Wirtschaftskrise: Verschwindet die russische Mittelschicht?

Die Zahl der wohlhabenden russischen Bürger ist gesunken in den letzten zwei Jahren.

Die Zahl der wohlhabenden russischen Bürger ist gesunken in den letzten zwei Jahren.

AP
Urlaub im Ausland oder Privatpatient beim Arzt? Nach aktuellen Umfragen können sich immer weniger Russen einen solchen Luxus leisten. Aufgrund der Wirtschaftskrise sinkt die Zahl der Wohlhabenden. Einige Soziologen sehen die russische Mittelschicht in Gefahr.

Im August veröffentlichte das Soziologiedepartment der Finanzuniversität FU bei der Regierung der Russischen Föderation die Ergebnisse einer Umfrage, die nahelegt, dass die Zahl der wohlhabenden russischen Bürger in den letzten zwei Jahren drastisch gesunken ist. Im Jahr 2013 konnten sich noch 18 Prozent der Befragten von ihrem Gehalt ein Auto kaufen, ins Ausland reisen und von privaten Gesundheits- und Bildungsangeboten Gebrauch machen. In diesem Jahr sind es nur noch 13 Prozent, die sich das leisten können.

Alexej Subetz, Leiter des Soziologiedepartements, schließt aus dem Ergebnis seiner Umfrage, dass Russlands Mittelschicht schrumpft. „Vereinfacht gesprochen: Wir ordnen eine Person der Mittelklasse zu, wenn sie Geldmittel für bestimmte Waren und Dienstleistungen aufwenden kann. Dabei geht es vor allem um Luxusgüter wie ein eigenes Auto, teure Haushaltsgeräte oder die Möglichkeit, seine Kinder auf eine Privatschule schicken zu können oder den Familienurlaub im Ausland zu verbringen“, erklärt Subetz.

Nach Meinung des Experten hängt der Rückgang der Mittelschicht mit der schwierigen Lage der russischen Wirtschaft zusammen. „Durch die Krise sinkt die Kaufkraft der russischen Bevölkerung, somit aber auch die Kreditierung der russischen Banken durch private Einlagen. Immer weniger Menschen können sich einen Autokauf oder den Erwerb anderer teurer Waren und Dienstleistungen erlauben“, erläutert Subetz.

Wer gehört zu Russlands Mittelschicht?

Die Ergebnisse der Recherche werden durch eine Umfrage des unabhängigen russischen Meinungsforschungsinstitutes Lewada-Zentrum bestätigt, der zufolge der zahlungskräftige Anteil an der russischen Bevölkerung von 30 auf 26 Prozent geschrumpft ist. Während Subetz überzeugt ist, dass Russland den Höhepunkt der Wirtschaftskrise bereits überstanden habe und sich die Mittelschicht langsam erholen werde, sieht Marina Krasilnikowa, Expertin des Lewada-Zentrums, die Lage eher skeptisch. „Mittelfristig sind keine Faktoren erkennbar, die eine Verbesserung dieser Situation herbeiführen könnten“, betont die Sozialwissenschaftlerin.

Krasilnikowa hält die Bezeichnung Mittelschicht allein für Russen mit einem hohen Einkommensniveau für unzutreffend. „In westlichen Staaten wird die Mittelschicht nicht ausschließlich über ein hohes Einkommensniveau sondern auch über eine entsprechende Ausbildung und berufliche Eignung definiert. In Russland hingegen korrespondiert das Einkommensniveau nur bedingt mit dem Bildungsstand. Eine Zuordnung zur Mittelschicht erfolgt deshalb eher gefühlsmäßig. Zudem beziehen Gesellschaftsgruppen mit hohem Einkommen ihren Wohlstand überwiegend aus bürokratienahen Strukturen und sind somit vom Staat abhängig. Dies jedoch entspricht nicht der Definition der Mittelschicht im klassischen Sinne“, schließt Krasilnikowa.

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