Für eine bessere Welt

„Die Erwartung“ von 1912 ist einer der Höhepunkte der Jugendstilphase Heinrich Vogelers. Foto: Fotodom

„Die Erwartung“ von 1912 ist einer der Höhepunkte der Jugendstilphase Heinrich Vogelers. Foto: Fotodom

Auf der Suche nach einer besseren Welt kam der Worpsweder Künstler Heinrich Vogeler in die Sowjetunion. Was voll Hoffnung begann, fand sein Ende in der 
kasachischen Steppe.

Das Leben des Künstlers Heinrich Vogeler ist geprägt von einem Kindheitserlebnis: Nach einer Überschwemmung sah er vom Bremer Elternhaus am Horizont eine in der Sonne golden scheinende Insel. Das war der von Wasser umschlossene Weyerberg in Worpswede, an dessen Fuße er Jahre später seinen Lebensmittelpunkt und sein Gesamtkunstwerk, den Barkenhoff (plattdeutsch für Birkenhof), schaffen sollte. Diese goldene Insel blieb lebenslang das Sinnbild seiner Suche nach einer besseren Welt.


Vogeler als Gesamtkunstwerk

 Johann Heinrich Vogeler kam am 12. Dezember 1872 in einer gutbürgerlichen Bremer Familie zur Welt. Seine Eltern ermöglichten ihm ein Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf. Dort fühlte er sich schnell beim Kopieren antiker Gipsvorlagen vom klassischen Akademiebetrieb gelangweilt.

Auf Reisen in die Kunstmetropolen Belgiens, Frankreichs und Italiens entwickelte er seinen eigenen Stil. 1894 ließ er sich in der neu entstandenen Künstlerkolonie Worpswede nieder und erwarb eine alte Bauernkate. Als Jüngster der Künstlergruppe nahm er von Beginn an eine Sonderstellung ein. Vogeler malte Märchenbilder, versetzte seine Figuren ins Mittelalter und schmückte seine Grafiken mit floralen Ornamenten.

Sein Bauernhaus baute er zu einer Villa, den Barkenhoff, um und richtete ihn mit selbst entworfenen Gebrauchsgegenständen ein. Diesem Gesamtkunstwerk fügte er seine Frau Martha hinzu, die in von ihm entworfenen Kleidern und Schmuck Modell stehen musste. Als Maler, Designer und Jugendstilgrafiker erlangte Vogeler große Anerkennung. Er beschickte Ausstellungen in vielen deutschen Städten, illustrierte Bücher renommierter Verlage und gestaltete einen Jugendstilsaal im Bremer Rathaus, die heute noch erhaltene Güldenkammer.

Bald kamen ihm Zweifel an der Welt, in der er sich eingerichtet hatte: „Ich schuf mir aus meinem privaten Leben eine Abkehr von der Außenwelt, die

Heinrich Vogeler. Foto: Fotodom

mir einmal zum Verhängnis werden musste." Vogeler lebte auf seiner goldenen Insel, abgeschlossen vom wirklichen Leben durch Hecken, Mauern und die Rahmen seiner Bilder.

 Rainer Maria Rilke, der 1900 auf dem Barkenhoff lebte, öffnete ihm die Augen mit Erzählungen von seinen Russlandreisen und seinen Begegnungen mit Leo Tolstoi. In Vogeler entstand eine tiefe Zuneigung und ein dauerhaftes Interesse an dem unbekannten Land. War dort seine neue Insel?

Zunächst widmete er sich den sozialen Realitäten im eigenen Land und begann die Ungerechtigkeiten des Kaiserreichs wahrzunehmen. Vogeler engagierte sich sozial, gründete 1908 mit seinem Bruder eine Möbelfabrik, entwarf preiswerte, stilvolle Serienmöbel und konzipierte auch für Arbeiter und Bauern erschwingliche Wohnhäuser.

 

Freiwillig an die Front
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs brachte eine Wende in Vogelers Leben. Seine Ehe mit Martha war gescheitert, seine Jugendstilkunst nicht mehr gefragt, und sein soziales Engagement wurde belächelt. Aus dieser Erstarrung entkam er mit seiner Meldung als Kriegsfreiwilliger. In einem Brief an seine Frau schrieb er: „Ich ziehe nun aus, um [...] zu leben. Ich suche das Leben, das an anderer Stelle ungewertet verkümmert."

Er fand das Leben an der Ostfront, wo er Flugblätter russischer Soldaten zu lesen bekam, und er erkannte, dass in Russland Veränderungen begonnen hatten, die seinen Vorstellungen einer menschlicheren Gesellschaft nahekamen. Er entlarvte den Krieg als Unterdrückung der freiheitsliebenden Völker und verfasste im Januar 1918 einen Friedensappell an den Kaiser: „Sei Friedensfürst, setze an die Stelle des Wortes die Tat, Demut an die Stelle der Siegereitelkeit, Wahrheit anstatt Lüge, Aufbau anstatt Zerstörung. In die Knie vor der Liebe Gottes, sei Erlöser, habe die Kraft des Dienens! Kaiser!" Der Aufruf brachte Vogeler einen Aufenthalt in einer Bremer Irrenanstalt ein.

 Voller Lebensmut kehrte er im Frühjahr 1918 auf den Barkenhoff zurück. Hier wollte er sich einer neuen Gesellschaftsordnung zuwenden, die sozialistisch und der christlichen Ethik verpflichtet sein sollte. Mit Gleichgesinnten gründete er eine Kommune und Arbeitsschule, die sich der Erziehung des Neuen Menschen widmete und sich an den vom Anarchisten Pjotr Kropotkin verbreiteten Idealen der gegenseitigen Hilfe orientierte.

 

„Rote Hilfe" im Barkenhoff

Auch Heinrich Vogeler verbreitete seine politischen und pädagogischen Ideen in Schriften, die den Barkenhoff im ganzen Land bekannt machten. Die Barkenhoff-Gemeinschaft 
bekannte sich zur Russischen 
Revolution und sah sich als „Aufbauzelle der klassenlosen menschlichen Gesellschaft". Trotz ideologischer Streitigkeiten, behördlicher Einflussnahmen und großer finanzieller Probleme konnte das sozialistische Experiment am Weyerberg bis 1923 bestehen. Danach wurde der Barkenhoff ein Kinderheim der Roten Hilfe, in dem Arbeiterkinder Erholung finden konnten.


Aufbruch nach Russland

 Vogeler brach im Juni 1923 gemeinsam mit seiner zweiten Frau Sonja Marchlewska zu neuen Ufern auf und reiste nach Moskau. Als Schwiegersohn des Lenin-Freundes Julian Marchlewski hatte Vogeler in Russland gleich eine hohe Reputation. Er kam mit der Hoffnung, dort den Aufbau einer menschlicheren Gesellschaft zu erleben, für die er selbst tätig werden wollte.

Seine russischen Reiseberichte aus dem Jahr 1925 sprühen vor Optimismus: „Wie viel schöner und ruhiger sind hier die Menschen, denen man ins Antlitz sieht, im Vergleich zu den Menschen des Westens. [...] Freie Menschen, die das Schlimmste getragen haben, um ihren Kindern den Zukunftsweg zu sichern."

Heinrich Vogeler. Das Tyrnyaus-Kombinat in Kabardino Balkarien. Foto: Pressebild.

Vogeler scheint hier seine neue goldene Insel gefunden zu haben und war von ihr geblendet. Künstlerisch veränderte er sich und entwickelte eine moderne, montageartige Maltechnik. Sein erstes Gemälde als Komplexbild nannte er „Die Geburt des Neuen Menschen" und widmete es seinem Sohn Jan, der im Oktober 1923 in Moskau zur Welt kam.

Im selben Jahr entstand das Komplexbild „Rote Metropole". Der Kreml ist überstrahlt von einem überdimensionalen Sowjetstern, der an den Stern von Bethlehem erinnert. Bis 1931 pendelte Vogeler zwischen Berlin und Russland. Volle Skizzenbücher und Reisetagebücher zeugen von einer kreativen Zeit, doch private Zerwürfnisse und politische Auseinandersetzungen raubten ihm auch Kraft.

 

Kampf dem Hitlerfaschismus

 Vor seiner letzten Moskaureise im Juni 1931 schrieb er seiner ersten Frau Martha nach Worpswede: „Was aus mir in nächster Zeit wird, weiß ich noch nicht, da ich viel drangesetzt habe, nach Rußland zu kommen. Wenn das nichts wird, was naheliegt, komme ich dann gern etwas zur Arbeit zu Euch."

Heinrich Vogeler kam nach Russland und kehrte nie wieder nach Deutschland zurück, denn bei den Nazis stand er auf der Fahndungsliste. Aus Moskau engagierte er sich gegen Hitler und entwarf antifaschistische Plakate und Flugblätter. In einer Rundfunkansprache wandte er sich an deutsche Künstler: „Ich lebe in Sowjet-Russland und habe hier die Möglichkeit, meine Kunst treu auszuüben. [...]Deutscher Künstler, für dich gibt es nur eins [...]: Entfalte deine ganze Kraft, um den Hitler-Faschismus zu vernichten." Seine intensive Schaffensperiode endete mit dem Überfall der Wehrmacht auf Russland.

 

Tod in der Steppe

 Im September 1941 brachte man Vogeler mit anderen Exilanten nach Kasachstan. In primitiven Verhältnissen lebte er in einer Kolchose in der Steppe. Die harte Arbeit, eine schwache Gesundheit und mangelnde Ernährung hielt er nur wenige Monate aus. Seinen Freunden in Moskau klagte er sein Leid: „Wir sind weit weg von der Bahn. Steppe ohne Baum und Strauch. Wind, Wind, Sturm. Sehr schlecht für meine verknöcherte Brust. [...] Ich hatte mir das Ende meines Lebens 
anders gedacht, hatte gedacht, man könnte aktiv sein bis an das Ende."

Am 14. Juni 1942 starb Vogeler im Krankenhaus der Kolchose Budjonny. Die Suche nach der goldenen Insel, einer Welt, in der alle Menschen friedvoll und glücklich miteinander leben, endete in der trostlosen Steppe, ohne dass er das neue Utopia gefunden hatte.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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