Moskau im Walzertempo

Feierliche Stimmung, die langen Kleider, Handschuhe, Fächer, eine „Grundausstattung“ an guten Manieren und generell eine eher anständig-zurückhaltende Art der Gäste – all dies erwartet diejenigen, denen der Unterschied zwischen Indie und Techno schleierhaft ist, Deutscher Tanz und Mazurka für sie hingegen, keine hohlen Töne sind.

MGIMO-Ball. Foto: R. Kallimulin

Die Mode für Bälle in fing in Moskau vor ungefähr 10 Jahren an und gewann bis heute enorm an Popularität. Es gibt keine Statistiken, die Bewegung der Ballfans ist in keinem Verein institutionalisiert und man kann nur grob schätzen, wie viele Veranstaltungen im Jahr stattfinden. Aktive Mitglieder der Ball-Szene reden von ca. 300 Tanzveranstaltung pro Saison. Die meisten Bälle finden vom späten Herbst bis Ende Dezember und von Mitte Januar bis Mitte April statt. Im Sommer werden Bälle in ehemaligen Gutshöfen der Adligen veranstaltet. Von solchen Veranstaltungen gibt es aber nicht viele. Organisiert werden die Bälle von Adligen Klubs, Unis, historischen Klubs und sogar staatlichen Organisationen. Einige Bälle fanden im Außenministerium statt und sogar in der FSO (Organisation, die u.a. für die Sicherheit des Präsidenten zuständig ist) gibt es eine Tanzgruppe.

Der berühmteste und größte Ball in Moskau ist natürlich der Moskauer Wiener Ball. Es wurden enorme Ressourcen, viel Zeit und Geld investiert, um den Ball veranstalten zu können und zu einer Tradition werden zu lassen. Offiziell wird der Ball von der österreichischen Botschaft und der Moskauer Regierung unterstützt. Viele Mädchen träumen davon, als Debütantin auf dem Wiener Ball in Moskau zur Musik von Strauss tanzen zu können. Eine Teilnahme an diesem Ball ist ein wichtiges Status-Symbol für viele wohlhabende Bürger Moskaus. Die Zahl der Gäste kann einige Tausend Personen betragen, wobei viele nicht nur zum Tanzen kommen: es ist eine Ehrensache mit guten Networking-Aussichten. Diese Vorzeigeveranstaltung unterscheidet sich gravierend von anderen Bällen.

 

Trotz allem tanzen

Der durchschnittliche Moskauer Ball ist wesentlich kleiner: 300-350 Gäste ist das Maximum. Tatjana Dokukina, Tanzlehrerin und Mitveranstalterin vieler Moskauer Bällen, meint, die Anzahl der Gäste, die zu einem Ball vor allem zum Tanzen und nicht zum Reden kommen, sei in den letzten Jahren sehr stark gestiegen. Die Organisatoren laden mittlerweile weniger Gäste ein, damit auf der Tanzfläche kein Gedränge entsteht.

Dabei sind die meisten Ballgäste keine professionellen Tänzer. Unter den Stammbesuchern finden sich natürlich Paare, die professionell tanzen oder das Tanzen früher als Leistungssport betrieben haben, die meisten jedoch haben nur einen Grundkurs absolviert und gleichen das, was sie technisch nicht können oder nicht wissen, durch Leidenschaft und Spaß an der Sache aus. Um sich bei einem Ball wohl zu fühlen, lohnt es sich natürlich einen Basiskurs zu belegen und wenigstens die Grundschritte der populärsten Tänze zu beherrschen, so die Organisatoren des beliebten MGIMO-Balls, der jährlich vom Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen durchgeführt wird). Manchmal ist man aber nur mit einem Rhythmusgefühl schon bestens ausgestattet...vor allem, wenn ein erfahrener Tanzpartner dazu kommt.

 

Gehobene Unterhaltung für anständige Leute

Obwohl das Wort „Ball" etwas prätentiös klingt, ist es eine erschwingliche Art der Unterhaltung. Zum einen wurde dieser Begriff in der letzten Zeit stark inflationiert und mittlerweile wird jede Veranstaltung, bei der ein bisschen getanzt wird, gleich als Ball bezeichnet (gerechtigkeitshalber sollte man sagen, dass es keine objektiven Kriterien für diesen Begriff gibt). Zu den Bällen kommen junge und ältere Personen, Nachkommen von Adligen

und Leute, deren Vorfahren von Bällen nicht ein mal gehört haben, Kadetten, Studenten, Diplomaten, Beamte, Büromitarbeiter... Die wenigen Kriterien, nach denen die Gäste ausgesucht werden, sind der Wunsch zu tanzen und ein anständiges Benehmen. Dem letzteren wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt, denn die Organisatoren sind sehr um den Ruf der Bälle als „gehobene" Unterhaltung bemüht, im Gegensatz zu den „unanständigen" Diskotheken.

Es bleibt aber immer noch die Frage, warum Bälle so beliebt sind? Ilsur Mavlekeev, ein leidenschaftlicher Tänzer, der viel Zeit und Kraft in das Veranstalten des MGIMO-Balls investiert, meint: „Die Leute kommen zu den Bällen in erster Linie aus Liebe zum Tanzen. Aber es gibt noch etwas, was einen Ball ausmacht – die einzigartige Atmosphäre, die dort entsteht und die so viele Emotionen weckt. Die Gäste bleiben von dieser Atmosphäre so geladen, dass sie es kaum erwarten können, diese wieder genießen zu können".

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei To4ka-Treff.

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