Das Judentum in Moskau: Fünf kulturelle und historische Highlights

Tass
Das multiethnische, multireligiöse Moskau besteht aus weitaus mehr als nur deutsch und französisch klingender Straßennamen. Vielerorts sind in der Hauptstadt auch jüdische Traditionen verwurzelt. Moskaus jüdische Diaspora leistete einen immensen Beitrag zur Kultur Russlands und der Welt.

Die Moskauer jüdische Gemeinde ist eine der jüngsten überhaupt. Erst im 18. Jahrhundert, nach dem Anschluss polnischer Ländereien, siedelten Juden nach Russland um. Das Russische Reich verfolgte gegenüber den Juden eine restriktive Siedlungspolitik. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts änderte sich die Lage der Minderheit allmählich, die jüdische Diaspora wuchs.

Zu Sowjetzeiten herrschte ein gespaltenes Verhältnis der Mächtigen zum Judentum: Offiziell wurde die Völkerfreundschaft und die Gleichheit aller Nationen und Ethnien proklamiert, de facto existierten unsichtbare Schranken, die den Zugang der jüdischen Bevölkerung zu Studienplätzen an begehrten Universitäten und lukrativen Positionen steuerten. Im Alltag waren Juden mit der Intoleranz ihrer Mitbürger konfrontiert. Im sogenannten Ärzte-Fall wurde zum Beispiel eine Gruppe jüdischer Ärzte verdächtigt, sowjetischen Funktionären falsche Behandlungen verordnet zu haben, um so die Staats- und Parteiführung auszuschalten. Gerüchte über bevorstehende Repressionen gegen Juden ebenso wie die Massendeportationen der Wolga-Deutschen, der Krim-Tataren, der Tschetschenen und Inguschen in den Jahren 1941 bis 1943 verfestigten im Nationalbewusstsein der Sowjetbürger viele Vorurteile gegenüber diesen Nationalitäten. Ihre Herkunft mussten sie verbergen.

Ein Aufblühen der jüdischen Gemeinde setzte erst in den 1990er-Jahren ein. Heute sind Männer mit Kippas und Schläfenlocken im Moskauer Straßenbild keine Seltenheit mehr und auf dem Platz der Revolution zündet der oberste Rabbiner Russlands während der Chanukka die erste Kerze auf der Menora ein.

Jüdisches Museum und Zentrum für Toleranz

Foto: Tass

Es ist wohl eines der größten Museen für die Kultur und Geschichte des Judentums überhaupt. Insbesondere wendet es sich den Juden in Russland zu. Das Museum wurde 2012 in einem Denkmal des sowjetischen Konstruktivismus, dem ehemaligen Busdepot Bachmetewskij Garasch, eröffnet. Als eines der modernsten Museen Russlands vereint es traditionelle Ausstellungsstücke mit interaktiven und multimedialen Technologien. Daran angeschlossen ist eine Filiale der Russischen Nationalbibliothek, die die Bücherkollektion der Familie Schneerson beherbergt. Unabhängig von der eigenen Nationalität kann sich dort jeder, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, mit den Büchern vertraut machen. Ein Bibliotheksausweis ist dafür allerdings notwendig.

Die Synagoge auf der Bolschaja Bronnaja

Foto: Tass

Die Synagoge auf der Bolschaja-Bronnaja-Straße wurde auf dem Anwesen von Lasar Poljakow, einem wohlhabenden jüdischen Industriellen und Bankier, erbaut. Das Gebäude war von einem Zaun umgeben und mit einem Tunnel versehen, damit die Gemeinde bei Pogromen die Synagoge schnell verlassen konnte. Im Jahr 1937 wurde die Synagoge geschlossen und erst 1991 an die Gemeinde zurückgegeben. Heute ist sie kein bloßes Gotteshaus, sondern ein religiöses Zentrum, in dem die Tora gelehrt, koscheres Essen verkauft, sowie Rabbiner und Schächter ausgebildet werden.

Das Atelier Isaak Lewitans

Das Porträt von Issak Lewitan, gemalt 1893 vom bekannten russischen Künstler Walentin Serow. Foto: Ria Novosti

Isaak Lewitan ging als Meister der Stimmungslandschaft in die Geschichte der russischen Malerei ein. Als Kind verarmter jüdischer Eltern aus dem heutigen Litauen zog er im Alter von zehn Jahren nach Moskau und besuchte eine Kunstfachschule. Mit seinen Arbeiten war er erfolgreich, seine finanzielle Lage aber blieb unstetig. Im Jahr 1889 stellte Sergej Timofeewitsch Morosow, ein berühmter russischer Kunstsammler und Mäzen, dem Künstler ein Atelier in einer Gasse – dem Bolschoj Trechswjatitelskij Pereulok – zur Verfügung. Dort verbrachte Lewitan bis an sein Lebensende schaffensreiche und glückliche Tage.

Pasternaks Hausmuseum in Peredelkino

Foto: Lori / LegionMedia

Peredelkino ist eine der zahlreichen Datscha-Siedlungen im Moskauer Umland. Maxim Gorkijs Vorschlag aus dem Jahr 1934 ist es zu verdanken, dass die Siedlung an sowjetische Kunstschaffende übergeben wurde. Boris Pasternak, aus einer kreativen jüdischen Familie stammend und damals schon ein berühmter Schriftsteller und Dichter, kam als einer der ersten in den Genuss einer der Datschen. Der später mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Schriftsteller, den eine Schaffenskrise quälte, bezog das Landhaus 1936. Für ihn erwies es sich als eine Muse: Nach beinahe zehnjähriger Pause schrieb er wieder Gedichte und nahm die Arbeit an seinem berühmten Roman „Doktor Schiwago“ auf. Heute ist in seiner Datscha in Peredelkino ein Museum eingerichtet. Führungen werden in russischer, englischer und deutscher Sprache nach rechtzeitiger Anmeldung angeboten. Freitags aber wird die sogenannte „festverabredete Führung“ veranstaltet: Das Thema wird auf der Homepage des Museums rund eine Woche im Voraus angekündigt. Die Teilnehmerzahl spielt keine Rolle: Die Führung findet in jedem Fall statt.

Das Moskauer jüdische Theater „Schalom“

Foto: Tass

Nach der Oktoberrevolution 1917 entstanden in Moskau gleich zwei jüdische Theater: Das Theaterstudio Gabima unter der Schirmherrschaft Stanislawskijs, dessen Ensemble 1927 nahezu geschlossen nach Palästina ausreiste, und das Moskauer Staatliche Jüdische Theater Goset in der Malaja-Bronnaja-Straße. Dieses Theater existierte bis 1949 und fiel dem Kampf gegen den Kosmopolitismus zum Opfer. Zu seinem Nachfolger wurde das jüdische Theater Schalom. Gegründet in den 1960er-Jahren als ein dramaturgisches Ensemble ist es heute am Leningradskij Prospekt (71A) beheimatet. Die Vorführungen finden auf Russisch mit Elementen des Jiddischen statt. 

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