Russland und die Religion: Wie der Staat den Islam sieht

Der unpolitische Islam genießt die Unterstützung der russischen Regierung.

Der unpolitische Islam genießt die Unterstützung der russischen Regierung.

Denis Tarasov/Global Look Press
Der Islam gehöre zu Russland und sei neben anderen Glaubensrichtungen ein fester Bestandteil der russischen Kultur. So lautet die offizielle Position der russischen Staatsführung. Dennoch wachen die Machthaber penibel darüber, ob Muslime auch wirklich loyale Staatsbürger sind. Organisationen, die sich dem Staat widersetzen – sei es gewaltsam oder politisch –, werden verboten.

„Der traditionelle Islam ist ein unentbehrlicher Teil des geistigen Lebens unseres Landes“, sagte Wladimir Putin im September 2015 bei der Eröffnung der Moskauer Kathedralmoschee, einer der größten Moscheen Europas. Die Traditionen des aufgeklärten Islams hätten sich über Jahrhunderte in Russland entwickelt und der russische Staat werde die islamische Theologie weiterhin fördern, betonte der russische Präsident.

In diesen Worten kommt die offizielle Position des russischen Staates zum Ausdruck: Der Islam sei eine friedfertige und freundliche Religion, die keinen Bezug zu pervertierten Auslegungen radikaler Islamisten und Terroristen habe. Auf seiner Pressekonferenz Ende Dezember betonte Wladimir Putin, er lehne es ab, die Begriffe „Islam“ und „Terror“ im selben Zusammenhang zu gebrauchen.

Vielfältiger Glaube

Wie die säkulare Staatsführung trennen auch die Vertreter der Religion in Russland zwischen radikalem und traditionellem Islam. Der eine sei gefährlich und stifte Terror. Der andere sei tolerant und basiere nicht auf dem Koran allein, sondern auch auf den Traditionen muslimischer Völker und der Idee friedlicher Koexistenz der Religionen.

„In jeder russischen Region wird unter traditionellem Islam etwas Anderes verstanden“, weiß der Religionswissenschaftler Igor Sagarin von der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst beim Präsidenten Russlands (RANCHiGS). „Ob Tatarstan, Baschkirien oder Kaukasus: Jede Teilrepublik hat ihre eigenen Bräuche.“ Außerdem hätten Muslime in Russland kein gemeinsames geistiges Zentrum wie etwa die Russisch-Orthodoxe Kirche für die Christen. Jede Region habe ihre eigenen spirituellen Anführer, die jenseits der regionalen Grenzen nicht unbedingt anerkannt würden. „In Russland gibt es Dutzende geistige Zentren und Strukturen, die miteinander konkurrieren“, erklärt der Experte.

Gemeinsamkeiten hätten die traditionellen Islamformen russischer Prägung trotzdem, betont Sagarin. Die meisten Muslime in Russland orientierten sich am sunnitischen Islam – und zwar an jenen Schulen, die sich sowohl auf den Koran als auch auf historisch gewachsene Traditionen berufen. Diese Ausprägung des Islams sei gemäßigter als die konservativen Strömungen, die etwa in Saudi-Arabien dominierten.

Tradition vs. Scharia

Die Gegner des traditionellen Islams seien laut Religionswissenschaftler Sagarin vor allem Salafisten. Diese würden für die Läuterung des Islams eintreten: die Rückkehr zu Lebensgrundsätzen aus der Zeit des Propheten Mohammed und die radikale Einhaltung der Scharia.

Der salafistische Islam sei in Russland „nicht wirklich akzeptiert“, so Sagarin. So heiße es in einer Fatwa, einer religiösen Rechtsauskunft, die auf einer Islamkonferenz in der tschetschenischen Hauptstadt Grosnyj im August letzten Jahres verabschiedet wurde, Salafisten, Wahabiten und andere Radikale seien „Sektierer und unerwünschte Elemente auf russischem Boden“.

Offiziell verboten sind salafistische Gemeinden aber nicht. Im Nordkaukasus bestehen sie weiter fort. Die gemäßigteren Salafisten seien gegenüber dem Staat loyal und würden offen gegen Gewalt eintreten, heißt es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Memorial über die Lage im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren. Dennoch übe die Regierung Druck auf Salafisten aus: Diese stünden unter besonderer Beobachtung und man versuche, ihre Moscheen zu schließen. „Die Staatsführung behandelt die Salafisten von vornherein so, als wären sie nicht loyal oder könnten jederzeit illoyal werden“, sagt Ilschat Sajetow, leitender Islamforscher der Stiftung Marjani.

Der politische Islam ist Russlands Feind

Im Unterschied zu den Salafisten sind andere muslimische Organisationen in Russland als terroristisch oder extremistisch verboten. Neben dem Islamischen Staat und Al-Qaida stehen aber auch solche Gruppen auf dieser Schwarzen Liste, die sich bislang nicht aggressiv gegenüber Russland verhalten haben. Zu diesen zählen beispielsweise die Muslimbrüder oder die Organisation Hizb ut-Tahrir.

Der Grund für deren Verbot ist die in Russland geltende Regel, politische Parteien nicht auf religiöser Basis gründen zu dürfen: Religiöse Einmischungen in die Politik sehe die Regierung gar nicht gern, erklärt der Islamwissenschaftler Sajetow. Die Hizb ut-Tahrir wollten ein Kalifat errichten, die Muslimbrüder hätten eine Mischung aus Demokratie und Scharia zum Ziel, betont Sajetow. Deshalb verbiete der Staat diese.

„Der Versuch, die Legitimität staatlicher Strukturen vom Standpunkt der Scharia und nicht dem der Verfassung aus anzuzweifeln, würde in jedem Staat auf Widerstand stoßen“, sagt Sajetow. Bei aller Vielfalt des russischen Islams: Für den Staat sind nur solche Islamformen akzeptierbar, die auf kulturell-gesellschaftlicher Ebene agieren – ohne politischen Anspruch.

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