Jurij Lewitan: Die Stimme des Krieges

Jurij Lewitan war die Stimme des sowjetischen Rundfunks. Foto: Fjodor Kislow/TASS

Jurij Lewitan war die Stimme des sowjetischen Rundfunks. Foto: Fjodor Kislow/TASS

Jurij Lewitan war einer der bekanntesten sowjetischen Rundfunksprecher. Er berichtete auch von den Ereignissen im Großen Vaterländischen Krieg. Seine Reportagen waren so mitreißend, dass Hitler in ihm ein größeres Risiko sah als in Stalin und ein hohes Kopfgeld auf ihn aussetzte.

Jurij Lewitan wurde am 2. Oktober 1914 als Sohn eines Schneiders und einer Hausfrau in der Stadt Wladimir geboren. Als er 17 Jahre alt war, zog er nach Moskau, um ein großer Schauspieler zu werden. Doch wegen seines angeblich provinziellen Dialektes wurde er am Theaterinstitut nicht aufgenommen. Stattdessen trat er einer Gruppe junger Rundfunksprecher bei, die vom bekannten sowjetischen Schauspieler Wasilij Katschalow zusammengestellt wurde.

Im Januar 1934 erregte Jurij Lewitans charismatische und klangvolle Stimme mit der perfekten Aussprache die Aufmerksamkeit Josef Stalins. Dieser verlangte vom Vorsitzenden des Rundfunkkomitees, dass offizielle Meldungen nur noch von Lewitan verlesen werden sollten. So wurde aus dem Praktikanten nach nur zwei Jahren der oberste Rundfunksprecher der Sowjetunion.

Sieben Jahre später, am Morgen des 22. Juni 1941, gingen im Büro des Sowjetischen Rundfunkkomitees ununterbrochen die Meldungen der Korrespondenten aus Kiew ein, die vom Überfall der Streitkräfte Deutschlands auf die Sowjetunion berichteten. Jurij Lewitan sollte die Aufgabe übernehmen, die Bevölkerung darüber zu informieren. Ein Kurier übergab ihm die Anweisung, im Radio zu verkünden, dass es um 12 Uhr eine wichtige Meldung der Regierung geben werde.

 

„Achtung! Es spricht Moskau!"

„Achtung! Es spricht Moskau! Bürger und Bürgerinnen der Sowjetunion! Wir übertragen eine Meldung der Regierung. Heute um vier Uhr morgens haben die deutschen Streitkräfte ohne jegliche Kriegserklärung die Sowjetunion angegriffen", gab Lewitan schließlich den sowjetischen Bürgern bekannt.

Der Satz „Es spricht Moskau!" war fortan fest mit Lewitan verbunden und die Sowjetbürger überzeugt, dass er tatsächlich aus Moskau zu ihnen sprach. Doch schon ab Herbst 1941 sprach er seinen berühmten Satz aus dem Studio im damaligen Swerdlowsk, heute Jekaterinburg. In Moskau waren die Funktürme aus Angst vor deutschen Bombardements abgebaut worden. Lewitan bekam die Anweisungen des Obersten Befehlshabers und die Meldungen des Sowjetischen Informationsbüros telefonisch aus Moskau. Im März 1943 wurde Lewitan nach Kuibyschew, heuite Samara verlegt, wo sich das Radiokomitee bereits niedergelassen hatte. Erst 25 Jahre später erfuhr die Öffentlichkeit davon.

Am 9. Mai 1945 kehrte Lewitan nach Moskau zurück. Er war in den Kreml bestellt worden. Dort wurde ihm ein versiegelter Umschlag überreicht, mit einer Note, in der der Oberbefehlshaber den Sieg der Sowjetunion über Deutschland verkündete. Der Text sollte 45 Minuten später live im Moskauer Studio verlesen werden. Um dahin zu gelangen, musste Lewitan den Roten Platz überqueren, auf dem eine Menschenmenge versammelt war. In Aufzeichnungen eines Freundes, des Publizisten Jurij Belkin, ist zu lesen, wie Lewitan diesen Moment erlebte: „Genossen – so schreie ich – lassen Sie mich durch, wir haben es eilig! Doch man antwortete uns nur: Was gibt es, das so wichtig ist? Lewitan wird jetzt den Erlass über den Sieg im Radio verkünden. Also bleiben Sie wie alle anderen da und hören Sie zu!" Lewitan schaffte es nicht, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen und musste in den Kreml zurückkehren, der aber über eine eigene Radioausrüstung verfügte. Um 21.55 Uhr war es schließlich so weit. Lewitan las den Text vor: „Es spricht Moskau! Das faschistische Deutschland ist zerschlagen".

 

„Ich kann die Menschen nicht im Stich lassen. Sie warten auf mich!"

In den Kriegsjahren 1941 bis 1945 verlas Lewitan rund 2 000 Meldungen des Sowjetischen Informationsbüros. Bedauerlicherweise wurden damals die

Meldungen nicht aufgezeichnet, weswegen man Jurij Lewitan in den 1950er-Jahren bat, für die Geschichtsschreibung einen Teil der Beiträge noch einmal auf Tonband zu sprechen.

Jurij Lewitan litt bereits 1945, als er die Beweisunterlagen zu Auschwitz verlas, an Herzproblemen. Doch erst beinahe 40 Jahre später erlag er in Prochorowka einem Herzanfall, während der Jubiläumsfeier der Schlacht um die Stadt Kursk. Bereits vor seiner Abreise in die Stadt hatte er vor seinen Freunden über Herzschmerzen geklagt. Auf alle Versuche, ihm die Reise auszureden, antwortete der charismatische Radiosprecher jedoch lakonisch mit folgenden Worten: „Ich kann die Menschen nicht im Stich lassen. Sie warten auf mich!"

Bis zu seinem Todestag am 4. August 1983 verlas der oberste Rundfunksprecher der Sowjetunion vom Roten Platz aus allerdings noch viele Meldungen. Er war es auch, der der Welt die Nachricht über den ersten bemannten Flug ins Weltall verkündete.

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