Eremitage-Direktor Michail Piotrowski: „Der interkulturelle Dialog wird überschätzt.“
Wiktor Wasenin/Rossijskaja GasetaWas denkt Michail Piotrowski, der Direktor der Sankt Petersburger Eremitage über die aktuellen Ereignisse in Syrien? Die Terroristen des Islamischen Staates (IS) hatten dort den Baalschamin-Tempel in Palmyra gesprengt, der zum Unesco-Weltkulturerbe zählt.
Wie steht Piotrowski zu Umbauarbeiten an der Eremitage und welche Rolle misst er Geld in der Kultur bei? Auf diese und weitere Fragen gab der Direktor eines der bedeutendsten Museen der Welt der Journalistin Jelena Jakowlewa von der russischen Tageszeitung „Rossijskaja gaseta“ Antworten. RBTH veröffentlicht Auszüge aus Jakowlewas gerade erschienenem Buch „Michail Piotrowski“.
Ich denke, die Stadt Palmyra hätte gerettet werden können. Die IS-Terroristen hatten dieses Ziel seit langem ins Auge gefasst und steuerten langsam darauf zu. Um Angriffen zu entgehen, wählten sie den Weg durch die Wüste. Die europäischen Länder haben sie nicht aufgehalten. Ein Angriff auf den IS ist für sie gleichbedeutend mit der Unterstützung des Assad-Regimes. Aber um Kulturerbe zu schützen, muss man zu Mitteln greifen, die vielleicht in anderen Fällen nicht vertretbar wären. In der Kultur gibt es eigene Regeln und sie haben Vorrang vor politischen Ambitionen.
Ich lese oft im Koran. Aber ich kann nicht sagen, welche Sure ich am meisten mag. Genauso wie ich auch nicht sagen kann, welches Gemälde in der Eremitage ich am liebsten betrachte. Der Koran war in meinem Fall ein sehr schönes Geschenk von einem syrischen Mufti. Zu diesem Koran gibt es einen digitalen Lesestift. So kann man sich einzelne Worte vorlesen lassen. Der Stift kann sogar helfen, die grammatikalischen Strukturen der arabischen Sprache besser zu verstehen und die eigene Aussprache zu verbessern. Sogar Kommentare zum Koran kann man sich vorlesen lassen. Der Stift bietet fünf verschiedene Sprachen. Das ist ein in Syrien gefertigtes Produkt. Im Land geht das Leben normal weiter, im Rahmen des Möglichen.
Jegliche architektonische Veränderung an der Innen- und Außenfassade der Eremitage ist ausgeschlossen. In erster Linie ist das Museum ein Gebäude, ein ehemaliger Zarenpalast, in dem Menschen wohnten. Als die Pyramiden des Louvre projektiert wurden, wurde ich gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Ich sagte, für Paris sei es sowieso egal – Paris hat bereits den Eifelturm.
Man muss sich immer bewusst sein, dass nicht alles gemacht werden sollte, bloß weil es Geld einbringt. Jedes Museum handhabt das anders. Bei uns zum Beispiel darf man keine Räumlichkeiten für einen Empfang mieten, obwohl dies im Metropolitan Museum of Art in New York üblich ist. Bei uns ist es aber verboten. Man sollte auch keine Ausstellung bloß des Geldes wegen organisieren. Wir können unermüdlich nach Mitteln für eine Ausstellung eines für uns interessanten Künstlers suchen, werden aber nie zulassen, dass jemand uns bezahlt, um etwas zeigen zu dürfen.
Ein Museum lehrt und bietet Vergnügen, deswegen steht es wie man oft sagt zwischen dem Disneyland und einem Tempel. Die zunehmend oberflächliche Gesellschaft und die Verbreitung des Bewusstseins, dass jeder das Recht habe über Kunst und Kultur zu urteilen, führten dazu, dass immer mehr Museen zu Orten der Unterhaltung wurden. Die Erfahrung zeigt, dass die Museen ihre Rolle als Kulturtempel weiterhin stärken müssen. In unserer Welt braucht man einige intellektuelle und ästhetische Zufluchtsorte, sakrale Orte, in denen andere Regeln gelten und Kultur ihre Rechte frei ausübt.
Was das Skythen-Gold angeht, möchte ich zuerst auf einen wichtigen Aspekt hinweisen: Es geht nicht um einige Goldstücke. Es geht um verschiedene archäologische Fundstücke aus den Museen auf der Krim, wo sie entdeckt worden sind. Die Erhaltung des hohen Ansehens dieser Museen ist ein wichtiger Faktor in der juristischen Diskussion, die um die Frage der Rückgabe der Schätze entflammt ist. Die moralischen Prinzipien schreiben allerdings vor, dass die Goldstücke an ihren Ursprungsort zurückkehren müssen, also in die Museen auf der Krim.
Der „interkulturelle Dialog“ ist eine seltsame, wenn auch in der letzten Zeit sehr verbreitete, Wortverbindung. Ein Dialog ist ein Gespräch zwischen zwei Menschen beim Biertrinken. In einigen Bereichen ist ein Dialog überhaupt nicht möglich, zum Beispiel zwischen Religionen. Einige glauben trotzdem daran, dass die Vertreter der abrahamitischen Religionen sich an einen Verhandlungstisch setzen, sich in allen Fragen einigen werden und dann alles im Lot sein wird. Aber das Selbstbewusstsein der Organisatoren solcher Dialoge erhielt einen Dämpfer durch drei, vier, fünf Streitpunkte. Diese müssen zuerst beseitigt werden, dann erst können weitere Verhandlungen geführt werden.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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