Jewgenija Feinberg ist 75 Jahre alt und Rentnerin. Im Frühjahr dieses Jahres erhielt sie einen unangenehmen Anruf: Unbekannte forderten sie auf, rund 35 000 Euro für die Begleichung von Schulden eines entfernten Verwandten zu zahlen. Die Anrufer beleidigten die Rentnerin und drohten ihr und ihrer Familie mit Gewalt, wenn sie nicht zahlen würde. Feinberg wandte sich an die Polizei und zog zu ihrer Sicherheit sogar aus ihrer Heimatstadt weg. Ein dreister Betrugsversuch? Mitnichten – hinter dem Anruf steckte ein Inkassobüro, das von einer Bank beauftragt wurde, die Schulden eines säumigen Kreditnehmers einzutreiben.
Feinbergs Fall ist typisch für Russland, wo Inkassobüros häufig zu solch drastischen Methoden greifen. Deren Tätigkeit wird zwar grundsätzlich durch das Gesetz „Über Verbraucherkredite“ geregelt. Dieses setzt klare Grenzen für den Umgang der Inkassobüros mit säumigen Zahlern, wie zum Beispiel die maximal zulässige Zahl der Anrufe oder E-Mails pro Tag an den Schuldner, und regelt auch die Fristsetzung zur Begleichung einer Forderung. Es untersagt zudem die Ausübung von Druck auf Verwandte und Freunde des Schuldners sowie die Androhung von Gewalt. Doch viele Inkassobüros ignorieren diese Vorgaben.
Nach Angaben des russischen Innenministeriums wurden im ersten Halbjahr 2015 rund 22 000 Beschwerden gegen Inkassobüros eingereicht. Das Wirtschaftsblatt „Kommersant“ schreibt unter Verweis auf die Generalstaatsanwaltschaft, dass im Ergebnis der Überprüfung von Inkassobüros und Kreditorganisationen mehr als 3 500 Gesetzesverstöße festgestellt wurden sowie 967 Anträge auf Beseitigung einer Gesetzesverletzung vorlagen. Zudem wurden 33 Verwarnungen ausgesprochen und 654 Klagen eingereicht.
Dabei nimmt die Nachfrage nach Dienstleistungen der Inkassobüros immer weiter zu. Wegen der aktuellen Wirtschaftskrise verschlechtert sich die Zahlungsfähigkeit der Menschen zusehends, immer mehr sind überschuldet. Laut Angaben der russischen Zentralbank betrug das Gesamtvolumen der fälligen Privatkredite zum 1. September des laufenden Jahres ungefähr elf Milliarden Euro.
Skandalöse Fälle von Einschüchterungsversuchen der Kreditgeber gibt es zur Genüge. Einige Inkassobüros schrecken nicht einmal vor physischer Gewalt gegenüber den Kreditnehmern zurück, meistens aber beschränken sie sich auf psychischen Druck. So kursiert etwa die Geschichte des Moskauer Nikolai Siliwerstow: Er wurde in seinem Wohngebiet mit Plakaten konfrontiert, die überall an den Wänden klebten und ihn als gefährlichen Kinderschänder brandmarkten.
Doch es gibt auch legal handelnde Inkassobüros, die mit ihren „schwarzen“ Kollegen nichts zu tun haben wollen. Wer sich durch Nötigung und Erpressung außerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegt, wird von ihnen aufs Schärfste kritisiert. Sie verletzten den Ehrenkodex der Branche, beklagen sie. Allerdings lässt sich nicht immer genau zwischen den „weißen“ und „schwarzen“ Schafen unter den Inkassobüros trennen. Der Direktor des Bankeninstituts der Hochschule für Wirtschaft, Wasilij Solodkow, sagt dazu: „Natürlich gesteht niemand die eigenen Gesetzesverstöße ein. Jeder zeigt mit dem Finger auf die anderen und hält sich für den Guten.“
Seit dem 1. Oktober gilt in Russland nun das Gesetz „Über die Insolvenz natürlicher Personen“. Es soll Erleichterung für Privatschuldner schaffen. Sie können sich an das Schiedsgericht wenden und einen Antrag auf Privatinsolvenz einreichen.
Wenn das Gericht der Klage stattgibt, wird ein Insolvenzverwalter eingesetzt, der zwischen Gläubigern und Schuldnern vermittelt. Er analysiert die Einnahmen und Ausgaben des Schuldners und erstellt einen Restrukturierungsplan, der später vom Gericht bestätigt werden muss. Die Schuldenlast reduziert sich dadurch in der Regel erheblich. Inkassobüros haben dann keine Möglichkeit, die Schulden von Personen zurückzufordern, die einen Antrag auf Privatinsolvenz eingereicht haben.
Nicht nur Inkassobüros stehen dem neuen Gesetz kritisch gegenüber. Einige Experten befürchten, dass das Insolvenzverfahren eine Art Freibrief für unredliche Kreditnehmer werden könnte, die durchaus in der Lage wären, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Nach Meinung von Wasilij Solodkow „eröffnet (das Gesetz) theoretisch unredlichen Kreditnehmern die Möglichkeit, der Rückzahlung ihrer Schulden aus dem Weg zu gehen“.
Sergej Gorbatschow, der geschäftsführende Partner der Anwaltskanzlei Legis Group, glaubt dagegen, dass das Gesetz ausreichende Kontrollmechanismen vorsieht: „Wenn ein Schuldner über nennenswertes Eigentum, zum Beispiel mehrere Eigentumswohnungen oder Autos, verfügt, hat er keine Chance, diese zu behalten. Ihm wird lediglich ein Freibetrag zugestanden.“
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