Moderne Babuschki

Die heutige Generation der 60-jährigen Frauen in Russland unterscheidet sich deutlich von ihren Vorgängerinnen. Foto: RIA Novosti

Die heutige Generation der 60-jährigen Frauen in Russland unterscheidet sich deutlich von ihren Vorgängerinnen. Foto: RIA Novosti

Das Bild der „Babuschka“ ist im Wandel begriffen. Russische Seniorinnen brechen mit alten Klischees, gehen online und gestalten ihr Leben selbst.

Das Bild der „traditionellen" russischen Seniorinnen („Babuschki"), die gerne auf der Bank vor dem Hauseingang tratschen und sich liebevoll um ihre Enkelkinder kümmern, ist veraltet. Heutzutage sind sie oft viel aktiver. Sie treiben Sport, interessieren sich für moderne Technologien und wollen nicht mehr nur für ihre Familien da sein, sondern auch der gesamten Gesellschaft etwas zurückgeben. Die Wirtschaft hat bereits auf diesen Trend reagiert und bietet immer mehr Produkte und Dienstleistungen für die ältere Generation an.

Eine Tango tanzende Seniorin reist nach Europa

Olga Kusnezowa, eine Dame in elegantem Kleid und Stöckelschuhen, schwingt in einem Studio auf dem Parkett das Tanzbein. Sie als „ältere Dame", geschweige denn als russische „Babuschka", zu bezeichnen, bringt man einfach nicht über die Lippen. Die 55-Jährige ist erst vor Kurzem in Pension gegangen und macht jetzt das, wovon sie schon immer geträumt hat: den ‚Tango Argentino' tanzen. Olga macht es nichts aus, dass sie die Älteste in der Gruppe ist. Nach dem Tanzunterricht trifft sie sich mit ihren Freundinnen und plant, in einem Monat mit ihnen nach Europa zu reisen. „Ich habe ein Kind großgezogen und drei verschiedene Anstellungen gehabt. Jetzt möchte ich einfach nur mein Leben leben", sagt sie.

In Russland ist das neu, da hierzulande eine starre Vorstellung darüber vorherrscht, womit sich ältere Frauen, die in den Ruhestand gegangen sind, zu beschäftigen haben. Das Klischee sieht so aus, dass Babuschki ein Kopftuch tragen und in einen schweren Mantel gewickelt auf den Bänken vor den Hauseingängen sitzen und jeden Hausbewohner persönlich kennen. „Typische" Seniorinnen müssen außerdem noch die Enkelkinder großziehen, im Garten Unkraut zupfen und Sauerkraut in Gläser einlegen. Doch die heutige Generation der 60-jährigen Frauen in Russland unterscheidet sich deutlich von ihren Vorgängerinnen. Viele von ihnen haben europäische Seniorinnen entweder in Kinofilmen oder während einer Auslandsreise gesehen und haben begonnen umzudenken. Die bisherige, wenig geliebte Lebensweise hat die ältere Generation zum Handeln bewegt.

Die moderne Großmutter fährt Auto und ist kreativ

„Meine Mutter ist 62 und noch längst keine ‚Babuschka'", erzählt Julia Buschuewa, Geschäftsführerin der Investmentfirma The New Kremlin Fund (Arbat Capital). „Nachdem sie in Rente gegangen war, hat sie vor ein paar Jahren ihren Führerschein gemacht und denkt jetzt daran, Kurse in Fotografie und Englisch zu belegen."

Die Studentin Julia Wenina erzählt über ihre Großmutter, dass sie sich Bilder aus dem Internet herunterlade, diese anschließend mit einem speziellen Programm bearbeite und sie mit ihrer Nähmaschine sticke. „Wenn meine Oma etwas nicht versteht, dann nimmt sie über Skype Videounterricht."

Doch den Trend des aktiven Ruhestands gibt es mittlerweile nicht mehr nur in Moskau und Sankt Petersburg. Die ehemalige Anästhesistin Gertruda Pankruschina aus Nowosibirsk beispielsweise hat sich im Alter von 70 Jahren für einen Computerkurs angemeldet. „Der Kurs war nicht leicht, aber ich habe ihn geschafft", meint sie lächelnd. „Jetzt kann ich mich mit meinen Enkelkindern in Skype unterhalten, E-Mails schreiben und neue Rezepte ausprobieren, die ich im Internet finde."

Russlands Angebot für Seniorenaktivitäten immer vielfältiger

Die Anzahl von Kursen und anderen Aktivitäten, die auf ältere Menschen ausgerichtet sind, ist in letzter Zeit stetig gestiegen. So wurde vor Kurzem im Allrussischen Ausstellungszentrum (WDNH) in Moskau eine Tanzschule für Senioren eröffnet und im Zentrum für soziale Betreuung „Mitino" gibt es ein selbstständiges Puppentheater.

Doch das ist noch längst nicht alles, was Senioren geboten wird. Im Rahmen des Projekts „Alter des Glücks", welches von Wladimir Jakowlew, Gründer der gesellschaftspolitischen Zeitung „Kommersant", ins Leben gerufen wurde, finden Seminare zu den Themen Lebensgestaltung, Ernährung und Selbstständigkeit statt, wobei das Alter der Teilnehmer und vorherrschende gesellschaftliche Stereotypen unbeachtet bleiben.

Solche Kurse werden jedoch nicht nur in der Hauptstadt angeboten. Eine wichtige Plattform, auf der Senioren in ganz Russland nützliche Informationen finden können, ist beispielsweise baba-deda.ru. Auf diesem von Anastasija Lasibnaja gegründeten Hotspot für ältere Menschen findet man hunderte Kursangebote sowie vergünstigte Ausflüge und Reisen.

Selbstwahrnehmung der Senioren im Wandel

„Langsam ändert sich bei älteren Menschen die Einstellung sich selbst gegenüber. Sie entdecken das Internet für sich, treten Sportklubs bei und interessieren sich für eine aktive Freizeitgestaltung", so Anastasija Lasibnaja gegenüber Russland HEUTE. „Laut unserer Statistik besuchen Frauen unsere Webseite öfter als Männer, da diese im reiferen Alter nicht ruhiger werden. Im Gegenteil, sie beginnen ihr eigenes Leben zu leben, da die Mutterrolle zweitrangig wird."

Marina Jalyschewa eröffnete im Jahr 2007 in Sankt Petersburg sogar eine eigene Universität für ältere Menschen, die Universität „Silbernes Alter". Seitdem haben bereits etwa 300 Studierende die Universität abgeschlossen, wobei 95 Prozent davon Frauen waren. „Nicht alle Senioren wollen arbeiten, doch praktisch alle wollen nützlich sein und ihre Erfahrung und ihr Wissen weitergeben", meint Marina Jalyschewa. Ihrer Ansicht nach wäre daher ein Ehrenamt für die Absolventen der Universität eine gute Möglichkeit, ihre Vorstellungen zu verwirklichen.

Auch die Wirtschaft entwickle mittlerweile Dienstleistungen und Produkte, welche auf diese Altersgruppe abgestimmt sind. „Und wer könnte besser und effektiver mit diesem Zielpublikum arbeiten als Vertreter dieser Generation?", fügt Marina Jalyschewa hinzu. Die Ersten, die in Russland diesen Weg eingeschlagen haben, so Jalyschewa, waren Kosmetikmarken und Versicherungen. Mithilfe von Vertretern derselben Generation bieten diese ihre Dienstleistungen und Produkte Menschen im reiferen Alter alt an.

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