entlassungen, sondern ziehen es vor, ihren Angestellten die Löhne zu kürzen, die Arbeitszeit zu verkürzen oder sie in unbezahlten Urlaub zu schicken. Armut trifft also nicht mehr nur Menschen, die ohnehin aus einem schwierigen sozialen Umfeld stammen.

Glaube man Meinungsumfragen von Ende März und Anfang April dieses Jahres, dann sei die Zahl der in Armut lebenden Menschen um 25 bis 30 Prozent gestiegen, sagt Bysow. Allerdings kann das Definition von Armut sehr unterschiedlich ausfallen, erklärt er. Die Zahlen, die die Menschenrechtsbevollmächtigte der Russischen Föderation Ella Pamfilowa in ihrem jährlichen Bericht präsentierte, waren zum Beispiel weitaus alarmierender. Demnach stufen sich laut Angaben des Fonds für Öffentliche Meinung 47 Prozent der Bürger als arm ein, obwohl sie arbeiten. Dahinter müsse sich aber nicht unbedingt echte Armut verstecken, so Bysow. Vielen Menschen falle es schwer, auf Dinge verzichten zu müssen, die man sich früher hätte leisten können. Sie hielten sich daher für sehr arm, obwohl „dies in Wirklichkeit vielleicht nicht so ist".

 

Gegenmaßnahmen

Gibt es Mittel und Wege, den wirtschaftlichen Abstieg aufzuhalten? Gegenüber RBTH gab die Pressestelle des russischen Arbeits- und Sozialministeriums bekannt, welche Maßnahmen die Regierung schon ergriffen habe. Die Altersrenten, im Durchschnitt 13 000 Rubel pro Monat, rund 216 Euro, seien bereits um 11,4 Prozent gestiegen, die Sozialrenten um 10,3 Prozent und die monatlichen Sozialleistungen für kinderreiche Familien und sozialschwache Bevölkerungsgruppen um 5,5 Prozent, hieß es dort. Zudem darf seit Mai das sogenannte Mutterschaftskapital auch für die Bedienung von Hypothekendarlehen verwendet werden. Diese Leistung können Russen für die Geburt des zweiten oder weiterer Kinder beantragen.

Sergej Smirnow hält das alles für nicht ausreichend: „Renten müssen auch unabhängig von der Krise angepasst werden, zumal die Anpassung im Februar einen Prozent weniger betrug als die offizielle Inflationsrate." Die Entscheidung, das Mutterschaftskapital für die Rückzahlung von Hypotheken freizugeben, bezeichnete er als Notlösung.

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