Operndiva Anna Netrebko: In Russland gibt es nicht nur Eis, Bärenfelle und Wodka

In einem Interview anlässlich der Neuaufführung der Oper „Eugen Onegin“ von Pjotr Tschaikowski an der Wiener Oper geht die Opernsängerin Anna Netrebko auf ihre Arbeit an der Rolle von Tatjana und auf ihre weiteren Pläne ein.
Anna Netrebko. Foto: Getty Images/ Fotobank

Frau Netrebko, die Partie von Tatjana ist wohl für jede russische Sängerin die wichtigste im Leben. Was war besonders schwierig daran? Was ist Tatjana für Sie?

Anna Netrebko: Ich hätte nie geglaubt, dass ich diese Oper singen werde. Aber ich ließ mich am Ende überreden – von einigen Personen aus dem Westen übrigens. Ich habe den Klavierauszug geöffnet und gedacht: Was wollen wir denn tun? Was machen wir mit dieser Gestalt? Am Ende beschloss ich, dass ich und Tatjana zwei absolute Gegenpole sind. Ich habe mit Tatjana nichts gemein. Das war eben der Ausgangspunkt.

In der Partie der Tatjana gibt es sehr viele lyrische Stellen, die aus der Tiefe heraus gesungen werden müssen, was ziemlich unbequem ist. An die Noten aus dem mittleren und unteren Bereich muss ich mich erst gewöhnen – es hat immerhin nur ein paar erste Aufführungen gegeben. Ich musste mir deshalb viel Mühe geben, damit mein mittlerer Stimmbereich möglichst sanft klingt. Das ist immerhin Tatjana – da darf es keine Übertreibung geben.

Es geht nicht nur um Technik, sondern um etwas viel Wichtigeres. Vor allem muss man dafür ein russischer Mensch sein. Und zweitens muss man sehr viel erlebt haben und wissen, wie diese Partie zu singen ist. Ich denke, das kommt erst mit der Erfahrung. So leicht ist das nicht. Ich habe versucht, mein Bestes zu geben. Ich musste viel darüber nachdenken und habe beschlossen, alle meine Gesten, Blicke und Reaktionen zu ändern. Ich dachte immer daran, in welche Richtung ich mich in diesem oder jenem Augenblick wende. Da konnte ich mir keine ruckartigen Bewegungen leisten, die für mich eigentlich typisch sind. Das war etwas ganz Neues und deshalb Interessantes für mich.

Ich werde oft gefragt, ob sich diese Geschichte heutzutage abspielen könnte. Nein, ich glaube nicht. Diese Geschichte gehört ins 19. Jahrhundert – damals gab es noch solche Begriffe wie Edelmut, Ehre, Würde, Treue. Heutzutage haben diese Wörter so gut wie keine Bedeutung mehr. 

 Und wie fühlen Sie sich in dieser Inszenierung von Falk Richter?  Ein Kritiker schrieb in der Zeitung „Die Presse" von „Falk Richters stümperhafter Tschaikowski-Inszenierung, die in ihrer deutschen Holzhammerattitüde bei Dauerschneefall auch während des Erntedankfestes kilometerweit an Puschkins Ästhetik vorbeischrammt".

 Bevor man sich mit „Eugen Onegin" befasst, sollte man die Geschichte studieren und erfahren, worum es sich dabei eigentlich handelt. Denn in Russland gibt es doch nicht nur Eis, Bärenfelle und Wodka, den der Adelige Onegin gerade aus der Flasche säuft. Solche Sachen sind schwer zu verkraften. Ich will sagen, dass dank der russischen Sänger – und die Besetzung ist immerhin sehr gut – wenigstens etwas gerettet werden konnte.

Aber in New York, wo Sie mit „Eugen Onegin" am 23. September die neue Saison eröffnen werden, sollte es doch besser gehen, oder?

 Die Inszenierung in New York wird gut sein. Ich habe mit Deborah Warner gesprochen. Sie hatte diese Oper bereits in London aufgeführt. Die Geschichte wird sich in den Zeiten von Anna Karenina abspielen, doch das ist nicht so schlimm. Das ist trotzdem das 19. Jahrhundert.

Sie sind im Westen bekannt geworden, wobei Sie vor allem „französisches" Repertoire sangen, was für russische Sängerinnen eigentlich untypisch ist. Jetzt befassen Sie sich mit dem „russischen" Repertoire. Sagen Sie bitte: Sind Anna Netrebko als Opern-Superstar und Anna Netrebko als russische Sängerin ein und dieselbe oder zwei verschiedene Personen?

 Daran denke ich gar nicht. Ich verstehe, dass ich eine große Verantwortung übernommen habe, als ich beschloss, Arien auf Russisch zu singen. Und noch etwas kann ich Ihnen verraten: Ich war noch nie so aufgeregt wie vor meinem ersten Auftritt als Tatjana. Die erste Probe war schrecklich. Ich verstand einfach nicht, was auf der Bühne passierte. Ich dachte: „Oh, mein Gott! Ich muss aufgeben! Nein, ich darf nicht kneifen! Was habe ich denn zu tun?! Ich habe keine Zeit!" Ich geriet einfach in Panik. Das einzige, was mir blieb, war den Kopf einzuschalten. Und ich habe ihn eingeschaltet. Für die Erstaufführung hat es meines Erachtens gar nicht so schlecht geklappt.

 Bald begeht der Dirigent Waleri Gergijew sein Jubiläum. Welche Rolle hat er in Ihrer Karriere gespielt?

 Eine riesige! Ich habe Waleri Gergijew sehr gern! Wir sind seit vielen Jahren gute Freunde. Er ist nicht nur ein Dirigent, mit dem ich zusammen arbeite – er ist eben ein Freund. Egal, wo wir uns befinden, wir können uns jederzeit treffen und reden. Ich mag ihn sehr und respektiere seine Art zu arbeiten.

Gibt es noch jemanden, dem Sie Ihrer Meinung nach Ihren Erfolg zu verdanken haben?

 Natürlich. Dank Placido Domingo habe ich viele Menschen kennengelernt und viele gute Rollen in Washington und Los Angeles bekommen. Außerdem sind da noch die Leute aus meinem Deutschen Grammophon – das sind meine lieben Manager, die mich, meine Stimme und meine Möglichkeiten gut kennen und mir immer helfen.

Gibt es einen gewissen Konflikt im Repertoire – der „alten" und der „neuen" Netrebko? Im vorigen Jahr sangen sie in „L'elisir d'amore" – war das eine Art Abschied von der „alten" Anna Netrebko?

Nächstes Jahr singe ich diese Arie wieder. Das bereitet mir keinerlei Schwierigkeiten.

Planen Sie in absehbarer Zeit Gastspiele in Russland?

 Bei der Eröffnung des neuen Hauses des Mariinski-Theaters am 2. Mai. Und dann gibt es noch ein gemeinsames Konzert mit Dmitri Chworostowski auf dem Roten Platz am 19. Juni, das in der ganzen Welt ausgestrahlt wird.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei RIA Novosti.

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