Russen befürworten Zensur im Internet

Internet-Zensur wird von der Mehrheit der Russen unterstützt.

Internet-Zensur wird von der Mehrheit der Russen unterstützt.

Jewgenij Kurskow/TASS
Knapp die Hälfte der Russen unterstützt nach einer gemeinsamen Studie russischer und US-amerikanischer Forscher eine Zensur des Internets. In ihrem Recht auf Informationsfreiheit fühlen sich die Russen dadurch nicht eingeschränkt. Allerdings nutzen 38 Prozent der Befragten gar kein Internet.

Fast die Hälfte der Russen (49 Prozent) will, dass bestimmte Inhalte im Internet zensiert werden. 58 Prozent der russischen Staatsbürger würden es begrüßen, wenn im Fall einer nationalen Bedrohung das komplette russischsprachige Internetsegment abgeschaltet werden würde. Diese Ergebnisse brachte eine gemeinsame Studie des Internet Policy Observatory am Center for Global Communication Studies (CGCS) der Universität von Pennsylvania, USA, und des russischen Meinungsforschungszentrums WZIOM zutage*.

Gegen Pornografie und Regierungskritik

Besonders „gefährlich“ und damit eines Verbotes würdig finden die Russen Pornografie für Homosexuelle (59 Prozent), oppositionelle Gruppen in sozialen Netzwerken, in denen Proteste gegen die Regierung organisiert werden (46 Prozent) und Videos der Punkband Pussy Riot (46 Prozent). „Aus Sicht eines gesellschaftlichen Strebens nach freiem Internet ist das Ergebnis bedrückend“, resümiert Monroe Price, Direktorin des CGCS.

Die Studie wurde im Februar dieses Jahres vorgestellt, fand aber erst jetzt Beachtung in den russischen Medien. An Aktualität hat sie jedoch nichts eingebüßt, wie das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum RBTH bestätigte. Die Ergebnisse der Studie seien nach wie vor verlässlich und zeigten, dass die Russen kaum Vorbehalte gegenüber einer Zensur des Internets haben.

Das Lewada-Zentrum war im Oktober 2014 bereits zu vergleichbaren Ergebnissen gekommen. Demnach würden 54 Prozent der Russen eine Zensur im Internet begrüßen, vor allem, wenn es um Kinderpornografie gehe, wie Denis Wolkow vom Lewada-Zentrum erklärt. „Es gibt große Unterschiede zwischen den Angaben derer, die das Internet nutzen, und derer, die das nicht tun. Für Letztere ist das Internet eine Quelle der unbekannten Bedrohung, sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen und finden daher, dass es am besten gleich ganz verboten werden sollte“, so Wolkow.  

Die Befragung ist jedoch rein hypothetisch, denn Zensur ist in Russland per Verfassung verboten. Russlands Präsident Wladimir Putin beteuerte mehrfach, Russland habe „nicht vor, den Internetzugang zu beschränken und es unter totale Kontrolle zu stellen“. Dennoch entstehen seit 2012 immer mehr Initiativen, die sich für die Sperrung von Internetseiten einsetzen, wie Karen Kasarjan, Chefanalyst der Russischen Assoziation für elektronische Kommunikation, bemerkt. „Nicht alle diese Initiativen werden zu Gesetzen, die Mehrheit von ihnen trug aber, dem Urteil unserer Experten zufolge, den Charakter von Schutzverboten, sollte folglich nicht eine Entwicklung der Branche fördern, sondern das Internet kontrollieren.“

Logische Konsequenz

Seit 2012 ist die Sperrung von Internetseiten auch ohne richterlichen Beschluss möglich, Behörden können schwarze Listen anlegen lassen. Seit 2014 können zudem Seiten blockiert werden, auf denen zu Extremismus und Massenunruhen aufgerufen wird.

Irina Lewowa, Direktorin für strategische Projekte am russischen Internet-Erforschungsinstitut, hält die staatlichen Kontrollversuche für eine logische Konsequenz aus dem kontinuierlich wachsenden Internet. Mehr Internet bedeute auch mehr Cybergefahr. „Es ist die Pflicht eines jeden Staates, für die Sicherheit der Basisinfrastruktur und der Bürger zu sorgen“, sagt sie und weist auf eine Besonderheit in den USA hin.

„Dort gibt es den First Amendment“, einen Zusatzartikel zur US-Verfassung, der unter anderem Gesetze zur Einschränkung von Meinungs- oder Pressefreiheit verbietet. „Dennoch wurde 2011 der Patriot Act verabschiedet, der dem Staat tiefgreifende Eingriffe in die Freiheitsrechte erlaubt, wenn es um die nationale Sicherheit geht“, erklärt Lewowa. In Russland wird das Internet ihrer Ansicht nach noch nicht so stark kontrolliert wie in den USA und einigen EU-Ländern, wo die Nutzer sich immer weniger anonym im Netz bewegen können.

Grundsätzlich herrscht in der Bevölkerung nach Ansicht von Soziologen und von RBTH befragten Experten ein gewisses Desinteresse an beschränkenden Maßnahmen, weil sich die Bürger nicht direkt betroffen fühlten. Große Protestaktionen gab es zu diesem Thema zumindest noch nicht.

Größere Aufmerksamkeit habe da schon der Vorschlag der Russischen Rechteinhaberunion erregt, von jedem Internetnutzer jährlich 300 Rubel zugunsten der Rechteinhaber zu kassieren, so Lewowa, denn dabei sei es um die finanziellen Interessen der Internetnutzer gegangen. Das sei jedoch eine Ausnahme gewesen. Alles andere wird als weniger wichtig erachtet, weil der persönliche Bezug fehle: „Kaum jemand interessiert sich dafür, welche Rechtsrisiken dadurch für Unternehmen entstehen“, sagt Lewowa. Denis Wolkow stimmt ihr zu: „Die Mehrheit der Bürger sieht sich in ihrem Recht auf Zugang zu Informationen nicht eingeschränkt.“ 

*An der WZIOM-Umfrage haben Einwohner Russlands im Alter von über 18 Jahren teilgenommen. Die Repräsentativität wurde durch ein mehrstufiges Zufallsverfahren und die Teilnahme von 42 Regionen des Landes gewährleistet. Die Fehlerquote liegt nach Angabe der Forscher bei maximal drei bis vier Prozent. Unter den befragten Russen nutzen 42 Prozent das Internet ständig, 20 Prozent unregelmäßig und 38 Prozent überhaupt nicht.

 

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