Eisangler im Fernen Osten: Mit dem Frühling kommt der Tod

Im Fernen Osten Russlands beginnt die Eisgang-Saison: Eisbrocken brechen bei Wind und höheren Temperaturen ab und treiben Richtung Pazifik. Jedes Jahr warnt das russische Ministerium für Katastrophenschutz aufs Neue vor den Gefahren – und jedes Jahr geraten Hunderte von Fischern aufs Neue in Seenot.

ice fishing in Russia / Vladimir Smirnov/TASSice fishing in Russia / Vladimir Smirnov/TASS

Mordwinow-Bai, Teil der Sachalin-Insel im Ochotskischen Meer, 6 308 Kilometer von Moskau entfernt. In den Nachrichten wird oft über Sachalin gesprochen – jedoch nicht aufgrund der Schönheit ihrer Natur, sondern im Zusammenhang mit dem Treibeis, das unter Einfluss von Wärme und Wind ins Meer getrieben wird. Entlang der Küste stehen Schilder, die vor der Gefahr warnen, die Eisfläche zu betreten. Diese sind unmöglich zu übersehen. Und doch lassen sich die lokalen Eisangler davon nicht aufhalten. Wer aus den nahe gelegenen Siedlungen nicht in der Öl- und Gasförderung beschäftigt ist, dem bleibt nur der Fischfang, der lebensgefährlich sein kann.

Vom Winde verweht

The ice-bound MRS 150-314 seiner in the Okhotsk Sea. The Sakhalin regional search-and-rescue base successfully evacuates the crews of the ice-bound seiners MRS 150-299 and MRS 150-314 that spent nearly a week at Terpeniya [Patience] Bay in eastern Sakhalin Island before their crews were rescued. / Sergey Krasnouhov/RIA NovostiThe ice-bound MRS 150-314 seiner in the Okhotsk Sea. The Sakhalin regional search-and-rescue base successfully evacuates the crews of the ice-bound seiners MRS 150-299 and MRS 150-314 that spent nearly a week at Terpeniya [Patience] Bay in eastern Sakhalin Island before their crews were rescued. / Sergey Krasnouhov/RIA Novosti

Allein in den letzten zehn Tagen des Februars trieb es 35 Angler aufs Ochotskische Meer hinaus – am 17. Februar waren es acht, am 24. Februar sieben und tags darauf gleich zwanzig. Sie alle saßen auf der Eisfläche, als diese zerbrach und sich einzelne Schollen herauslösten. Alle der in Seenot geratenen Angler wurden vom Ministerium für Katastrophenschutz der Oblast Sachalin gerettet. Doch es kann auch anders kommen. Manchmal kann aufgrund der Wetterbedingungen eine Rettung weder mit dem Boot noch mit dem Hubschrauber erfolgen. Dann erfrieren die Fischer oder sie ertrinken bei dem Versuch, die Küste schwimmend zu erreichen. Es gibt keine offiziellen Zahlen von russischen Fischern auf Eisschollen. Klar ist jedoch, dass es mehrere tausend jährlich sind.

„Das Eis bricht innerhalb von wenigen Minuten ab“, erzählt Alexei, einer der Angler, die in der Mordwinow-Bai gerettet wurden. „Am Morgen war das Wetter noch toll, es war sonnig und es wehte kein Wind. Am Nachmittag wurde es plötzlich stürmisch – ein Schneesturm zog herauf.“ Die Dicke des Eises liege eigentlich bei 40 Zentimeter, erzählt der Gerettete. „Aber ein Windstoß genügt, um das Eis zu brechen. Dann ist es schlicht unmöglich, die Küste rennend zu erreichen, wenn man fünf Kilometer von ihr entfernt ist. Der Riss wird einfach zu groß. Zudem ist der Schnee kniehoch und wegen des Schneesturms ist die Sicht sehr schlecht.“

Trotz des Vorfalls ging Alexei am nächsten Tag wieder angeln. „Was soll ich machen? Ich muss ja irgendwie Geld verdienen. Ich habe eine Familie zu ernähren.“ So wie Alexei geht es Tausenden. Die Autos der Angler würden von der Siedlung Ochotskoje bis zur Küste des Tunajtscha-Sees – eine Strecke von einem Kilometer – auf beiden Seiten eng beieinander stehen, erzählt ein anderer Fischer.

Warnungen gehen ins Leere

ice fishing in Russia / Konstantin Kokoshkin/Global Look Pressice fishing in Russia / Konstantin Kokoshkin/Global Look Press

Das Ministerium für Katastrophenschutz der Oblast Sachalin ist alles andere als glücklich mit dieser Situation. Die Mitarbeiter arbeiteten praktisch rund um die Uhr, heißt es aus der Behörde – als wäre der Ausnahmezustand ausgerufen. Denis Iljinow, Vorsitzender einer Rettungsabteilung, beschwert sich über die Fischer, die trotz Warnungen jeden Tag auf Fischfang gehen und im Fall der Fälle auf das Ministerium hoffen würden.

Doch es gebe keinen Weg, sie zu bestrafen. „Vor einigen Jahren gab es Strafen, aber das Gericht hob diese Maßnahme auf. Und zu Sowjetzeiten stellte man Fischern, die mit dem Hubschrauber gerettet werden mussten, eine Rechnung aus. Der Preis war oft höher als ihr Lohn.“ Heute gebe es keinerlei Maßnahmen, obwohl Rettungsaktionen mit einem Einsatz von Hubschraubern und Dutzenden von Rettern den Staat mehrere Millionen Rubel kosten kann.

Ein anderer Retter vom Katastrophenschutzministerium, der anonym bleiben will, sagte offen: „Das Verhalten der Fischer macht uns wütend! Man würde ihnen gern sagen: Sterbt doch, wir retten euch nicht mehr. Wir warnen und informieren, aber alles ohne Erfolg. Sie nutzen uns einfach aus.“

Auch am ersten Frühlingstag gingen in der Mordwinow-Bai wieder rund 1 500 Fischer aufs Eis – und das, obwohl der warme Westwind und eine große Flutwelle begonnen haben, das Festeis zu zersetzen. Das Ministerium für Katastrophenschutz reagierte umgehend und entsendete eine Warnung an alle Angler, dass 500 Meter vor der Küste ein Riss im Entstehen sei und ein Hubschrauber aufgrund der niedrigen Wolken im Notfall nicht zum Einsatz kommen könne. Kein Fischer verließ die Gefahrenzone. Am Ende sah sich das Ministerium gezwungen, zusätzlich vier Kontrollstreifen entlang der Küste einzusetzen.

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