Knigi Rossii: Der Rote Platz wurde zur Bibliothek

Der russische Präsident Wladimir Putin versprach am ersten Tag des Festivals, 800 000 Euro für die Förderung und Verbreitung von Kinderliteratur in den Regionen bereitzustellen. Foto: Ruslan Suchuschin

Der russische Präsident Wladimir Putin versprach am ersten Tag des Festivals, 800 000 Euro für die Förderung und Verbreitung von Kinderliteratur in den Regionen bereitzustellen. Foto: Ruslan Suchuschin

Am Sonntag endete in Moskau das Buchfestival Knigi Rossii (zu dt: Bücher Russlands). Auf mehr als 23 000 Quadratmetern drehte sich alles um russische Bücher. Frühmorgens schon drängten sich die ersten Leseratten an den Eingängen. Im Mittelpunkt stand die Kinderliteratur.

Vom 25. bis 28. Juni fand in Moskau das Festival Knigi Rossii, zu Deutsch „Bücher Russlands“, statt. Der gesamte Rote Platz und auch ein Teil des berühmten Kaufhauses GUM wurden zur Bibliothek und zum Treffpunkt für Autoren, Verleger und Leser. Lange Schlangen bildeten sich schon frühmorgens an den Eingängen, trotz schlechten Wetters.

„Der Regen ist ein Überraschungsgast, er stand nicht auf dem Programm“, scherzte Michail Seslawinski, Leiter der Föderalen Agentur für Presse und Massenkommunikation Rospetschat, die das Festival ausrichtete. Der

Bücher lesen? Wodka kaufen!

 

Die erste öffentliche Bibliothek in Russland wurde auf dem Roten Platz eröffnet. Vor der Basilius-Kathedrale wurde 1705 mit Genehmigung von Peter dem Großen ein Bauwerk mit Tee- und Kaffeeausschank errichtet, wo man gelegentlich auch ein Buch kaufen konnte. Übrigens erlaubte der russische Kaiser in einer anderen alten Bibliothek – an der Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg – zur Winterzeit auch den Wodkaverkauf und kleine Speisen.

Regen konnte auch nicht die feierliche Eröffnung des Festivals verderben, die der berühmte Pianist Dmitri Mazujew einleitete. Sergej Naryschkin, Sprecher der Staatsduma, lud die Leser zu einem Bücherfest ein und forderte sie auf, die Bücher zu lesen und zu lieben.

Damit niemand mit leerem Magen lesen musste, gab es ein fantasievolles Buffet. Die Speisenkreationen waren Buchtiteln nachempfunden. So gab es nicht einfach Burger mit Kamm-Muscheln, sondern „Das Märchen vom Fischer und dem Fischlein“ nach Alexander Puschkin. Es gab Kekse mit dem Konterfei russischer Schriftsteller. Philatelisten konnten sich zum Festival über eine neue Briefmarke mit dem Logo des Jahres der Literatur und den Profilen von Puschkin, Gogol und Achmatowa freuen.   

 

Hauptsache lesen!

Ein Schwerpunkt des Festivals war die Kinderliteratur. Beinahe rund um die Uhr fanden Vorträge, Workshops und Quizveranstaltungen statt. Dutzende Verlage aus ganz Russland präsentierten Neuausgaben, Schriftsteller hielten Lesungen. „Wir hoffen nach wie vor auf eine eigene Joanne K. Rowling“,

sagte der stellvertretende Leiter von Rospetschat, Wladimir Grigorjew, scherzhaft, fügte aber im Ernst hinzu: „Auf der Rangliste der meist verkauften Kinderbücher stehen zu 80 Prozent Autoren, die uns schon unsere Großväter und Großmütter vorgelesen haben.“

Der russische Präsident Wladimir Putin, der dem Festival am ersten Tag einen Besuch abstattete, versprach, 50 Millionen Rubel (rund 800 000 Euro) aus seinem persönlichen Fonds für die Förderung und Verbreitung von Kinderliteratur in den Regionen bereitzustellen. Der Literatur in den Provinzen war ein gesonderter Bereich gewidmet: Verlage aus 50 russischen Regionen, unter anderem aus Tschetschenien und Dagestan, waren auf dem Festival vertreten. Jeder versuchte, Putin seinen Bestseller zu schenken.

 

Noah landete auf dem Pflaster

Auf einem Buchfestival geht es heute nicht ohne das Thema E-Book und Online-Lesen. In der Sektion „Bookbyte“ wurde über interaktive Lehrbücher und die Digitalisierung von Büchern diskutiert. Olga Mesenzewa, stellvertretende Leiterin der Staatlichen Kinderbibliothek, hält die heftigen Diskussionen ums E-Reading für überzogen: „Hauptsache die Kinder lesen, egal ob von Papier oder am Bildschirm.“ Wahrscheinlich gab es deshalb auf dem Roten Platz auch eine moderne „Minibibliothek“, einen Pavillon mit Büchern und Computern.

Auf dem Festival konnte man Bücher mit 20 bis 30 % Rabatt ergattern. Foto: RIA Novosti

Während der Eröffnungsfeier wurde auch an die mystische Geschichte der verschwundenen Bibliothek von Zar Iwan dem Schrecklichen erinnert, zu der etwa 800 Unikatbücher, unter anderem aus Byzanz gehörten. Schatzsucher hoffen noch immer, eine Spur von ihr zu entdecken.

Vor allem ging es aber um die Zukunft der Bibliotheken. „Eine moderne Bibliothek muss ‚sexy‘ sein: Sie muss für Leser verlockend und überraschend sein und etwas bieten, was sie nicht erwarten“, meint Jekaterina Genijewa, Generaldirektorin der Bibliothek für ausländische Literatur. „Der Philologe Dmitri Lichatschow glaubt, dass wenn die Welt unterginge und dabei auch nur eine einzige Bibliothek erhalten bliebe, die Welt wiederauferstehen würde. Eine Bibliothek ist eine Art Arche Noah.“

 

Ersatz gefunden?

 

Nach Angaben des Magazins „Afisha.Vozduh" löst das Bücherfestival auf dem Roten Platz das bisherige Moskauer internationale Bücherfestival ab, das zuvor neun Jahre hintereinander immer Anfang Juni im Zentralen Haus des Künstlers stattfand. Es wurde von unabhängigen Verlegern und Experten finanziert. 2014 kam es jedoch zu einem Eklat: Nur wenige Tage vor Eröffnung des Festivals wurden zwei Kinderaufführungen auf Weisung des Kultusministeriums abgesetzt. Die Beamten unterstellten homosexuelle Propaganda, die in Russland unter Minderjährigen verboten ist, und den Gebrauch obszöner Sprache, ebenfalls in öffentlichen Aufführungen verboten. Einige Verlage und Partner sagten daraufhin ihre Teilnahme am Festival ab. In diesem Jahr fand es zum ersten Mal nicht statt.

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