Tier macht Sachen: In Moskau steht ein Waschbär vor Gericht

Eine Werbeagentur ließ das Tier mit einem Nacktmodel posieren.

Eine Werbeagentur ließ das Tier mit einem Nacktmodel posieren.

Art-msk
So etwas hat es noch nicht gegeben: In Moskau steht eine Werbeagentur vor Gericht, weil sie einen Waschbären für einen Videodreh mit einem Nacktmodel eingesetzt hatte. Der Vorwurf: seelischer Missbrauch und Imageschaden für eine ganze Tierart.

„Was tust du da? Gib der Frau ihren BH zurück!“, ruft jemand lachend im Hintergrund eines Handyvideos. Zu sehen ist ein weißes Bett, auf dem ein Waschbär gerade versucht, das besagte Wäschestück den Händen einer nackten jungen Frau zu entreißen. Die zieht es vergeblich zurück. Die Szene wurde im August 2016 festgehalten, bei Dreharbeiten von der Werbeagentur Art-Msk.

Der Waschbär war eine Leihgabe des Moskauer Streichelzoos „Tiere sind kein Spielzeug“. Nachdem die Zooverwaltung herausfand, dass der Waschbär für Dreharbeiten mit einem Nacktmodel eingesetzt worden war, verklagte der Zoo die Agentur.  

„Jeder wird Waschbären mit Erotik verbinden“

Es habe geheißen, das Tier werde in einer Werbung für Decken und Handtüchern erscheinen, erklärte die Zooverwaltung dem Onlinejournal „TJournal“. Doch dann habe man auf der Webseite der Werbeagentur die Fotos des Models gesehen, wie es seine nackten Brüste mit dem Waschbären bedeckt. Bildunterschrift: „Die süße Liebesgeschichte zwischen einer jungen Frau und einem Waschbären, bald im föderalen TV“.

Bild: Art-msk Bild: Art-msk

Die Zooverwaltung forderte die sofortige Löschung der Fotos, dem kam Art-Msk aber nicht nach. Also reichte der Zoo gegen die Agentur im Oktober 2016 Klage ein. Das Gericht verpasste es aber, einen Termin für die Gerichtsverhandlung zu bestimmen. Deshalb untermauerten die Besitzer des Waschbären ihre Klage mit einer zweiten, die sie Mitte März dieses Jahres einreichten.  

In ihrer Klage beruft sich die Zooverwaltung auf die Weltweite Tierschutzerklärung, die von den Vereinten Nationen jedoch nicht ratifiziert wurde und deswegen nicht verbindlich ist. Laut dieser Erklärung sind Tiere fühlende Lebewesen, die Respekt und Rücksichtnahme verdienen. Da sich ein Waschbär nicht selbst verteidigen kann, tritt die Zooverwaltung als Vertreterin des Tieres auf. 

Im Mittelpunkt der Klage steht der Vorwurf, die Angeklagte hätte der gesamten Waschbärenpopulation Schaden zugefügt. „Jeder, der diese Werbung sieht, wird Waschbären künftig mit erotischen Filmen verbinden“, sagte die Zooverwaltung. Werbung wie diese sei schädlich für den Ruf von Waschbären. Auf Schmerzensgeld besteht der Zoo nicht, aber auf die Entfernung der Fotos von der Homepage der Agentur.   

Schaden auf allen Seiten

Bild: Art-msk Bild: Art-msk

Dieser Prozess ist einzigartig, wie Alexander Kulagin, Berater am Zentrum für juristischen Tierschutz, feststellt: Es sei das erste Mal in der Geschichte des russischen Rechtswesens, das der seelische Schaden eines Tieres vor Gericht verhandelt werde.

Doch er räumt dem Zoo nur wenig Chancen auf einen Sieg ein: „In Russland wie auch weltweit gibt es kein System zum Schutz von Tierrechten – zumindest nicht zu diesem Aspekt“, sagte der Experte. Zudem sei es unmöglich zu belegen, dass Dreharbeiten mit einer nackten Frau Waschbären schaden würden.

Auch die Werbeagentur sieht sich geschädigt. „Die Werbung war nicht erotisch, sie wurde für föderale TV-Sender konzipiert“, sagte Valery Bogatow, bei der Agentur verantwortlich für Videomarketing, dem Onlineportal Life.ru. Am Ende sei das Video nicht veröffentlicht worden, weil der Kunde wegen des Skandals seinen Auftrag zurückgezogen und deshalb nicht bezahlt habe. 

Das Model sei ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden, wie Bogatov bemerkt. So habe der junge und aggressive Waschbär während der Dreharbeiten den BH der Frau weggenommen und zerrissen. Die Agentur könnte ebenfalls vor Gericht ziehen, um Schadenersatz für die verlorene Unterwäsche einzuklagen.  

Leiden eines Waschbären

Die Zooverwaltung behauptet, dass der Waschbär nach dessen schicksalhaften Begegnung mit weiblichen Brüsten einige Zeit gelitten habe. Er hätte untypisches Verhalten gezeigt; so sei er traurig gewesen, hätte sich in seinen Käfig zurückgezogen und aggressiv auf seine Waschbärenfreundin Lisa reagiert. „Mehr noch – wir mussten feststellen, dass er versucht, Frauen an die Brüste zu greifen“, erzählte Zoosprecher Viktor Kirjuchin dem „TJournal“.  

Erst nach einigen Monaten habe sich das Tier wieder beruhigt. „Er ist jetzt wieder in Ordnung“, sagte Kirjuchin, „voller Energie und fröhlich“. Die traumatische Erfahrung hat der Waschbär also überwunden, doch die Zooverwaltung gibt sich damit nicht zufrieden. „Das grenzt an Sodomie! Es ist unmoralisch, Tiere mit Erotik zu verbinden!“, erklärte der Sprecher des Zoos. 

Verdacht auf Inszenierung

In den Monaten vor der zweiten Anklage tauchte eine weitere Version zum Konflikt auf – demnach könnte das Ganze nichts weiter als eine gut geplante PR-Aktion gewesen sein, von der beide Seiten profitieren. So berichtete der Fernsehsender 360, dass zwei Monate vor dem Skandal auf der Homepage der Agentur eine Anzeige veröffentlicht wurde, die einen Waschbären für eine provokante Werbeaktion suchte: „Haben Sie einen Waschbären? Wollen Sie, dass die Medien über Ihren Zoo berichten? Mögen Sie Kontroversen? Wenn ja, melden Sie sich bei uns!“

Im Gespräch mit „TJournal“ wiesen beide Konfliktparteien den Verdacht auf eine Inszenierung zurück. Valery Bogatov von Art-Msk bemerkte, der Sinn einer solchen Aktion wäre es gewesen, mit der Veröffentlichung eines Videoclips Aufsehen zu erregen – und nicht vorher. Wegen des Konflikts mit dem Streichelzoo lägen die Pläne nun auf Eis. Zoosprecher Viktor Kirjuchin unterstrich, die Empörung der Zooverwaltung sei echt und es habe nie eine Zusammenarbeit mit der Werbeagentur gegeben.

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