Russische Flohmärkte: Zwischen Krempel und Kunst

Das chaotische Treiben auf russischen Flohmärkten mag überschaubarer geworden sein, das Angebot ist es nicht. Foto: RIA Novosti

Das chaotische Treiben auf russischen Flohmärkten mag überschaubarer geworden sein, das Angebot ist es nicht. Foto: RIA Novosti

Russische Flohmärkte bieten viel Krempel, aber auch interessante und verwunderliche Raritäten sowie begehrte Sammlerstücke. Dies sind die Orte, an denen Besucher ein Stück Landesgeschichte erstehen können.

Jedes Jahr findet in Moskau auf dem Tischinskaja-Platz in Erinnerung an alte Zeiten der „Flohmarkt" statt. Es ist ein Kunstprojekt, um die Atmosphäre der historischen Trödelmärkte des vergangenen Jahrhunderts wieder aufleben zu lassen.

Hier auf der Tischinka existierte noch bis zum Kriegsbeginn 1941 ein riesiger Markt, einer der größten von ganz Moskau. In den Jahren von 1960 bis in die 1990er entwickelte er sich dann zu einem wichtigen Treffpunkt der Jugend, denn dort konnte man die verrücktesten Dinge für wenig Geld bekommen. Gerade in den Zeiten großen Geld- und Warenmangels stellte der Trödelmarkt eine willkommene Gelegenheit beispielsweise für Modefans dar.

Einer der „erfolgreichsten" und bekanntesten Besucher der Tischinka war wohl der Künstler und Modedesigner Alexander Petljura. Neben der Hausbesetzerszene in den 1990ern begründete der passionierte Flohmarktbesucher auch eine beeindruckende Sammlung mehrerer tausend Objekte von Müllhalden und Flohmärkten. Auf der Tischinka war er der Liebling aller, die Großmütterchen bewahrten eigens für ihn ihre besten Stücke auf.

Auch wenn die Markthalle heute ein modernes Einkaufszentrum ist, lässt man hier einmal im Jahr dem Geist der Vergangenheit freien Raum.

 

Andernorts besteht die Tradition noch fort

Aber auch in ihrer ursprünglichen Form sind solche Plätze noch zu finden. Der Udelnaja-Flohmarkt in Sankt Petersburg gilt heute als bedeutendster Flohmarkt des Landes. In Moskau wurde der Handel lange Zeit in der Gegend der S-Bahn-Station Mark abgehalten – von den Behörden eher geduldet denn gestattet.

Ein Besuch dort war wirklich nichts für schwache Gemüter. Zuerst musste man mit der S-Bahn dorthin fahren und sich dann auf die Tour durch die endlos langen Marktreihen machen, die sich vom äußersten Ende des Bahnsteigs kilometerlang hinzogen. Niemand sprach englisch, die Waren wurden auf Zeitungspapier und Lumpen auf dem Boden ausgebreitet, der Großteil der Händler erinnerte an Gorkis Drama „Auf dem Boden".

Dafür konnte man für 30 Rubel, also nicht einmal 70 Eurocent, irgendein seltsames Konstrukt bestehend aus einem zerfetzten Schirm, einem winzigen Teelöffelchen, einer Fliegerkappe aus Leinen mit aufgesticktem Flugzeug und einem nordkoreanischen Abzeichen ergattern.

Foto: Anton Agarkow

2010 zog der Flohmarkt an den Bahnsteig der Station Nowopodreskowo – Richtung Sankt-Petersburg – weiter und wirkt seitdem etwas gesitteter und geordneter. Dennoch gilt er immer noch als sehr authentisch, allerdings gibt es in regelmäßigen Abständen Gerüchte über seine Schließung.

Doch es gibt auch jene Orte, die von Stadtverwaltungen bewusst unterstützt werden. Dementsprechend geringer ist dort auch das Durcheinander, und die Verkehrsanbindungen sind in der Regel ebenfalls weitaus günstiger für Besucher. Die Flohmärkte stehen dabei sowohl privaten als auch gewerblichen Verkäufern offen, sodass sowohl Senioren beim Verkaufen ihrer persönlichen Habseligkeiten zu beobachten sind als auch professionelle Händler, zum Beispiel im Bereich des Antiquitätenhandels.

Einen solchen Flohmarkt findet man im Nordosten von Moskau, nur zehn Minuten Fußweg von der Metrostation Partisanskaja entfernt, Richtung

Hotel Ismailowo. Unter dem Eingangsschild „Vernissage" beginnt ein Boulevard, der am Kreml von Ismailowo endet. Dieser 2007 fertig gestellte Komplex erinnert an sein Pendant am Roten Platz, auch wenn er aus weißem Stein erbaut wurde. Zahllose Geschäfte mit unzähligen Waren sind in der imposanten Konstruktion angesiedelt, es gibt dort unter anderem ein Café, einen Schießstand und eine Seifensiederei. Neben einem Glockenturm sind dort auch verschiedene Museen ansässig: ein Brotmuseum, ein Spielzeugmuseum, ein Wodkamuseum und ein Museum der russischen Flotte.

 

Besondere Souvenirs für Touristen

Sobald man den Verkaufsbereich betritt, fühlt man sich wie auf einem Basar. Resolute alte Damen bieten unzähliges Geschirr oder gesammelte Jahrgänge alter Zeitschriften feil. Der Platz liegt gut und ein Bonus zu der kleinen Rente ist ihnen so gut wie sicher.

Ein Mann erkundigt sich bei einer Händlerin nach dem Preis einer Blechdose mit Kaviaraufdruck, früher wurde schwarzer Kaviar in solchen Dosen verkauft, heute soll sie leer fast sieben Euro kosten. Das Großmütterchen ergänzt leicht verlegen: „Das ist ein Original aus den 50er-Jahren!" Daneben kreischt eine junge Frau in Gummistiefeln und buntgefärbter Jacke begeistert in ihr iPhone: „Ich hab ein super Grammofon gekauft! Es funktioniert sogar noch!"

Wer einfach ein Souvenir für die Familie oder Freunde daheim sucht, der ist hier richtig aufgehoben. Gerade wenn man aber ein wenig fernab der klassischen Mitbringsel ein schönes Objekt sucht, dann kann man hier auch

etwas wirklich Originelles, Wertvolles und Seltenes als Andenken finden. Das hat allerdings seinen Preis, denn die Händler verdienen ihr Geld zum Großteil durch die Touristen. Aber auch wenn die Preise nicht so niedrig sein mögen wie anderswo, sind die Händler dafür umso freundlicher Besuchern gegenüber und meist auch in der Lage, sich auf Englisch zu unterhalten.

Bei „Aviator" bekommt man die berühmten Sturmanskie-Fliegeruhren der bekannten Hersteller Poljot und Buran im Schnitt schon für 100 Euro. Und wenn es keine Neuware sein, sondern eine Geschichte mitbringen soll, dann bekommt man diese für die Hälfte bereits ein paar Schritte weiter – inklusive der Gebrauchsspuren von bis zu 60 Jahren. Der Verkäufer sagt, dass man mit einigen Sammlern zusammenarbeite und alle Uhren funktionieren würden. Manche seien aus Einzelteilen neu zusammengesetzt worden, andere hätte man nie benutzt.

 

Handwerk und Kitsch stehen dicht beieinander

Am Wochenende ist die Auswahl besonders groß, speziell an den Vormittagen. Unter der Woche stehen die Verkäufer meist nur in zwei Reihen und beginnen nach 17 Uhr schon damit, ihre Waren wieder zu verstauen.

Die holzgeschnitzten Verkaufsstände in slawischem Stil verleihen der Vernissage den Eindruck eines echten russischen Marktes. Hier kann man Erzeugnisse des gesamten russischen Handwerks finden: Klöppelarbeiten, Stolas, Tücher aus Pawlowski Possad, Keramik, Schmiede- und Lederarbeiten, Tierhäute, Bernstein oder Kristallglas. Um hier den Überblick nicht zu verlieren, empfiehlt es sich, nach thematisch ausgerichteten Standgruppen Ausschau zu halten: der „Handwerksstraße", „Bilderallee" oder auch der „Ikonenreihe".

Von Stand zu Stand sieht man die Geschichte des Landes vorbeiziehen – Armeeuniformen, Taucheranzüge oder Leninbüsten, die kleinste schon für 34 Euro. Sogar die in der Sowjetzeit beliebte Zigarettenmarke Belomorkanal, die man heute als Neuauflage in manchen Lebensmittelläden für ein paar Kopeken bekommen kann, wechselt hier für acht Euro den Besitzer – mag die Erinnerung an alte Zeiten auch nur aus einer Zigarettenschachtel bestehen, so ist es doch schon eine Rarität.

Viele Händler sind selbst Sammler. Ein älterer Mann um die 50 in einem Seemannspullover erzählt über seinen gigantischen Aufsteller mit Sowjetabzeichen, mit denen er handelt: „Was ist das schon, das ist nur ein Fünftel von dem, was ich habe. Nicht insgesamt, sondern nur von dem hier vor Ort! Ich sammle seit 20 Jahren Abzeichen und kenne natürlich viele andere Sammler – alleine kann man nicht existieren, man versucht ständig, durch Tauschen neue zu bekommen. Diese Flugzeugchen hier, zum Beispiel, sind moderne, man bekommt sie nur auf Bestellung und sie kosten um die 15 Euro. Die Nachfrage ist aber sehr groß! Und hier, diese Eulen mit den Abzeichen, das sind Embleme verschiedener Spionageabteilungen. Heute läuft auch alles, was mit Sport zu tun hat, gut", erzählt er und bemerkt beiläufig, während er sich umschaut: „Am Abend ist ein Fußballspiel, und die Fans sind wohl im Sammelfieber."

Längst nicht alle Waren sind Antiquitäten und Raritäten. Oft handelt es sich nur um nachempfundene Produkte: Moderne Künstler bemalen altes Holzgeschirr in slawischem Stil. An einem Stand hört man eine adrett

gekleidete Kundin laut klagen: „Wenn es wenigstens von heutigen Kunsthandwerkern aus Dörfern wie Fedoskino gemacht worden wäre, dann hätte es einen Wert! Aber man hat das Dorfleben in Russland zerstört und mit ihm Handwerk und russische Seele!" Die Verkäuferin am Stand entgegnet der pathetischen Klage mit Pragmatismus: „Man kann Vergangenes unmöglich wiederauferwecken, liebe Frau! Haben Sie nicht von dieser Künstlerin, Galina Maslennikowa, gehört? Was hat sie sich nicht bemüht um die Wiedergeburt des Handwerks in ihrem Dorf, wen hat sie nicht alles davon überzeugt. Und wie ist es geendet? Mit einem Bankett inklusive Wodkabesäufnis im Dorf! Da haben Sie Ihre Kunst!"

Das Angebot hier ist aber so groß, dass auch der klagenden Kundin geholfen werden kann, wenn sie es weiter versucht: Ganz in der Nähe werden fein bemalte Broschen aus dem Dorf Fedoskino verkauft, das für seine traditionsreiche Miniaturmalerei berühmt ist. Hier gilt, wie so oft: Wer sucht, der findet.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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