Russische Bibliotheken digitalisieren alte Bücher

Vor einigen Jahren startete das Projekt einer Digitalisierung wertvoller alter Bestände russischer Bibliotheken. RBTH besuchte die Scan-Abteilung der Russischen Staatsbibliothek, um zu sehen, wie historische Bücher in digitaler Version neu entstehen.

Foto: Anton Tschurotschkin

Mitte der 2000er-Jahre begann die Russische Staatsbibliothek mit der Umsetzung des Projekts „Nationale elektronische Bibliothek". Eines seiner Ziele ist die Digitalisierung von Buchbeständen aus der Zeit vor dem Jahr 1831. Tatjana Garkuschowa arbeitet in der Abteilung, die mit dem Scannen der alten Werke betraut ist. Auf dem Computer zeigt sie uns die gescannten Seiten historischer Bücher. Zum Beispiel aus dem „Evangelium von Archangelsk" aus dem Jahr 1092, dem viertältesten bekannten ostslawischen Buch. Oder aus dem digitalen „Oktoechos", einer Sammlung orthodoxer göttlicher Liturgien, die 1491 in Krakau erschien. Es ist eines der ersten Bücher in kyrillischer Schrift. Der Wert dieses Buch wird auf mehrere Millionen Euro geschätzt, man kann es aber weder kaufen noch verkaufen, das Buch ist im staatlichen Besitz. „Früher wurden solche Bücher nur mit Sondergenehmigungen und nur besonders vertrauenswürdigen Nutzern überlassen", erklärt Garkuschowa. Heute sind sie allen interessierten Lesern auf der Webseite der Elektronischen Bibliothek der Russischen Staatsbibliothek zugänglich.

 

Digitalisierung der Vergangenheit

„Der Bestand seltener Bücher der Russischen Staatsbibliothek umfasst etwa 300 000 Magazin-Einheiten", sagt Tatjana Garkuschowa. „Davon sind bis heute ungefähr 9 000 digitalisiert." Seit Kurzem wird das Projekt „Nationale elektronische Bibliothek", dem sich Bibliotheken aus ganz Russland angeschlossen haben, vom Kulturministerium gefördert.

Bis heute ist Papier der langlebigste Träger, doch die „digitale Epoche" währt nun auch schon etwas über 30 Jahre. „Die Bücher werden digitalisiert, um sie der Allgemeinheit zugänglich zu machen", erklärt der Leiter der Scan-Abteilung Roman Kurbatow. „Es gibt außerdem auch sachliche Gründe, die für die Digitalisierung sprechen. Im 19. Jahrhundert verwendete man Zink-Tinte, die im Laufe der Zeit die Papierseiten ‚auffrisst' und auf der anderen Seite sichtbar wird. Mit der Zeit macht das den Text auf beiden Seiten unlesbar", so der Experte.

Dennoch seien besonders die ältesten und wertvollsten Bücher am besten erhalten, fährt Roman Kurbatow fort: „Man hat sie von Anfang an sorgsam behandelt, unter ausgewählten Bedingungen gelagert und selten geöffnet. Wir hielten schon ein Buch von Rabelais, etwa aus den Dreißigerjahren des 16. Jahrhunderts, in den Händen. Sein Zustand ist nicht schlechter als der von Büchern aus der Mitte des 19. Jahrhunderts."

Beim Scannen muss man vorsichtig sein, um Beschädigungen des Buchs zu vermeiden. Das Buch wird in eine „Wiege" gelegt, auf eine weiche Unterlage, die an die Form des Buchdeckels und die Dicke des Buchs angepasst ist. Es gibt Scanner aller Formate, für Miniaturausgaben bis zum Format A0 (33,1 Zoll × 46,8 Zoll). Sie verwenden ein spezielles Licht, das Tinte und Papier nicht angreift.

 

Weltraumtechnologie für Da Vinci

Die Bibliotheksbestände umfassen viele Bücher eines großen und nicht standardmäßigen Formats. Das sind Jubiläumsausgaben, große Atlanten, Alben oder Bildfolien. Für diese ungewöhnlichen Formate gibt es in der Russischen Staatsbibliothek einen Scanner des Herstellers Metis Systems. Er kann in seiner Wiege Bücher von bis zu 20 Zoll Dicke und einem Gewicht

von bis zu 50 Kilogramm verarbeiten. Dieses Gerät kam vor Kurzem bei der Digitalisierung des Codex Atlanticus, eines 1 119 Seiten umfassenden Manuskripts von Leonardo da Vinci, zum Einsatz. Die Techniker, die diesen Scanner bauten, arbeiteten früher im Department für Luft- und Raumfahrt des Massachusetts Institute of Technology.

Auf der Webseite der Russischen Staatsbibliothek kann man die digitalisierten Kopien über den Browser abrufen, im PDF-Format oder in einem iPad-kompatiblen Format herunterladen. Echte Schätze der Weltkultur sind auf diesem Wege frei zugänglich – etwa der private Taschenkalender von Pawel I., Evangelien aus dem 17. Jahrhundert oder Bücher aus der Prager Druckerei von Francysk Skaryna aus dem 16. Jahrhundert. Die Scans haben eine so hohe Qualität, dass auch die kleinsten Details ihrer Gestaltung, Gravuren und Exlibris erkennbar sind – besondere Erkennungsmerkmale für Buchsammler, die auf die Zugehörigkeit eines Exemplars zu einer bestimmten Bibliothek hinweisen.

Das Gefühl, ein echtes Buch in den Händen zu halten, vermittelt ein Scan natürlich nicht. „Als wir die berühmte Schneerson-Bibliothek einscannten, fanden wir in den Büchern interessante ‚Beilagen' wie Gänsefedern, Haare, Ketten, Geld und persönliche Notizen", erzählt Kurbatow.

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