Schwere Zeiten, neue Perspektiven: Aus der Krise in den Job

Aus dem persönlichen Archiv
Wenn Krisen Unternehmen zwingen, Arbeitsplätze zu streichen, bedeutet das für viele Menschen die Arbeitslosigkeit. RBTH hat mit zwei Menschen gesprochen, die die Krise für einen beruflichen Neustart genutzt haben.

Anton Nasarow (30)

War früher Journalist, gibt heute Zumba-Kurse.

Ich habe Journalistik studiert und wurde 2011 Redakteur beim Fernsehsender Doschd. In dieser Zeit lernte meine Freundin Kira Zumba – ein tänzerisches Fitnesskonzept auf der Grundlage lateinamerikanischer Musik – und wurde schließlich selbst Trainerin. Um sie zu unterstützen, besuchte ich ihre Kurse und wurde allmählich vertraut mit dem Programm.

Wir beschlossen, ein eigenes kleines Studio zu eröffnen, gingen mit unserem Angebot online und gewannen schließlich genug Teilnehmer für eine Gruppe. Ein Jahr lang leitete Kira die Kurse alleine. Dann engagierten wir einen weiteren Trainer, mieteten einen zusätzlichen Raum, wurden größer.

Anfang 2014 reisten Kira und ich in die USA zu einer jährlichen Zumba-Konferenz für Trainer aus der ganzen Welt. Wir wollten zwei Monate bleiben, aber einen so langen Urlaub wollte mir niemand einräumen. Ich kündigte daher mit der Option, später bei beidseitigem Interesse wieder in die Redaktion zurückzukehren.

In die Zeit unserer Amerikareise fiel die Angliederung der Krim an Russland. Wir waren aus einem Land abgereist und kehrten in ein vollkommen anderes zurück. Damals begann für Doschd eine schwere Zeit. Man versuchte, den Sender zu schließen, sämtliche Kabelnetzbetreiber verweigerten die Zusammenarbeit. 

Foto: Anton NazarovFoto: Anton Nazarov

Ich fing daher an, mich verstärkt um unser Projekt zu kümmern, und ließ mich schließlich selbst zum Trainer ausbilden. Ich konnte nicht einfach unterrichten, ich musste zuerst eine Lizenz des amerikanischen Unternehmens Zumba Fitness erwerben. Ab Januar 2015 vertrat ich immer wieder andere Trainer, bis ich schließlich so weit war, eigene Kurse anbieten zu können. Jetzt leite ich schon fast ein Jahr lang eine Gruppe.

Heute verdiene ich etwa so viel wie damals als Redakteur, vielleicht etwas mehr. Mein Einkommen ist von Monat zu Monat unterschiedlich. Es hängt von der Zahl der Gruppen, vom Monat und von der Gruppenstärke ab. Am Anfang eines Monats weiß ich nicht, was am Ende herauskommt. Aber daran bin ich gewöhnt. Als Redakteur war mein Einkommen auch nie stabil, es hing von der Anzahl meiner Schichten zusammen.

Mein Job gefällt mir. Im Unterschied zur journalistischen Arbeit spürt man den realen Kontakt zu den Menschen. Ich tanze und sehe, dass die Teilnehmer Spaß haben.

Ich werde wohl nicht bis ans Ende meines Berufslebens als Zumba-Trainer arbeiten, ich werde bestimmt neue Interessen entdecken. In den nächsten Jahren wird es aber sicher keine grundlegenden Veränderungen geben.  


Irina Matwejewa (28)

Arbeitete früher als Übersetzerin, macht heute eine Ausbildung zur Pilotin.

Foto aus dem persönlichen ArchivFoto aus dem persönlichen Archiv

Ich habe ein Übersetzerstudium mit den Sprachen Französisch und Englisch abgeschlossen und danach als Freelancerin gearbeitet. Eine Festanstellung liegt mir nicht, weil mich eine solche Arbeit mit der Zeit langweilt. Ich war Einkaufsmanagerin, Übersetzerin, Lehrerin — bis mir klar wurde, dass ich nicht mein ganzes Leben als Übersetzerin arbeiten möchte. Dieser Job ist nicht meine Berufung.

Diese Erkenntnis löste eine persönliche Krise aus. Ich versuchte daraufhin, zu meinen Kindheitsträumen zurückzukehren, zu meinen Hobbys. Ich habe relativ viele Interessen, damit war die Wahl nicht einfach.

In meiner Familie gibt es keine Piloten, aber mein Vater träumte immer davon, eine Pilotenlizenz zu erwerben. Er setzte diesen Traum aber nie um. Auch ich war von dieser Idee seit meiner Kindheit besessen, nahm sie aber nie ernst. Ich hatte nie sehr gute Augen und bekam in der achten Klasse meine erste Brille. Ich wusste, dass die flugmedizinische Kommission mich niemals durchlassen würde.

Ich hatte mir den Wunsch, Pilotin zu werden, jedoch wirklich in den Kopf  gesetzt. So brachte ich in Erfahrung, dass im Ausland die Anforderungen an Gesundheit, Alter und Geschlecht für Piloten nicht so streng sind wie in Russland. So kann die Kurzsichtigkeit bis minus fünf Dioptrien betragen. Das Alter stellt praktisch überhaupt keine Einschränkung dar, sofern die flugmedizinische Untersuchung positiv verlaufen ist.

Und die ist relativ locker. Es werden sogar Personen mit chronischen Erkrankungen zugelassen, wenn diese die Arbeitsfähigkeit nicht einschränken. Im Ausland ist ein Flugzeug, anders als in Russland, ein ganz normales Büro. Nur eben in der Luft. Im Westen fangen viele ihre Pilotenausbildung in meinem Alter, also mit 28 Jahren an. An russischen Maßstäben gemessen ist das spät.

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Die größte Hürde war es, meine Familie in meinen Entschluss einzuweihen. Mein Vater fragte mich, was das für ein Blödsinn sei. Meine Mutter verlor regelrecht die Fassung. Ich dagegen wusste, dass mein Berufswunsch von Dauer ist und ich keine Zeit zu verlieren habe. Meine Recherchen ergaben, dass es in Tschechien eine sehr gute Flugschule gibt. Also zog ich dorthin. Den zweiten Teil meiner Ausbildung absolvierte ich in Frankreich.

Ob mich die Wirtschaftskrise beunruhigt? Meine derzeitige unsichere Arbeitslage? Nein. Ich glaube fest daran, dass man unbedingt versuchen sollte, seine Träume zu verwirklichen, solange man keine Familie und keine großen Verpflichtungen hat. Ich habe im Grunde nicht viel zu verlieren – diese Erkenntnis brachte mich zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu, mein Schicksal in die Hand zu nehmen. Zumal Piloten recht gut verdienen. Meine Ausbildung ist daher eine Investition in die Zukunft.

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